Außer Atem: Das Berlinale Blog

Das Arthauskino wird man nicht so einfach los: 'Plein sud' von Sebastien Lifshitz im Panorama

Von Lukas Foerster
14.02.2010. Zur Titelsequenz und laut aufgedrehter Musik tanzt Lea (Lea Seydoux) verführerisch und zieht sich dabei aus. Für die Kamera, der sie sehr dicht zu Leibe rückt, und für Sam (Yannick Renier). Der ist für ihre Reize unempfänglich. Sam ist schwul, genau wie Leas Bruder Mathieu. Die drei sind gemeinsam im Auto unterwegs, in Richtung Süden und vorerst reagiert Sam auf Mathieus Avancen nicht anders als auf die Leas. In einem Einkaufszentrum treibt Lea einen brünett gelockten vierten Reisegefährten auf, was dem erotischen Gleichgewicht zumindest mittelfristig guttun wird.


Zur Titelsequenz und laut aufgedrehter Musik tanzt Lea (Lea Seydoux) verführerisch und zieht sich dabei aus. Für die Kamera, der sie sehr dicht zu Leibe rückt, und für Sam (Yannick Renier). Der ist für ihre Reize unempfänglich. Sam ist schwul, genau wie Leas Bruder Mathieu. Die drei sind gemeinsam im Auto unterwegs, in Richtung Süden und vorerst reagiert Sam auf Mathieus Avancen nicht anders als auf die Leas. In einem Einkaufszentrum treibt Lea einen brünett gelockten vierten Reisegefährten auf, was dem erotischen Gleichgewicht zumindest mittelfristig guttun wird.

Genau so lange, wie das Reiseziel unklar bleibt, kann man darauf hoffen, dass "Plein sud", der neue Film des Franzosen Sebastien Lifshitz, dessen letzter Film "Wild Side" vor fünf Jahren ebenfalls im Panorama zu sehen war und zumindest Lust machte auf weitere Arbeiten seines Regisseurs, auf der richtigen Spur ist mit den Bildern, die er sucht. Wie in der Titelsequenz rückt Lifshitz mit seiner nervösen, agitierten Kamera seinen Figuren und der Welt, durch die sie sich bewegen, immer wieder ganz nahe auf den Leib, so nahe manchmal, dass da auf der Leinwand nur noch Texturen sind und pulsierendes Fleisch. So nahe, dass die souveräne Zuschauerperspektive, die aufs Sortieren aus ist und auf Kontrolle, flöten geht. Dass man sich zu dem Film von Anfang an, weil schon auf der unmittelbaren Bildebene, anders verhalten muss denn souverän ordnend. Zusätzlich greift das Homemovie im Film, das Mathieu dreht, immer wieder auf den Film über, die defizitären Texturen des Videobildes brechen in die 35mm-Welt ein und zerstören deren Kontinuität.

Zugegeben: schon in diesen ersten Szenen erscheint das alles nicht immer konsequent, manchmal wird da auch nur einfach die Straße gefilmt und lässige Musik daruntergelegt. Und das hat man in den letzten Jahren einfach zu oft gesehen. Was mir an einigen dieser Bilder aber doch gefallen hat, ist wahrscheinlich eher eine entfernte Verwandtschaftsbeziehung, nämlich eine zu den Arbeiten von Philippe Grandrieux (Sombre, Un lac). Der dreht tatsächlich solche Filme; Filme gegen das repräsentative Regime der Kamera, Filme, die man nicht auf Distanz halten kann, sondern denen man den Puls fühlen muss. Man muss sich nicht Grandrieux' Privatmythologie, in der Gilles Deleuze' filmtheoretisches und philosophisches Werk eine wichtige Stellung einnimmt, verschreiben, um von diesen Filmen fasziniert zu sein. Was Lifshitz macht, in seinem neuen Werk ebenso wie eigentlich auch schon in "Wild Side", das wäre dann vielleicht, dass er den radikalen Impuls Grandrieux' aufgreift, entschärft und anschließend arthausgerecht aufbereitet.

Wo Grandrieux lediglich schematische Situationen entwirft, in der er eine handvoll Figuren platziert und anschließend seine entfesselte Kamera auf sie hetzt, braucht das Arthauskino, dem Lifshitz sich doch immer wieder und am insbesondere gegen Ende des Films mit Haut und Haaren verschreibt, jede Menge fein säuberlich ausgestanztes Spielmaterial. Des Arthauskinos liebstes Spielmaterial ist nach wie vor die Familie. Und so kommt auch "Plein sud" nicht daran vorbei, die anfangs noch nicht nur in sexueller Hinsicht offene Konstellation auf ein Familiendrama samt Schuldkomplexen, Zerwürfnissen, inzestuösen Anwandlungen, Selbstmord, Alkoholismus und bedeutungsschwangeren Rückblenden zurück zu biegen. In einer dieser Rückblenden bohrt Sam mit dem Zeigefinger in der Schusswunde, die sein Vater sich selbst zugefügt hat. Der Film bohrt mit und je tiefer er vordringt, desto öder wird die Angelegenheit. Die anfangs vorsichtig freigelassenen Energien hatten immer schon eine Leine um den Hals und werden nun schnell wieder eingefangen. Die Rückblenden überlagern die anfangs noch wilden, energischen Bilder der Autofahrt, streng genommen negieren sie sie sogar, löschen sie aus, verwandeln sie in Befindlichkeitskitsch und wenn die vier schließlich am südfranzösischen Strand anlangen, ist eigentlich schon alles zu spät. Obwohl der Film noch fast eine ganze Stunde weiterläuft.

Sébastien Lifshitz: "Plein sud". Mit Yannick Renier, Léa Seydoux, Nicole Garcia, Théo Frilet, Pierre Périer. Frankreich 2009, 90 Minuten (Vorführtermine)