Außer Atem: Das Berlinale Blog

Dieses innere Pulsieren: Katharina Muecksteins "L'Animale" (Panorama)

Von Thierry Chervel
18.02.2018.


Dieser berückende Kontrast ließe sich in Lehrfilmen für Friseure verwenden. Steckt Mati ihre Haare hoch - und das tut sie fast immer - dann sieht sie ein bisschen aus wie ein Samurai. Ihre Gesichtszüge haben fast etwas Grobes, sie strahlt Kraft aus, und die braucht sie auch, wenn sie mit den Rüpeln aus der Nachbarschaft Motocross übt und ihre Brutalität abfedern muss, in die sie zuweilen aber auch kräftig einsteigt.

Lässt sie ihr Haar runter, wird aus ihr ein Barockengel. Jeder möchte da reingreifen. Ihr Mund wird weich und sie lächelt ein süßes Mädchenlächeln. Katharina Muecksteins Film "L'Animale" steht wohl in der Tradition der frühen Haneke- und der noch kaltschnäuzigeren Ulrich-Seidl-Filme. Nüchtern schildert er das Coming of Age seiner Protagonistin und ihrer Gefährten. Ihre Sexualität erleben sie als innere Gewalt und leben sie aus als äußere, sprachlos. Designerdrogen, Alkohol, hirnlose Technomusik in der Disko, die knatternden Motorräder in ramponierter Natur - nichts hilft gegen dieses innere Pulsieren. Vor allem natürlich den jungen Männern nicht, die keine Form finden für das, was da pocht.

Manchmal aber finden sie ein kräftiges Symbol. Mati kann wie gesagt selbst rabiat werden. Ein Abgewiesener erntet das Schäkern der Kollegen. Er stellt sich an einen Fels im Steinbruch - dem Übungsareal der Motocrosser und zeigt, wie weit er pinkeln kann - und das ist weit!

Gewaltsam ist auch die Normung. Matis Vater lebt seine Homosexualität nur im Geheimen. Ihre Mutter kriegt es mit, aber thematisiert es nicht. Auch ihre Verletzung und die inneren Konflikte bleiben stumm. Sie schläft mit einem Freund.

Der Film macht viel mit Musik und Geräusch. Die Technomusik ist leider wie gesagt recht hirnlos. Aber es gibt einen moment de grâce, für den man der Regisseurin dankbar ist, eine unverhoffte Insel freiströmenden Gefühls. Ohne zuviel zu verraten, kann man doch das Lied identifizieren, das diesen Moment auslöst, einen italienischen Schlager zum Mitsingen und Feuerzeug- (beziehungsweise Smartphone-)hochhhalten, Franco Battiatos "L'Animale".



In diesem Lied, das nach einem kurzen Moment vorüber ist, bündelt sich, was die Regisseurin sagen will. Das Problem ist gebannt, wenn es benannt ist. "L'Animale" ist ein Lied zum Mitsingen, aber es enthält in seiner eleganten Melancholie auch die Zeile: "Ma l' animale che mi porto dentro non mi fa vivere felice mai" - das Tier in mir lässt mich nie glücklich sein.

Ich verstehe Muecksteins Film als Plädoyer, das Moralisieren über Sexualität zu lassen, und sie zur Sprache, zur Form zu bringen. Am Ende deutet sich eine Möglichkeit der Versöhnung an, es könnte sein, dass Mati eine Freundin findet, und dass ihre Eltern irgendwie lernen, mit ihrem Problem umzugehen. Aber es bleibt erfreulich offen.

"L'Animale". Regie: Katharina Mueckstein. Mit Sophie Stockinger, Kathrin Resetarits, Dominik Warta, Julia Franz Richter u.a.. Österreich, 97 Minuten. (Vorführtermine)