Außer Atem: Das Berlinale Blog

Als es noch Zukunft gab

Von Thomas Groh
09.02.2017. Die Zukunft ist auch nicht mehr, was sie einmal war: Mit "Future Imperfect" nimmt die Retrospektive der Berlinale das eher düstere Science-Fiction-Kino in den Blick. Ein Streifzug durch die Vergangenheit des Kinos der Zukunft.

Eolomea

"Things to Come" - dem Titel nach vergleichsweise entspannt blickt die dem Science-Fiction-Kino gewidmete und sehr empfehlenswerte Ausstellung im Filmmuseum am Potsdamer Platz in die Zukunft (noch bis 23. April). Mit ihrer begleitenden Retrospektive "Future Imperfect" unternimmt die Berlinale jedoch bereits im Titel eine kleine, aber entscheidende Akzentverschiebung: Die Zukunft wird alles andere als rosig. Vielleicht liegt die Zeit, in der es noch Zukunft gab, aber auch schon - Stichwort: Imperfekt - längst hinter uns.

Rückschau aufs Zukunftskino also. Genauer: Auf düstere Zukünfte, die sich das Kino der Vergangenheit einst ausgemalt hat. Dem Science-Fiction-Kino als solchem ist das Programm nämlich keineswegs gewidmet, wie ein schneller Blick ins Programm verrät: Erwartbare Namen aus der Filmkunst (sagen wir: Méliès, Lang, Kubrick, Tarkowskij) fehlen genauso wie unverzichtbare Klassiker (sagen wir: "Destination Moon", "Forbidden Planet", "Star Wars") und ganze Subgenres (sagen wir: die eskapistische Space Opera).

Mit ihrem Schwerpunkt auf Dystopien fokussieren Retrospektive-Leiter Rainer Rother und sein Team lediglich auf einen, allerdings herausstechenden und wirkmächtigsten Aspekt des Genres. Für unsere Gegenwart mag er sich als aufschlussreich erweisen: Denn das in den 90ern noch vollmundig ausgerufene "Ende der Geschichte" ist wohl endgültig abgesagt, seit mit dem Anschlag vom 11. September neue globale Konfliktlinien entstanden sind und mit der Finanzkrise von 2008 unser Gesellschaftssystem so profund erschüttert wurde, dass die Folgen von der Euro- und EU-Krise über Brexit, Nationalismus, Flüchtlingskrise und AfD bis zum (scheinbar selbst einer Hollywood-Dystopie entsprungenen) Dreamteam Bannon/Trump heute eine drückende Weltuntergangsstimmung verbreiten.


Himmelskibet

Immerhin eine gute Nachricht hält das Berlinale-Programm damit schon einmal bereit: Unsere Gegenwart ist nicht die erste, die Angst vor der Zukunft hat. Dabei hatte es ja eigentlich mal ganz gut angefangen: So ging die dänische Raumfahrtfantasie "Himmelskibet" vor nahezu 100 Jahren noch sehr hoffnungsvoll davon aus, dass die Reise ins Ungewisse des Alls den Kontakt zu einer höheren und also strikt pazifistischen Intelligenz herstellen und in Folge die Menschheit vor ihren selbstzerstörerischen Tendenzen bewahren würde. Die Scharen friedliebender Marsbewohner, die in weißen Gewändern den Edelmut ihrer Kultur zelebrieren, mögen heute naiv und romantisch wirken. Vor dem Hintergrund des Weltkriegsjahres 1918 müssen sie aber als insistierendes Gegenbild zum infernalischen Tosen des Kriegsapparats gedeutet werden, der den Kontinent zu diesem Zeitpunkt fest im Griff hat.

1918 war das Genre noch im Werden - noch nicht einmal ein Name dafür war gefunden. Auf den im Allgemeinen verlässlichen, im Detail allerdings verhexten Sammelbegriff "Science Fiction" einigte man sich Jahre später. Wiederkehrende Motive, Diskurse und Erzähltypen flottierten noch frei von der Last stilbildender Werke im Raum. Mit seiner Erstkontaktgeschichte festigte "Himmelskibet" (nach Vorarbeit von Jules Verne und George Méliès) allerdings frühzeitig einen maßgeblichen Erzähltopos, auf den das Genre bis heute immer wieder zurückgreift.


Krieg der Welten

Die Verschiebungen im Einzelnen sind dabei meist recht vielsagend: Nach den verheerenden Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs etwa und mit der Sorge auf den Schultern, dass sich der Kalte Krieg in einen heißen verwandeln würde, wäre die Aussicht auf Frieden aus dem All in den frühen 50ern naiv und lächerlich gewesen. Byron Haskins düstere Technicolor-Verfilmung von H.G. Wells' Romanklassiker "Kampf der Welten" war somit naheliegend. Der bis heute sehenswerte Film bündelt die Ängste seiner Zeit vor neuartigen Waffentechnologien und überraschenden Angriffen aus dem All - worin sich vielleicht auch eine Spur des amerikanischen Pearl-Harbour-Traumas verbergen mag.

Ridley Scotts "Alien" ließ in den späten 70ern die Menschheit aufs Neue ins All aufbrechen. In der undurchdringlichen Schwärze ist allerdings keine zivilisierende Kraft mehr als Schatz zu bergen. Vielmehr lauert dort der wendige, gefräßige Xenomorph, ein außerirdisches, nahezu vampirisches Wesen. Ein perfekter Kampforganismus, der die Reihen der Arbeiter des Erzfrachters Nostromo mit Guerillamethoden lichtet. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um diesen unmittelbar nach dem Vietnamdebakel entstandenen Film als Anspielung auf diese Niederlage einer technologischen Supermacht im undurchdringlichen Dschungel aufzufassen. Kurz zuvor immerhin hatte Steven Spielberg, der große Träumer, Aussöhner und Humanist des Hollywoodkinos, mit seinem "Close Encounters of the Third Kind" dem SF-Kino in Sachen Erstkontakt zwischen Mensch und Alien einen kindlichen, von Melancholie nicht völlig freien "sense of wonder" zurückverliehen. Das Wunder der Musik ist es, das hier ein Verstehen zwischen den Intelligenzen ermöglicht - ein frommer Wunsch inmitten eines krisengeschüttelten amerikanischen Jahrzehnts.


Die Außerirdischen erscheinen in Tokio

Zu den naiveren Erstkontaktfilmen zählt Koji Shimas Film "Die Außerirdischen erscheinen in Tokio" von 1956, der erste Farbfilm des klassischen japanischen Monsterfilmzyklus, in dem fremdartige Wesen nach Godzilla-Manier für Turbulenzen sorgen. Eine Erinnerung daran, dass der SF-Film immer auch in den Matinees der Kinder- und Jugendvorführungen der Kinos zuhause war und unweit der knalligen Bilderwelt der Groschenromane siedelte. Leider auch eine Erinnerung daran, dass die Retrospektive der Berlinale gerade diese naiven Ausläufer des phantastischen Kinos schmerzlich vernachlässigt. Mit der Computerparanoia-Geschichte "gog" von Herbert L. Strock aus dem Jahr 1954 ist immerhin ein waschechtes B-Movie der 50er vertreten. Ebenfalls den 50ern entspringt Don Siegels "Invasion of the Body Snatchers", dessen Ausgangslage - Weltraumsporen ersetzen die Mitmenschen durch seelenlose Doppelgänger - viel verrät über die Paranoia seines Entstehungsjahrzehnts: Ob die Paranoia hier eine rechte ist - der Kommunismus unterwandert die USA! - oder eine linke - der gesellschaftliche Konformismus erstickt jegliche Individualität im Keim! - bleibt dabei offen.


Welt am Draht

Stichwort: Körper und Identität. Auch hier hat das SF-Kino in seinen dystopischen Anwandlungen viel zu sagen. Grundsatzfragen stellt Rainer Werner Fassbinders restaurierter Fernseh-Zweiteiler "Welt am Draht", eine Adaption von Daniel F. Galouyes Roman "Simulacron-3": In einer Welt aus endlosen Spiegelungen und Kristallbildern dämmert es einem Bewohner, dass seine eigene konkrete Physis und die seiner Umgebung bloß eine Computersimulation und er selbst mithin bloß ein Datensatz sein könnte. In Ridley Scotts (sehr freier) Verfilmung von Philip K. Dicks Roman "Blade Runner" (1982) geht Harrison Ford als der (vom Typ her dem Film Noir entliehene) Ermittler Deckard in einem düster-verregneten Los Angeles der Zukunft auf Jagd nach Replikanten - äußerlich von echten Menschen zunächst nicht unterscheidbaren künstlichen Wesen, de facto Arbeitssklaven, die am Leben Geschmack gefunden haben und gegen ihr ab Werk eingebautes Verfallsdatum rebellieren. Ob Deckard selbst ein Replikant ist - darüber spekulieren die Fans bis heute. Sein Name klingt jedenfalls verdächtig nach dem des Aufklärungsphilosophen Descartes und erinnert somit an dessen berühmtes Diktum "Ich denke, also bin ich". Ein Replikant ist damit am Ende des Tages vielleicht auch nur ein Mensch.


THX 1138

Der  düstere, auf einen gesellschaftlichen Kollaps hindeutende Moloch Los Angeles in "Blade Runner" speist sich aus dem Subgenre der sozialen und urbanen Dystopie, einer weiteren Spezialität des Science-Fiction-Kinos. Dazu zählt Michael Andersons frühe Orwell-Verfilmung "1984" von 1956 genauso wie George Lucas' von den frühen Avantgarde-Ambitionen geprägter "THX 1138" (1971), Richard Fleischers Nahrungsmittel-Schocker "Soylent Green" (1973), Alex Proyas postmoderne Urban-Gothic-Fantasie "Dark City" (1998) oder Kathryn Bigelows hellsichtiger Medienthriller "Strange Days", der 1995 im Kino fürchterlich gefloppt ist. Es geht in dem Film um eine in vergnügnungssüchtigem Zynismus längst unterzugehen drohende Welt kurz vor der Jahrtausendwende: Mittels einer neuen, insbesondere den Schwarzmarkt befeuernden Technologie lassen sich in dieser Geschichte die Erinnerungen anderer Menschen aufzeichnen und konsumistisch erneut durchleben - gleichzeitig droht Los Angeles nach einem (von eben dieser Technologie aufgezeichneten) Übergriff rassistischer Polizisten auf einen Afro-Amerikaner wie ein Pulverfass zu explodieren. Als wütendes, fiebrig-flirrendes und subversives Meisterwerk des Action- und Thrillerkinos längst rehabiltiert, ist dieser Film ein bis in die heutige "Black Lives Matter"-Gegenwart hinein aktuelles Dokument seiner Zeit.


On A Silver Globe

Den Angstbildern des Westens stellt die Berlinale zudem auch einige solcher Bilder aus dem ehemaligen Ostblock entgegen. Freunde wuchtig-manischer Filmkunst kommen mit der frisch restaurierten Fassung von Andrzej Zulawskis "On A Silver Globe" voll auf ihre Kosten: Darin erzählt der im letzten Jahr verstorbene, polnische Auteur in verrätselt-hysterischen Bildern davon, wie notgelandete Astronauten eine außerirdische Zivilisation begründen, wie diese aufsteigt und wieder verfällt - ein hypnotischer Filmtaumel, der sich dem unmittelbaren Verständnis gekonnt entzieht. Gängiger ist da die tschechoslowakische Raumfahrtgeschichte "Ikarie XB-1" von Jindrich Polak, die sich in den frühen 60ern eher an den Vorbildern amerikanischer Technologiefantasien orientiert. Auch heute noch bekannt unter SF-Freunden ist dieser Film dafür, dass Stanley Kubrick in dessen exzellenter Schwarzweiß-Bildgestaltung einige Inspirationen für "2001" fand.

Für manchen, der während des Kalten Krieges Blut und Wasser schwitzte, mag es tröstlich erscheinen, dass man auch im Ostblock erhebliche Ängste ausstand, was das Ende der Welt betrifft. Als wahrer Vorschlaghammer erweist sich hier der bildgewaltige "Briefe eines toten Mannes" des ehemaligen Tarkowskij-Assistenten Konstantin Lopuschanski aus dem Jahr 1986, der pünktlich zur Tschernobyl-Katastrophe auch in einige deutsche Kinos auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gekommen ist: Der Film spielt in einer nahen Zukunft, in der sich die Menschheit endgültig in die Keller unter den Städten gebombt hat und in den dortigen nasskalten Gemäuern endlos darüber grübelt, was in der Menschheitsgeschichte nun eigentlich schief gelaufen ist und was für eine Gesellschaft der Zukunft von der in Trümmern liegenden Gegenwart aus noch möglich sein könnte. Lopuschanski schenkt sich und seinem Publikum wirklich nichts: Die vor Schmutz oft starrenden Bildwelten seines Lehrmeisters lässt er mit einem auf seltsame Weise anrührenden Betroffenheitskitsch amalgamisieren, was eine sehr kuriose, an der Grenze zur Parodie christologische Erzählwelt ergibt, die man so vielleicht auch von einem schwerst depressiven Terry Gilliam erwarten könnte. Nicht, dass der Film trashig wäre: Sein Furor, sein heiliger Zorn imponieren enorm. Auch sein unbedingter Wille, dem Publikum in jeder Sekunde einzuhämmern, wie wenig vergnüglich so ein Weltuntergang für die Beteiligten in aller Regel abläuft, wäre im westlichen SF-Kino so nicht möglich gewesen. Allen düsteren Prognosen und Spekulationen zum Trotz war dieses im Kern eben immer noch noch ein kommerzielles Unterhaltungskino, über dessen Wohl und Wehe an der der Kasse entschieden wurde. Wo der amerikanische Blockbuster seinerzeit also auch der totalen atomaren Vernichtung des Menschen noch Spannungskitzel abgewinnen konnte - in der Berlinale Classics Reihe nebenan läuft dazu passend die frisch restaurierte Fassung von James Camerons Meisterwerk "Terminator 2" -, macht die heilige russische Filmkunst auf vom Markt sehr losgelöste Weise Schluss mit solchen Erwägungen bezüglich des Mehrwerts von Weltuntergängen.


Briefe eines toten Mannes

Und unsere Gegenwart? Die misstraut der Zukunft eh. Aus dem SF-Kino ist ein Heimkehrerkino geworden: Filme wie "Moon", "Love", "Interstellar", "Der Marsianer" und in gewisser Hinsicht zuletzt auch "Passengers" mit Jennifer Lawrence umkreisten in erster Linie die Problematik, wie man aus diesem Weltall, in das man sich besser gar nicht erst aufgemacht hätte, wieder auf heimischen Boden zurückfindet. Weltraum und Zukunft als spekulative Verlängerungen unseres Hier und Jetzt haben an Reiz offenbar eingebüßt. Auch in Dennis Villeneuves gefeiertem "Arrival" kommen aus dem All zwar Aliens zu uns, nur um uns am Ende eben doch mit uns alleine zu lassen. In seinem sehr schönen aktuellen Roman "Aurora" beerdigt Kim Stanley Robinson auf ziemlich gründliche Weise die Idee, das Weltall mittels Generationen-Raumschiffe für die Menschheit zu erschließen. "Tomorrowland" mit George Clooney, einer der wenigen positiv gestimmten SF-Filme der letzten Jahre, versandete im Boxoffice-Niemandsland der Studio-Abschreibungen. Die populärste Dystopie unserer Tage indessen, Amazons Dick-Verfilmung "The Man in the High Castle", gruselt sich von vornherein in den 60er Jahren einer alternativen Geschichte, in der Japan und Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt haben. Ansonsten bestimmen Reboots, Sequels und Superhelden als SF-Schwundform das Genre. Selbst der Marvel-Film "Guardians of the Galaxy" springt in eine vom Hier und Heute gründlich entfernte Erzählwelt, nur um dort auch bloß auf jene 80er zu stoßen, die Netflix gerade in "Stranger Things" ausgekostet hat.

Vielleicht müssen wir uns aber auch einfach gar nicht mehr im Kino darüber vergewissern, wie endlich die Welt, wie wir sie kennen, im Grunde genommen ist. Diese Endlichkeit ist längst plausibel und konkret denkbar geworden. So gesehen haben die düsteren Filme dieser Retrospektive fast schon wieder tröstenden Charakter: Sie führen uns zurück in eine Zeit, in der es noch lohnenswert schien, von einer Zukunft zu träumen, die nicht erstrebenswert war. Eine Zukunft, die aus Perspektive dieser Vergangenheit unsere heutige Gegenwart ist.

"Future Imperfect - Science ° Fiction ° Film". 10. bis 19. Februar im Cinemax am Potsdamer Platz und im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums. Hier alle Filme und Vorführungstermine im Überblick.