Außer Atem: Das Berlinale Blog

Unter dem Gesetz der Väter: 'Nakom' aus Ghana und 'Sand Storm' aus Israel (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
12.02.2016. Kelly Norris' und TW Pittmans "Nakom" aus Ghana und Elite Zexers "Sand Storm" aus Israel erzählen vom Ausbruch junger Menschen aus traditionellen Strukturen.


"Sand Storm", das Debüt der israelischen Regisseurin Elite Zexers, beginnt mit einer Autofahrt durch die eine imposante Landschaft der Negev-Wüste, vorbei an Siedlungen, in denen Zelte, ärmliche Schuppen und karge Häuser kaum voneinander zu unterscheiden sind. Am Steuer sitzt die junge Laila; wenn es niemand sieht, lässt der Vater sie Autofahren, über ihre mittelmäßigen Schulnoten ist er milde erbost, von so einem aufgeweckten Mädchen hätte er mehr erwartet. Ein Mann der Moderne, wenn es ihm gefällt.

Wenn es ihm mehr nützt, ist er ein Mann der Tradition. Es ist der Tag seiner Hochzeit und der muss gefeiert werden, auch wenn es für kaum einen Beteiligten Grund zur Freude gibt: Denn der Vater, Suliman, holt sich eine zweite Frau ins Haus. Männer und Frauen essen und tanzen in getrennten Zelten. Während Suliman Oberwasser hat und schon mit den anderen Clanchefs den Brautpreis seiner Tochter verhandelt, kann die Mutter in ihrer Wut kaum an sich halten: Vor dem Fest musste sie bereits in den neuen Lustgemächern ihre Mannes das Bett aufbauen, jetzt bekommt sie, um die Demütigung perfekt zu machen, beim Tanzen einen Schnurrbart angeklebt. Die junge Zweitfrau sitzt derweil ausstaffiert wie ein Paradiesvogel und unter etlichen Lagen von Hochzeitstüll unbeachtet und ebenso unglücklich in der Ecke. Suliman hat sie praktisch von der Straße geholt, in seinem Alter wird so etwas von ihm erwartet. Überhaupt tut er immer genau das, was man von ihm erwartet, und das ist selten etwas Gutes.

Das Drama entspinnt sich, als die Mutter entdeckt, dass Laila sich in einen Mitschüler verliebt hat. Sie verbietet ihr, weiter in die Schule zu gehen - aus eigener Frustration und Verletztheit, aber auch aus Furcht und Sorge, das Mädchen könne sich mit der Romanze die Zukunft ruinieren. Die kämpferische Laila setzt dagegen alles daran, nicht so enden zu müssen wie ihre Mutter. Sie sieht in ihr nur noch die abgelehnte Frau und hört immer weniger auf ihre Ratschläge. Auf kleinem Raum, bei alltäglichen Verrichtungen, inszeniert die Regisseurin Lailas Kampf um Selbstbestimmung mit ungeheurer Dynamik. Anziehung und Abstoßung wechseln sich ab, immer wieder treffen die Kräfte aufeinander beim Wäschewaschen und Brotbacken.

Mutter und Tochter kämpfen gegen das Gesetz der Väter, doch fechten sie diesen Kampf untereinander aus: Sie bekämpfen und missverstehen sich, solidarisieren sich und lassen einander im Stich, und erfahren dabei doch stets als letzte, was der Vater für sie entschieden hat. Ruba Blal-Asfou spielt die Mutter, Jalila, mit ungeheuer Kraft, man liebt diese Frau in all ihrer Wut und Bitterkeit. Und doch ist man immer auf der Seite der jungen Laila, egal, wieviel Schaden sie anrichtet, mit ihrem Mut und ihrer Blauäugigkeit, einfach weil sie so jung ist und um ein eigenes Leben kämpft. Aber nicht nur. Das macht "Sand Storm" so deutlich wie auch "Nakom". Man kämpft vielleicht für sich allein, aber nicht allein für sich. Es gibt immer auch noch die jüngeren Schwestern und Brüder, die Töchter und die Söhne.

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"Nakom" ist die Komplementär-Erzählung zu "Sand Storm". Doch während die junge Layla von der Tradition mit aller Macht hinuntergedrückt wird, wird der junge Ghanaer Idrissu heruntergezogen. Die Unfreiheit ist ähnlich, doch die Chancen, einen Kampf zu gewinnen, sind anders verteilt.

Die Verwandlung des jungen Idrissu geschieht in Nullkommanichts: Eben noch Medizinstudent in Accra, der mit seiner Freundin den Tag im Bett vertrödelt, wird er nach dem Tod seines Vaters ins heimatliche Dorf zurückbeordert. Für seine Familie ist er sofort der Master, und das patriarchale Etikett, das ihn als Oberhaupt seiner Familie ausweist, haftet an ihm wie Blei. Denn prompt wird er für alle Sorgen und Nöte in Verantwortung genommen: für die Schulden beim Onkel, der droht, den Hof an sich zu reißen, wenn er nicht bald sein Geld bekommt, für die Ausbildung seiner jungen Geschwister, für den nichtsnutzigen Bruders, die von ihm schwangere Cousine Fatima, für die Ernte. Jeder will etwas von ihm, alle zerren an ihm. Hier ruft die Verantwortung, dort gemahnt die Pflicht. Und wenn der Druck der Familie nicht reicht, dann tritt der Chief auf den Plan und sagt dem Jungen, wo sein Platz ist. Nicht in Accra, nicht an der Uni, sondern hier. Im Dorf. "Bauer bleibt Bauer", hatte schließlich auch seine Freundin in Accra über ihn gespottet. Die Frauen seiner Familie drücken es verführerischer aus: "Wenn ein Mann tanzt, dann schlagen die Trommeln für ihn."

Dem westafrikanischen Kino ist seit Ousmane Sembene das Lehrstückhafte eigen. Die beiden amerikanischen Filmemacherinnen Kelly Norris und TW Pittman fügen sich umstandslos in dieses Erzählen ein. Jede Szene wirft aus einem unterschiedlichen Blickwinkel Licht auf diese unüberschaubare Gemengelage aus strukturellen Zwängen, verkapptem Eigennutz, solidarischem Zusammenhalt und unerbittlicher Härte. Die Mutter fordert die Beachtung der Tradition und meint sich selbst. Der Chief setzt auf die Kraft der Jugend und meint Gewinn. Geschönt wird hier nichts: Von den Erwachsenen werden ohne viel Federlesen Hähne und Ziegen geschlachtet, von den Kindern mit unverhohlener Freude Echsen aufgespießt und gegrillt. Dazu läuft allerdings der entspannte Senegal-Sound von Daby Balde oder die hypnotische Musik des malischen Duos Amadou und Mariam.

Norris und Pittman beweisen einen sehr genauen Blick für die Zwänge, in denen die Menschen Ghanas stecken, sie kennen sich gut aus im Land. Doch ihre Erzählung atmet immer auch ein wenig den Geist des amerikanischen Peacekorps. Idrissu führt eine demokratische Gender-Kultur in den Haushalt ein, so dass auch die Schwester ihre Ausbildung bekommt und die Zweitfrau solidarische Aufnahme finden. Zudem bestellt er mit Vernunft das Feld, verkauft die Ernte auf gleich mehreren Märkten, profitiert von modernen Kommunikationsmittel und seinem unternehmerischen Knowhow. Im Handbuch für Kleinunternehmer im ländlichen Afrika hätte das nicht exemplarischer stehen können. Und sie greifen zu kräftiger Metaphorik: Dann muss die arme Fatima im Niemandsland zwischen Tradition und Moderne eine Totgeburt zur Welt bringen. In einer tollen Szene allerdings lassen sie den Chief völlig in die Irre gehen. Da erzählt er, wie er im Traum auf einen Schlag seine beiden Hunden verlor: Als er den einen für eine Beerdigung schlachten lässt, läuft der andere Hund fort. Der Witz ist: Der Chief glaubt, seine Geschichte sei eine Parabel auf den weißen Mann.

Sufat Chol - Sand Storm. Regie: Elite Zexer. Mit Lamis Ammar, Ruba Blal-Asfour, Haitham Omari, und anderen. Israel 2015, 88 Minuten (Vorführtermine)

Nakom. Regie: Kelly Norris und TW Pittman. Mit Jacob Ayanaba, Grace Ayariga, Abdul Aziz und anderen. Ghana/USA 2016, 90 Minuten. (Vorführtermine)