Außer Atem: Das Berlinale Blog

Erzählt von der Gewalt in Mexiko: Tatiana Huezos 'Tempestad' (Forum)

Von Thekla Dannenberg
19.02.2016. Mit ihrer Dokumentation gibt Tatiana Huezo grausam misshandelten Frauen eine Stimme, die im eigenen Land nicht gehört werden.


Tatiana Huezo hat sich für ihren Film "Tempestad" enorm viel vorgenommen. Sie will von der Gewalt erzählen, die in Mexiko an Frauen und ihren Körpern begangen wird, und sie will dieser Gewalt filmisch etwas entgegensetzen. Deshalb zeigt sie die Gewalt und ihre Folgen nicht. Sie lässt ihre Protagonistinnen zu Wort kommen zu, hört ihnen zu und bemüht sich um Verständnis. Es ist ein nachvollziehbares Konzept, aber es geht nicht unbedingt auf.

Huezo erzählt die unfassbare Geschichte zweier Frauen, die körperlich und seelisch zerstört wurden, wofür niemand je zur Rechenschaft gezogen wurde. Die erste Geschichte ist die einer jungen Mutter, die bei den Einwanderungsbehörden im Hafen von Cancun arbeitete, bis sie mit ihren Kollegen von einer Sondereinheit verhaftet wurde, unter dem Verdacht des Menschenschmuggels. Ohne je einen Richter gesehen zu haben, wird sie ein vermeintlich selbstverwaltetes Gefängnis in Matamoros gesteckt, was nichts anderes bedeutet, als dass sie schutzlos den Drogenkartellen ans Messer geliefert wird. Der Film folgt ihr vom Tage ihrer Freilassung - aus Mangel an Beweisen, auf einer Bustour über zweitausend Kilometer durch das Land, zurück in ihren Heimatort Tulum. Wir bekommen nur die Mitreisenden zu Gesicht, nicht sie selbst, ihr Körper ist nach monatelangen Misshandlungen und Vergewaltigungen schwer verstümmelt. Je länger die Busfahrt durch das von tropischem Regen umtoste Land dauert, umso bedrohlicher werde die vielen Polizei-Kontrollen: Am Anfang noch im Sinne der Sicherheit hingenommen, werden sie mehr und mehr zu Wegelagerern, denen man nicht lebend in die Hände geraten will.

Die zweite Geschichte ist die einer bereits etwas älteren Frau. Sie arbeitet als Clown in einem kleinen ärmlichen Provinzzirkus. Vor zehn Jahren ist ihre Tochter verschwunden, die Suche nach der jungen Studentin blieb vergebens. Wie sich im Laufe der Zeit jedoch herausstellte, wurde sie von dem jungen Kerl, mit dem sie an der Universität befreundet war, an einen Menschenhändlerring verkauft. Der Mann hat mit dem Sohn des örtlichen Polizeichefs gemeinsame Sache gemacht. Während diese Frau ihre traurige Geschichte erzählt, sieht man sie und ihre Nichten für den kleinen Zirkus trainieren, dessen Bescheidenheit einen barmt. Doch aus den kleinen Mädchen sollen Artistinnen werden. Ihre Körper werden gedehnt, gestreckt und verbogen, als hätten sie Knochen aus Gummi. Auch das eine Zurichtung.

Huezo mutet ihren Zuschauern viel zu, an Konzentration, an Aufmerksamkeit und an Vermögen, die ständige Schere zwischen Bild und Ton zu erschließen. Die Erzählungen der beiden Frauen sind von unfassbarer Grausamkeit. Man muss sie glauben. Huezo zeigt nichts, sie recherchiert nicht, sie interessiert sich nicht für die Täter. Sie interessiert sich für die Opfer. Sie gibt Frauen eine Stimme, die in Mexiko nicht gehört werden.

Tempestad. Regie: Tatiana Huezo. Dokumentarfilm. Mexiko 2016, 105 Minuten. (Vorführtermine)