Außer Atem: Das Berlinale Blog

Französisch lernen: "Love is Strange" von Ira Sachs

Von Lukas Foerster
07.02.2014. Ira Sachs' "Love is Strange" (Panorama) erzählt leise, gelassen und im Gegenlicht von bourgeoisen Problemen, die es nicht sind.


"Love is Strange" - die Liebe ist sonderbar. Es ist aber eher eine leise, ironische Form von Sonderbarkeit, der Ira Sachs in seinem neuen Film auf der Spur ist. Ben (John Lithgow) und George (Alfred Molina), zwei Männer fortgeschrittenen Alters, sind seit Jahrzehnten zusammen, leben auch schon ewig gemeinsam; und ausgerechnet, als sie endlich die Gelegenheit bekommen, zu heiraten, ist das nicht mehr möglich. Genauer gesagt gerade weil sie heiraten und damit ihre vorher informelle Partnerschaft der Welt mitteilen. Die katholische Schule, an der George Musikunterricht gibt, bekommt Druck von oben und feuert ihn, die Mieten in Manhattan sind so hoch, dass sich die beiden keine gemeinsame Wohnung leisten können, sie kommen getrennt bei Verwandten unter.

Schnell wird klar, dass die Beziehung von George und Ben, die sich einer neuen, letzten Bewährungsprobe stellen muss, nur eine unter mehreren ist, die den Film interessieren. Es geht um Bens Neffen Elliot und dessen Frau Kate (Marisa Tomei), um deren Sohn und dessen allseits mehr ängstlich als neugierig beäugten Schulfreund Vlad, glegentlich auch um ein schwules Journalistenpaar. Bei all dem vergeht Zeit; Zeit, von der vor allem Ben nicht mehr viel hat. Er geht seinen Mitmenschen nicht nur mit den alten Marotten, sondern auch mit den neuen Altersunsicherheiten auf die Nerven. Er weiß das, sie wissen, dass er es weiß.

Das New York, von dem der Film erzählt, ist ein ausgesprochen kulturbürgerliches. Wenn man nicht Musikunterricht gibt oder Filme dreht, schreibt frau Romane. Ben wiederum ist Maler, allerdings eher ein Dilettant, man könnte durchaus auf die Idee kommen, dass sich der Film ein klein wenig (und natürlich unaufdringlich) über ihn lustig macht. Was nicht heißt, dass Sachs nicht anerkennt, dass das eine Bild, das Ben im Verlauf des Films malt, ebenfalls ein sonderbarer Akt der Liebe ist. Insgesamt jedenfalls schon verdammt bourgeois, diese Welt, so bourgeois, dass die Teenager, wenn sie rebellieren, keine Drogen nehmen oder wenigstens laute, hässliche Musik hören, sondern - französischsprachige Bücher aus der Schulbibliothek stehlen, um Französisch zu lernen. Also alles first world problems? Selbst wenn man glaubt, dass das Kino immer von großen Differenzen seinen Ausgang nehmen muss ("Love is Strange" beweist ein weiteres Mal das Gegenteil…): Solange auch in der first world Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihren Arbeitsplatz verlieren können, laufen solche Vorwürfe ohnehin ins Leere.

Vielleicht ist das Detail mit den Büchern aus einem anderen Grund kein Zufall: Die Filme von Ira Sachs, zumindest die letzten beiden, erinnern in ihrer Eleganz, auch in ihrer Insistenz auf das Vergehen von Zeit und auf die damit einhergehende Brüchigkeit von Biografien, weitaus stärker an französische Arthausfilme (zum Beispiel von Olivier Assayas oder dessen Frau Mia Hansen-Løve), als an amerikanisches Indiekino egal welcher Provenienz. Amerikanisch wiederum ist an ihnen ihre klassische Nüchternheit, eine gewisse Abgeklärtheit, die fast schon ans alte Hollywood erinnert.

Sachs erzählt mit einer Souveränität, die sich nie als Könnerschaft ausstellt. Der Film verschiebt seine Aufmerksamkeit fließend, unmerklich, manchmal innerhalb einzelner Szenen. Die Kamera hält meist still und fast immer einen mittleren Abstand, ist so unaufdringlich, dass man manchmal den Eindruck einer sanften, langsamen Einbalsamierung hat. Nicht nur diese gedämpfte Lebendigkeit erinnert an Sachs' vorherigen, ebenso schönen Film "Keep the Lights On". Auch die klaren, natürlichen Gegenlichtaufnahmen, in der "Love is Strange" seine Welt ausbreitet, kennt man aus dem Vorgängerfilm. Oft kommt das Licht von den hohen New Yorker Fenstern, vor denen die Menschen sich bewegen, die Vorhänge in der Wohnung von Kate und Elliot vor allem sorgen für fast heiligenscheinartige Illuminierungen um die Schauspieler (Marisa Tomeis leicht aus der Fasson geratene Frisur…). Eigentlich ein ziemlicher Skandal, dass man diese wundervollen Bilder nicht im Wettbewerb sehen kann...

"Love Is Strange", Regie: Ira Sachs, USA 2014, 98 Min (Der Film läuft noch heute, morgen, Sonntag und Sonntag, den 16., hier alle Informationen und Termine).