Außer Atem: Das Berlinale Blog

Die haben die Betten, Du die Versicherung: Steven Soderberghs "Ausgeliefert" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
22.02.2018.


Steven Soderbergh gehört zu den vielseitigsten und innovativen Regisseuren Hollywoods. Er hat alle Genres bedient, große und kleine Formate bespielt und bereitwillig alle technologischen Neuerungen ausprobiert. Er ist auch ein wenig impulsiv. Dass er vor fünf Jahren verkündet hatte, keine Filme mehr drehen zu wollen, hängt ihm natürlich immer noch nach. Naja, räumte er jetzt auf der Pressekonferenz ein, das habe eher mit seiner Frustration über die Branche zu tun gehabt, als mit seiner Arbeit als Regisseur. Und dass er vor ein paar Monaten verkündet hatte, nicht mehr mit den großen Studios arbeiten zu wollen, weil die zu viel Geld für ineffektives Marketing verpulvern, sei vielleicht auch vorschnell gewesen. Er habe einfach nicht gewusst, wie das funktioniert. Denn für seinen letzten Film "Logan Lucky" hatte er für die USA das Marketing selbst übernommen und - wie sich das gehört - vor allem in Sozialen Medien geworben. Das war ein totaler Reinfall. Trotz all der vielen Klicks hatten sie fast keine Kinokarten verkauft: "It didn't jump the fence." Jetzt lässt er doch wieder schnöde TV-Werbung schalten. "Offenbar halten die Leute nur dann einen Film für legitim, wenn er im Fernsehen beworben wird."

Aber auch mit seinem Psycho-Thriller "Ausgeliefert", der im Wettbewerb außer Konkurrenz läuft, probiert Soderbergh Neues: Er hat ihn allein auf seinem Iphone gedreht. Offenbar in einer rasenden Geschwindigkeit und mit echtem Teenager-Feeling. Jede Idee wurde sofort umgesetzt.

Den Bilder sieht man es an. Im richtigen Abstand und mit idealem Licht aufgenommen, sind sie gestochen scharf, aber in größer Nähe oder Weite kippen sie nach vorn, verzerren Gesichter und lassen den Hintergrund verschwimmen. Die Proportionen stimmen nicht. Allerdings sorgen die Iphone-Aufnahmen mit ihren stürzenden Linien auch für eine sehr klaustrophobe Atmosphäre. Der stetig schwankende Boden kommt der Geschichte um die labile Sawyer Valentini zupass, die ihrer selbst immer weniger gewiss sein kann.

In ihren rationalen Phasen kann sich Sawyer sagen, dass sie unter Wahnvorstellungen leide, dass ihre Halluzinationen Manifestationen ihrer Angst seien. Nur kann sie nicht immer rational sein, dann wechselt sie wieder den Job und die Stadt, weil sie von einem psychopathischen Stalker verfolgt wird. (Soderbergh hat den Film im vorigen Juni gedreht, lange bevor #MeToo anfing, Wellen zu schlagen.) Sawyer spricht mit einer neuen Therapeutin über ihre Probleme, die sie prompt in die Klinik Highland Creek einweist. Gegen dieses System hat sie keine Chance. Es ist darauf angelegt, jedem einen Strick aus der eigenen Individualität zu drehen. Sie hat es doch selbst unterschrieben. Oder wolle sie das etwa leugnen? Wenn Sawyer sich aufregt, wird ihr das als mangelnde Kooperation ausgelegt. Wenn sie sich alles schön gefallen lässt, ist sie nach vierundzwanzig Stunden draußen. Allerdings erkennt sie ihren Stalker sofort in einem der Pfleger der Nervenklinik wieder.



Soderbergh zieht das Spiel mit der verunsicherten Identität und der unzuverlässigen Wahrnehmung bis zum Schluss gekonnt durch. Die Psychiatrie bietet dafür ein hervorragendes Feld. Die Medikamente, das Regime der Manipulation, das Zwangssystem. Der Film kostet dies allen mit vielen hübschen Gemeinheiten und fiesen Twists auf, die er bis ins Horrende steigert. Am Ende fühlt man sich ein wenig wie beim Blair-Witch-Project. Claire Foy wird hin- und hergeworfen zwischen ohnmächtiger Verzweiflung und einem immer rabiateren Willen, aus ihrer Lage auszubrechen und ihrem Peiniger zu entkommen, sieht aber immer hervorragend aus.

Der Film funktioniert auch deswegen so gut, weil man dem amerikanischen Gesundheitssystem inzwischen alles zutraut. So wird es Sawyer auch von ihrem Mitpatienten Nate erklärt: Die Klinik sperre die Leute reihenweise gegen ihren Willen ein, um Profit zu machen. Das sei wie bei den Gefängnissen. Er, Nate, sei hier, um das undercover zu recherchieren: "Die haben freie Betten, Du die Versicherung."

Unsane - Ausgeliefert. Regie: Steven Soderbergh. Mit Claire Foy, Joshua Leonard, Jay Pharoah und anderen. USA 2018, 98 Minuten. (Vorführtermine)