Außer Atem: Das Berlinale Blog

Unentschieden: Yann Demanges '71' (Wettbewerb)

Von Anja Seeliger
08.02.2014. In Yann Demanges "'71" muss sich ein britischer Soldat nachts allein durch das feindliche Belfast schlagen. Ihm auf den Fersen: IRA und eine Spezialeinheit der britischen Armee.


Das Beziehungsgeflecht im Irlandkonflikt in den siebziger Jahren waren mindestens so kompliziert wie die Bismarcksche Bündnispolitik: soviel hat man nach einer Stunde aus Yann Demanges Wettbewerbsbeitrag "'71" gelernt. Zwischen alle Fronten gerät ein junger Soldat, Gary Hook aus Derbyshire, der bei einem außer Kontrolle geratenen Einsatz von seiner Truppe getrennt wird und nachts allein zu den Kasernen zurückfinden muss. Hook war erst vor wenigen Tagen nach Belfast versetzt worden. Er hat keine Ahnung wo er ist und wie er zurückfinden soll. Zwei junge Männer haben ihn schießend durch halb Belfast gejagt, jetzt sitzt er heulend in einem Gartenklo, seinen Freund hat es gleich zu Beginn erwischt.

Es war die erste lange Verfolgungsjagd und die spannendste. Demange hat sie ganz dicht an Hook gefilmt: Man rennt quasi mit ihm, keucht mit ihm, riecht seine Panik. Bei der nächsten Verfolgungsjagd ist das schon nicht mehr ganz so spektakulär. Immer geht es durch ein fast menschenleeres Belfast, mit schmalen Gassen, kleinen Hintertüren in die Gärten oder die leeren Gänge eines großen Wohnblocks. Ein gelblich-oranges Licht liegt über der Stadt, überall liegen verkohlte oder noch brennende Autowracks. "Looks like Leeds", scherzte noch am Morgen ein schockierter Soldat. Das ist der Actionfilm.



Gejagt wird Hook von zwei radikalen Jungmännern der IRA, die sich ihrem älteren Boss widersetzen. Um sie auszuschalten und den Soldaten in die Kaserne zurückzubringen, verbündet sich der Alte mit einem Offizier der britischen Spezialeinheit MRF, der selbst gerade einen Bombenanschlag plant. Leider explodiert die Bombe, bevor sie an ihren Bestimmungsort gebracht werden konnte. Und leider hat Hook sie zufällg vorher gesehen. Jetzt hat der nichtsahnende Hook beide auf den Fersen: IRA und Armee. Das ist der politische Film.

Und dann gibts noch den gesellschaftskritischen Film: Wie verhalten sich die Unschuldigen? Die noch nicht zum Mörder gewordenen?

Alle drei Filme sind spannend inszeniert. Demange hätte sich nur für einen von ihnen entscheiden müssen.

Anja Seeliger

'71. Regie: Yann Demange. Darsteller: Jack O'Connell, Sean Harris, Richard Dormer, Paul Anderson. Großbritannien 2014, 100 Minuten (Wettbewerb, alle Vorführtermine)