Außer Atem: Das Berlinale Blog

Drei Spielarten deutschen Gegenwartskinos

Von Ekkehard Knörer
10.02.2005. Heute abend ist es soweit: ein rundum zufriedener, Fröhlichkeit verbreitender Dieter Kosslick geleitet Kristin Scott-Thomas und Joseph Fiennes zum Eröffnungsfilm der Berlinale: Regis Wargniers "Man to Man". Nicht unbedingt der beste Film im Programm, aber es gibt ja noch sooo viele andere. Wir berichten wie immer täglich. Hier erst mal eine Vorschau.
Berlinale-Chef Dieter Kosslick ist ein Mann des steten Wandels. Jedes Jahr hat er andere Argumente. Konnte es ihm zuletzt gar nicht genug Glamour sein, so verkündet er nun in allen Interviews, dass ihm der Starrummel inzwischen auf die Nerven geht. Man kann das verstehen, denn im letzten Jahr sind ihm am Eröffnungsabend die zum schauderhaften Eröffnungsfilm "Cold Mountain" erwarteten Stars Nicole Kidman, Renee Zellweger und Jude Law alle miteinander vom roten Teppich gehüpft. Da stand er dann alleine da.

Dieses Jahr nun, da ihm die Stars erklärtermaßen fast egal sind, kommen sie, wenigstens zum Eröffnungsabend. Kristin Scott-Thomas und Joseph Fiennes werden zum - Steigerungen sind immer möglich - nochmal schauderhafteren "Man to Man" über den Teppich marschieren, und Dieter Kosslick wird sein, was er immer zu sein scheint: ein rundum zufriedener, Fröhlichkeit verbreitender Mann.



Szenen aus "The life aquatic with Steve Zissou", "U-Carmen eKhayelitsha" und "Sometimes in April"

Auffallend ist, im Einklang mit Kosslicks neuer Star-Askese, die relative Abwesenheit der Hollywood-Blockbuster im Wettbewerb. Eingeladen sind eher Außenseiter-Produktionen wie die jüngste Komödie "The life aquatic with Steve Zissou" (offizielle Seite), des außerordentlich eigensinnigen, ganz aus einem beinahe hermetischen Anspielungskosmos heraus arbeitenden und erzählenden Wes Anderson, der auch mit seinen "Royal Tenenbaums" schon im Wettbewerb war. Die Tendenz der letzten Jahre, politisch engagiertes Kino nach Berlin einzuladen und groß zu präsentieren, setzt sich auch in diesem Wettbewerb fort. Leider war die Spannbreite von gut gemeinten Peinlichkeiten zu biederem Verbreiten unfroher Botschaften hin zum gelegentlichen Treffer dabei immer schon erschreckend groß. Diesmal gibt es zum Schwerpunkt Afrika eine südafrikanische "Carmen" und gleich zwei Filme über den Genozid in Ruanda, von denen Raoul Pecks "Sometimes in April" der interessantere sein dürfte. (Der andere ist Terry Georges "Hotel Rwanda", offizielle Seite) In letzter Minute nach der ursprünglichen Ablehnung dann doch noch eingeladen wurde die nach einem Drehbuch von Imre Kertesz entstandene Verfilmung des Hauptwerks des Nobelpreisträgers, "Roman eines Schicksallosen" (mehr hier).



Szenen aus: "Tian bian yi duo yun", "Der späte Mitterand" und "Les temps qui changent"

Bewährtes Autorenkino ist diesmal eher spärlich vertreten. Immerhin darf man auf Tsai Ming-Liangs neuestes Werk "Tian bian yi duo yun - Wolke auf Abwegen" ebenso gespannt sein wie auf den jüngsten Film von Andre Techine, der in "Les temps qui changent" Catherine Deneuve und Gerard Depardieu einander als einstiges Liebespaar nach Jahrzehnten wiederbegegnen lässt. Ganz aus dem Rahmen seiner sonst stets in Marseille angesiedelten Filme fällt der verlässliche Robert Guediguian, der in "Der späte Mitterand" genau das zeigt, was der Titel verspricht. Dafür dürfte bei Alexander Sokurovs "Die Sonne" das drin sein, was bei ihm immer drin ist: prätentiöses Kunstkino, angesiedelt diesmal im Japan der Nachkriegszeit.



Szenen aus: "One Day in Europe", "Gespenster" und "Willenbrock"

Dieter Kosslick ist auch ein Förderer des deutschen Films. Wiederum hat er drei deutsche Regisseure in den Wettbewerb gebeten, drei Spielarten deutschen Gegenwartskinos auch. Hannes Stöhr, der mit seinem dffb-Abschlussfilm "Berlin is in Germany" für Furore sorgte, treibt sich in "One Day in Europe" nun episodisch in ganz Europa herum. Marc Rothemunds "Sophie Scholl" entfaltet nach den Nazi-Biopics, die zuletzt die deutschen Leinwänden unsicher machten ("Der Untergang", "Napola"), nun die Biografie einer Widerständlerin. Freuen darf man sich auf Christian Petzolds ("Die innere Sicherheit") neues Werk "Gespenster", das von einer Frau erzählt, die aus Frankreich kommt und ihre Tochter sucht und in einer jungen Frau in Berlin auch zu finden glaubt. Und während Petzold zuletzt mit "Wolfsburg" noch in die Nebenreihe "Panorama" verdrängt wurde, ist dies in diesem Jahr das Schicksal des wettbewerberprobten und für "Nachtgestalten" und "Halbe Treppe" gleich zweifach mit dem Silbernen Bären ausgezeichneten Andreas Dresen, der sich an eine Verfilmung von Christoph Heins Roman "Willenbrock" gewagt hat. Neue Filme der sperrigen, aber interessanten deutschen Regisseure Lars Kraume und Fred Kelemen zeigen Panorama und Forum.



Regisseur Im Kwon-taek. Daneben Szenen aus "Wang Sib Ri" (1976) und "Chunghyan Dyeon" (2000)

Über alle Reihen verstreut hat man diesmal eine Auswahl-Retrospektive des Regisseurs Im Kwon-taek, der nach bisher 99 Filmen als Klassiker des koreanischen Kinos bei uns noch zu entdecken ist - die Mühe, im Programm nach den sieben Filmen (mehr), die gezeigt werden, zu suchen, wird in jedem Fall belohnt. Sehr stark vertreten ist in allen Reihen traditionell das asiatische Kino, auffällig ist in diesem Jahr dagegen die recht geringe Präsenz der osteuropäischen Kinematografien. Aus dem deutlich reduzierten Programm gefallen ist die eigentlich allseits beliebte Mitternachtsschiene des Delphi, die gerne populäres Kino aus Hongkong vorführte; was man, am anderen Ende des Spektrums, ebenfalls vermisst, sind die vielstündigen Dokumentationen, für die man das Forum immer geliebt hat.



Szenen aus: "This Charming Girl", "Veer-Zaara" und "Kong que"

Aus Asien: Nach ihrem wunderbaren, vor ein paar Jahren gezeigten "Mars Canon", ist die japanische Regisseurin Kazama Shiori im Forum nun mit ihrem neuen Film "World's End/Girl Friend" vertreten. Aus Bollywood gibt es nach dem kleinen Schwerpunkt im letzten Jahr nur den großen Blockbuster "Veer-Zaara" (offizielle Seite), dessen pakistanisch-indische Liebesgeschichte auf dem Subkontinent schon Wunder der Völkerverständigung gewirkt haben soll (mehr darüber hier). Das Zeug zum Publikumsliebling hat auch der koreanische Film "This Charming Girl" des Regisseurs Lee Yoon-ki, der beim Festival in Pusan bereits einen der Hauptpreise gewonnen hat. Mit vielen Beispielen vertreten ist die seit einigen Jahren blühende und von der Berlinale mit liebevoller Aufmerksamkeit beobachtete Kinematografie Chinas. Die vielen kleineren Filme, die das Forum zeigt, dürften dabei allemal spannender sein als der eher offiziöse Wettbewerbsbeitrag "Kong que - Der Pfau" des Kameramanns Gu Chang wei, der einem im Katalog mit der Androhung "poetischer Bilder" gleich mal verleidet wird.



Szenen aus: "Hana & Alice" und "Turtles Can't Fly"

Neu eingeführt wird im Rahmen des Kinderfilmfests die Junge-Erwachsene-Reihe "14 plus", in der zwei Highlights schon feststehen und auch denjenigen locken dürften, der sich sonst auf die anderen Reihen konzentriert: Zum einen "Hana & Alice" (offizielle Seite) des japanischen Kultregisseurs Shunji Iwai ("All About Lily Chou-Chou", Rezension), zum anderen Bahman Ghobadis finsterer "Turtles Can't Fly" (offizielle Seite), der in den kurdischen Flüchtlingslagern im Grenzgebiet zwischen Irak und Iran angesiedelt ist.



Szenen aus: "L'Eclisse", "Der große Mogul" und "Yukinochos Rache"

Ein einziges Fest für den Liebhaber des klassischen Kinos wird in diesem Jahr die Retrospektive, die zur wirklich erfreulichen Abwechslung nicht autorenzentriert ist, sondern sich einem Thema widmet: dem Production Design. Eine Quasi-Werkschau ist dennoch eingebaut, gewidmet ist sie Stanley Kubrick, zu dessen Filmen es zeitgleich auch eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau gibt. Auf einzelne Filme - die meisten von ihnen treiben dem Cineasten Tränen der Begeisterung, dem zwangsweise aufs Aktuelle konzentrierten Kritiker eher Tränen des Bedauerns ins Auge - kann man dabei kaum hinweisen. Entdeckungen sind freilich auch hier unter den asiatischen Beispielen zu machen, von Kon Ichikawas "Yukinochos Rache" über Satyajit Rays "Das Musikzimmer" bis zum wahrhaft atemberaubenden Bollywood-Klassiker "Der große Mogul" von Karim Asif der gerade auch in Indien mit großem Erfolg in den Kinos wiederaufgeführt wurde.

Ekkehard Knörer

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