Außer Atem: Das Berlinale Blog

Erst Luigi Nono, dann der Angriff der Kampfbomber: Zwei libanesische Filme im Forum

Von Thekla Dannenberg
09.02.2015. Akram Zaatari untersucht in seinem Filmessay "Twenty-Eight Nights and A Poem" den Zusammenhang von Bild und Gesellschaft. In Ghassan Salhabs Thriller "The Valley" geht das Bekaa-Tal unglaublich ästhetisch vor die Hunde.


Zwei Filme aus dem Libanon zeigen ein zerrissenes Land, dessen Stabilität, mehr als prekär, von Innen und Außen gleichermaßen bedroht ist. Und weil sie das auf so gänzlich unterschiedliche Art und Weise tun, zeigen sie aber auch die Vielfalt des Landes. Der Filmemacher und Künstler Akram Zaatari erforscht in seinen Filmen und als Gründer der Arab Image Foundation, wie sich Bilder zu einem historischen Erzählung fügen. Auch in seinem Filmessay "Twenty-eight Nights and a Poem" untersucht er den Zusammenhang von Bild und Gesellschaft, Archiv und Technik. Was bedeutet er für das Bild, das sich eine Gesellschaft von sich macht? Welche Rolle spielen Licht, Kameras, Bluetooth, Bühnen und YouTube?

Der Film beginnt als abstrakte Versuchsanordnung. Wie unter einem Mikroskop nimmt Zaatari die technologische Entwicklungen und Aufnahmeverfahren in den Blick: Alte Tonbänder stehen den neuesten Geräten von Sony und Sennheiser gegenüber, aus einem Macbook dringt via YouTube der Schmachtgesang des ägyptischen Popstars Abdel Halim Hafez aus den siebziger Jahren. Eine ultraprofessionelle Handycam filmt alte Super-8-Videos, Reklame-Leuchten von Agfa blinken neben Filmvorführgeräten. Technologisches Rüstzeug, um den Augenblick festzuhalten.

Allmählich schiebt sich Zaataris eigentlicher Protagonist ins Bild: Hashamed Madani, der seit 1953 in der Stadt Saida im Süden des Libanons das Fotostudio Scheherazade betreibt. Gern hört man ihm zu, wenn er erzählt, wie sich die Menschen in seinem Studio in Szene setzten, es erst zur Bühne machten, dann zur Arena, als sich vor dem Bürgerkrieg die verschiedenen Gruppierungen des Landes allmählich bewaffneten. Schön sind auch die Szenen, in denen der alte Mann das Fotografieren als echtes Handwerk zeigt, etwa wenn er vor einer Schublade voller Bleistifte erklärt, mit welcher Stärke man am besten die Negative retuschiert (3H).

Momente der filmischen Freiheit, in denen sich die Kamera aus dem Studio und an den Strand begibt, um das Leben zu dokumentieren, wechseln ab mit den inszenierten Shows des Staatsfernsehens, in denen kein Wimpernschlag dem Zufall überlassen sind. Das technologische Rüstzeug wird immer moderner, die Machthaber bleiben die gleiche, die Menschenbilder werden immer konservativer. Mitunter gerät Zaatari diese ausführliche Studie über den Augenblick und die Aufnahme arg laborhaft, dann dringt einem fast Entwickler-Geruch in die Nase. Doch die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeit führt er doch sehr eindrucksvoll vor Augen, etwa wenn der alte Mann, der sich seit sechzig Jahren alle technologischen Entwicklungen aneignen und wieder verwerfen musste, neben all die Kameras in seine Vitrine als neueste Errungenschaft ein Tablet stellt. Und sich auf einem uralten Gaskocher einen Mokka aufsetzt.



"The Valley" von Ghassan Salhab ist dagegen hochstilisierter Thriller, der den Libanon als Land kurz vor der Apokalypse inszeniert. Er erzählt die Geschichte eines Mannes, der bei einem Autounfall schwer verletzt wird und sein Gedächtnis verliert. Er gerät an eine Gruppe von Drogenköchen, die ihn mit auf ihr feudales Anwesen im Bekaa-Tal nehmen. Doch wer ist der Fremde von geradezu teutonischer Reckenhaftigkeit? Militär, Agent oder vielleicht doch ein Engel? Seltsam energielos kreisen alle um das Rätsel, die Handlung kommt auch nicht von der Stelle, doch unaufhaltsam nähert sich die Katastrophe.

Der Großteil der aufreizend langgedehnten Szenen spielt sich im Haus ab, durch immense Fensterfronten blickt man unablässig auf eine überwältigend schöne Landschaft. Vor ihr gruppieren sich die Drogenköche zu perfekten Tableaus vivants, während nachts im Zypressenhain mal der bewunderte Dichter umherstreift, mal ein verirrter Esel. Sehr sexy, sehr cool sieht das alles aus, und der Soundtrack hat Power. Erst Ruhe, dann Stille; erst Luigi Nono, dann der Angriff der Kampfbomber. Nur die Dialoge sind nicht ganz so perfekt: "Er sieht aus wie ein Christ. Wie kommst Du darauf. Maroniten, Drusen, Schiiten, was heißt das schon. Beim Essen und Sex unterscheiden sie sich. Die Maronitinnen haben die tollsten Titten."

Der 1958 in Dakar geborene Ghassan Salhab ist eine der Galionsfiguren des libanesischen Kinos. Als sein Dilemma hat er beschrieben, dass er eigentlich kommerzielles Kino machen will, aber der Markt sich leider nicht für Filme aus dem Libanon interessiert. Das täten einfach nur die Festivals. Die Berlinale hat einen Thriller bekommen, in dem das Bekaa-Tal unglaublich ästhetisch vor die Hunde geht.

Thamaniat wa ushrun laylan wa bayt min al-sheir - Twenty-Eight Nights and A Poem. Regie: Akram Zaatari. Libanon/Frankreich 2015, 120 Minuten. (Vorführtermine)

Ghassan Salhab: Al-wadi - The Valley. Mit Carlos Chahine, Carole Abboud, Fadi Abi Samra und anderen. Libanon/Frankreich/Deutschland/Katar/VAE 2014, 128 Minuten. (Vorführtermine)