Außer Atem: Das Berlinale Blog

Revoltierende Bauern in Boris Khlebnikovs 'A long and happy life' (Wettbewerb)

Von Nikolaus Perneczky
09.02.2013. Obwohl "A Long and Happy Life" ("Dolgaya schastlivaya zhizn") im Einzelnen wenig Ungewöhnliches versucht, ist er insgesamt ein sonderbarer, schwer fasslicher Film. Weil Regisseur Boris Khlebnikov keines seiner Motive mit irgendeiner Konsequenz weiterverfolgt, weil die Signale des Films verlöschen, bevor sie zu einer Stimmung oder Tonlage sich verdichten könnten, kurz, weil "A Long and Happy Life" den unausgeschlafenen Kritikern in der frühmorgendlichen Pressevorstellung unentschlossen und zielunsicher erschienen sein mochte, täten die Buchmacher gut daran, seine Wettbewerbsfähigkeit eher niedrig anzusetzen.


Obwohl "A Long and Happy Life" ("Dolgaya schastlivaya zhizn") im Einzelnen wenig Ungewöhnliches versucht, ist er insgesamt ein sonderbarer, schwer fasslicher Film. Weil Regisseur Boris Khlebnikov keines seiner Motive mit irgendeiner Konsequenz weiterverfolgt, weil die Signale des Films verlöschen, bevor sie zu einer Stimmung oder Tonlage sich verdichten könnten, kurz, weil "A Long and Happy Life" den unausgeschlafenen Kritikern in der frühmorgendlichen Pressevorstellung unentschlossen und zielunsicher erschienen sein mochte, täten die Buchmacher gut daran, seine Wettbewerbsfähigkeit eher niedrig anzusetzen.

Khlebnikov, in Deutschland vornehmlich für seinen Debütfilm "Koktebel" von 2003 bekannt, eröffnet seine Dorfgeschichte mit einer Szene, worin der Kleinunternehmer Sasha von lokalen Regierungsbeamten dazu gedrängt wird, seine kleine Farm auf der nordrussischen Halbinsel Kola gegen eine ansehnliche Kompensation aufzugeben. Die Entscheidung, so lässt sein Gegenüber – zwischen Halogenbeleuchtung und einem beflaggten Wimpel – durchblicken, sei bereits gefallen, Sasha habe also gar keine andere Wahl. Ausgehend von dieser Szene, die in ihrem prosaischen, im Handkameralook eingefangenen Setting, aber auch in ihrer halb ironischen, halb denunziatorischen Figurencharakteristik durchaus als Auftakt zu einer russischen Variante von "The Office" durchgehen könnte, erzählt Khlebnikov eine Geschichte, die noch mehrere Male ihre Ton- und Gangart ändern wird. Ohne seine Wandelbarkeit als erzählerischen Effekt herauszukehren, wurschtelt sich "A Long and Happy Life" in Engführung mit seinem Protagonisten durch eine Abfolge kurzer Szenen, deren affektive Ladung stets im Zweideutigen verbleibt und manchmal: versandet.

Für eine Weile, nachdem Sasha sich von seinen Arbeitern überreden hat lassen, gegen die erzwungene Enteignung anzugehen, glaubt man sich im Reich eines russischen Frank Capra, der den turbokapitalistischen Machenschaften der Dorfelite eine populistische Aufbauideologie – Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt! – entgegensetzt. Der schelmische Sasha begeistert sich und diejenigen unter uns, die sich von so etwas begeistern lassen, und für kurze Zeit sieht es tatsächlich so aus, als ob es diesem hoffnungsfrohen Kleinbauern gelingen wollte, den Bürokraten zu widerstehen. Interessantes Detail am Rande: Sasha, dieser James Stewart der fennoskandinavischen Seenplatte, ist nicht nur geborener Städter, sondern auch noch ein Jude, in seiner Drehbuchfunktion also exakt gegen das antisemitische Stereotyp gecastet. Dieser sehr sympathische Move – eines Films, der seine Themen überall offen ausspricht – wird aber leider von Andeutungen abgeschwächt, wonach Sashas Antipode, ein ruchloser Großbauer, auch kein Weihnachten feiere...



Der quasi-revolutionäre Elan ist indes nicht von Dauer, im Ernstfall entpuppt sich das einfache Volk als zu ängstlich und seine vollmundigen Deklarationen als nicht belastbar. Aber auch diese Wendung – wie Sashas Arbeiter einer nach dem anderen von der gemeinsamen Sache abfallen – entwickelt keinen narrativen Drive, fügt sich in kein dramaturgisches Muster. Khlebnikov weist alle Gelegenheiten, seine absichtlich kleine Geschichte in den Modus des larger than life zu übersteuern, souverän von sich, auch wenn am Ende nicht wirklich klar wird, was mit dieser Souveränität gewonnen ist. Die anfangs heiteren, später immer düstereren Ereignisse plätschern in "A Long and Happy Life" einfach so vor sich hin, wie der Fluss, an dem Sashas Haus und Gehöft gelegen sind. Von diesem Gleichmut, dem auch die zackige Handkamera nichts anhaben kann, strömt der muffige Duft des Existenziellen aus: Dies sind die Kämpfe, die man immer schon ausgefochten hat und auch in Zukunft ausfechten wird, im ein bisschen pittoresken, ein bisschen rauen Nordosten Russlands.

Nikolaus Perneczky

"Dolgaya schastlivaya zhizn" (A Long and Happy Life). Regie: Boris Khlebnikov. Mit Alexander Yatsenko, Eugene Sitiy, Anna Kotova u.a., Russische Föderation 2013, 77 Minuten (alle Vorführtermine)