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Erhabene Klarheit: Antoine Barrauds 'Le dos rouge' (Forum)

Von Patrick Holzapfel
11.02.2015. Antoine Barrauds "Le dos rouge"ist eine Reflexion über Kunst und Wahrnehmung und die Ausbreitung des Monströsen.


Mit "Le dos rouge" hat Antoine Barraud einen wundervollen Film über unsere Auseinandersetzung mit Kunst gemacht. Dabei geht es ihm um die Wahrnehmung durch den Betrachter, den Künstler und die Gewalt und Schönheit, ja die Unmöglichkeit einer Gerechtigkeit im Umgang mit Kunst. Dass ein solcher Film auf einem Festival, auf dem man jeden Tag Kunstwerke betrachtet, eine ganz besondere Wirkung entfalten kann, ist klar. Im Zentrum des Films bewegt sich eine dieser verzweifelten Künstlerfiguren, ein Regisseur, der von einem dekadent nüchternen und in allen Belangen herausragenden Bertrand Bonello verkörpert wird, der ein Monster sucht und es nicht findet.

Auf der Suche nach seinem nächsten Film und seiner eigenen Identität wird der Filmemacher Bertrand immer mehr eingenommen von diesem Thema der Monstrosität. Er trifft eine Frau, die ihn durch Museen führt. Aber mit ihr stimmt etwas nicht. Gemeinsam suchen sie nach dem Monströsen in unterschiedlichen Kunstwerken. Sie verändert sich nach und nach und wird - ähnlich wie in Luis Buñuels "Cet obscur objet du désir" - von zwei unterschiedlichen Darstellerinnen gespielt. Gemeinsam mit dem Protagonisten beginnt man der Realität zu misstrauen. Gleichzeitig beobachtet Bertrand wie ein roter Fleck auf seinem Rücken immer größer wird, dieses Monströse also tatsächlich an seinem eigenen Körper zu wachsen beginnt. Der Film lässt sich Zeit mit der Betrachtung großer Maler wie Renoir, Bacon oder Caravaggio. Nicht die Flüchtigkeit eines Blicks ist hier entscheidend, sondern seine Genauigkeit und Dauer. Man lernt hinzusehen.

Das Thema der Monstrosität schlachtet Barraud mit den unheimlichen Motiven von Doppelgängern, Bedeutungsveränderungen und surrealistischen Ereignissen förmlich aus. Immer wieder wechseln sich tiefenpsychologische Interpretationen, bedeutungsgeladene Musikverweise und waghalsige Poesie ab. Insbesondere mit den Persönlichkeiten seiner Darsteller von Bonello, über Jeanne Balibar, Alex Descas bis zu Joana Preiss spielt der Regisseur. In diesem Sinn ist "Le dos rouge" auch ein Film über den Widerspruch zwischen Mensch und Kunst, und eine Besprechung des Films kommt fast einem Affront gegen jene Ideale gleich, die der Film in seinem künstlerischen Autonomiebestreben äußert. So wird ein junger Journalist von Bertrand bloßgestellt. Der Filmemacher verweigert dem jungen Mann ein Interview, um ihn ein paar Wochen später wieder zu treffen. Erst scheint dies eine nette Tat zu sein, dann aber freundet sich der Künstler nur mit dem Kritiker an, um ihn für ein Projekt zu benutzen.

Die langen, betont nachdenklich-lyrischen Einstellungen und die erhabene Klarheit des Films mögen manchmal wie bemühte Künstlichkeit wirken. Aber Barraud findet immer wieder großartige zwischenmenschliche und einsame Momente zwischen den Kunstwerken und beleuchtet damit auch die Frage des Dialogs mit der Kunst.

Nach dem Film wird man sich den anderen Filmen auf dem Festival anders nähern. Im besten Fall mit mehr Respekt für das Hinsehen, die Zeit und das Leben der Filme.

Antoine Barraud: "Le dos rouge - Portrait of the Artist". Mit Bertrand Bonello, Jeanne Balibar, Géraldine Pailhas, Joana Preiss, Pascal Greggory, Sigrid Bouaziz, Valérie Dréville, Nicolas Maury, Barbet Schroeder, Nathalie Boutefeu, Nazim Boudjenah, Isild Le Besco, Alex Descas, Marta Hoskins, Charlotte Rampling. Frankreich 2014, 127 Minuten. (Vorführtermine)