Außer Atem: Das Berlinale Blog

Anarchy in the UK: Meryl Streep ist 'The Iron Lady' (Wettbewerb Sonderführung)

Von Thomas Groh
15.02.2012. Good girls go to heaven, bad girls kommen ins Irrenhaus. Zumindest heißt ein alter Konservativer Margaret Thatcher (Meryl Streep) entsprechend willkommen, als sie erstmals Abgeordnete das Parlament betritt: "Welcome to the madhouse!" Repräsentative Demokratie als Nervenanstalt: Es wird geschrien, gekreischt, gestampft, geklopft. Und spätestens mit Thatchers Regierungsantritt 1979 als Premierministerin scheint das Land ringsum ohnehin in Flammen aufzugehen, während Punks defätistisch ihre Liebe zur 'Eisernen Lady' bekunden.


Good girls go to heaven, bad girls kommen ins Irrenhaus. Zumindest heißt ein alter Konservativer Margaret Thatcher (Meryl Streep) entsprechend willkommen, als sie erstmals Abgeordnete das Parlament betritt: "Welcome to the madhouse!" Repräsentative Demokratie als Nervenanstalt: Es wird geschrien, gekreischt, gestampft, geklopft. Und spätestens mit Thatchers Regierungsantritt 1979 als Premierministerin scheint das Land ringsum ohnehin in Flammen aufzugehen, während Punks defätistisch ihre Liebe zur 'Eisernen Lady' bekunden.

Auch in anderer Hinsicht spielt der Wahnsinn eine Rolle: "The Iron Lady" ist in hochassoziativen Rückblenden, in Erinnerungen einer sich zusehends in die Demenz verabschiedenden Seniorin erzählt, die sich fortwährend ihren seit Jahren toten Mann herbeihalluziniert, sich noch immer als Premierministerin wähnt und angesichts islamistischer Anschläge umgehend in Ansprachenrhetorik verfällt. Wie sie um sich das Land anzuzünden und in Trümmer zu legen scheint, steht am Ende des Films auch die Zerlegung der Wohnung. Eine Frau, der der Wahnsinn immer schon im Genick saß, scheint dies zu sagen. Abstruse Szenen wie jene, in der ihre Coaches sie darin üben, ihre schrille Stimme in den Zaum zu kriegen, unterstreichen dies. Vielleicht ist sie aber nur die erste Punkrockerin Englands? Den alten Konservativen mit ihrem patriarchischen Weltbild hatte sie spätestens 1979 jedenfalls ordentlich gezeigt, wo sie auftritt, folgt Chaos. Anarchy in the UK.



Als feministische Vorreiterin zeigt "The Iron Lady" Thatcher ihrem unwahrscheinlichen Karriereerfolg zum Trotz dann aber doch gerade nicht, eher als "her father's girl", die als junges Mädchen treu an ihres Vaters Lippen hängt, wenn dieser politische Reden schwingt. Dass ihre Ehe mit Denis Thatcher sie überhaupt erst wählbar gemacht habe, behauptet die Heiratsantragsszene ganz unverblümt, später wird sie von Imageberatern geradezu zur Premierministerin 'gemacht', in politischen Entscheidungen steht sie unschlüssig zwischen den Fronten ihrer Berater. "Sei niemals ein stolzes Mädchen", rät ihr der Vater eines Tages mit Blick auf die herausgeputzten jungen Frauen, die über die Straßen flanieren, welche Thatcher, da noch unter ihrem Mädchennamen Roberts, gerade fegt, "gehe immer deinen eigenen Weg." In gewisser Hinsicht ist ihr das gelungen, wenn man "The Iron Lady" glaubt, und gleichzeitig doch nicht: Bis zuletzt wirkt Thatcher in dieser Interpretation ihrer Biografie nach außen tough, nach innen unentschlossen. Wenn sie durch ihre Schminkaccessoires wühlt, gluckst sie einmal kurz wie ein Mädchen als ihr ein offenbar besonders liebgewonnenes Parfüm in die Hände fällt.

Eindrucksvoll ist natürlich Meryl Streeps Perfomance unter mindestens ebenso eindrucksvoller Maske. Streep selbst gerät dabei auch als Starpersona auf eine Weise zum Verschwinden, die ans Unheimliche grenzt. Selten stellte sich bislang im Genre des Biopics ein derartiger Präsenzeindruck ein. Streep ist Thatcher - wer immer das gewesen sein mag.

"The Iron Lady". Regie: Phyllida Lloyd. Mit: Meryl Streep, Jim Broadbent, Olivia Colman, Roger Allam, Susan Brown u.a., Großbritannien 2011, 104 Minuten. (Vorführtermine)