Außer Atem: Das Berlinale Blog

Im Rosengarten: Hong Sangsoos 'On The Beach At Night Alone' (Wettbewerb)

Von Katrin Doerksen
16.02.2017.


Wenig überraschend hat Hong Sangsoo wieder einen zweigeteilten Film gedreht, antiklimaktisch und ruhig. Anders als noch in "Right Now, Wrong Then" erzählt der Koreaner diesmal aber nicht zwei Mal vom selben Geschehen in unterschiedlichen Variationen, sondern von zeitlich voneinander abgegrenzten Episoden im Leben der Schauspielerin Younghee (Kim Minhee).

Zu Beginn von "On The Beach At Night Alone" ist Younghee auf Reisen in einer Stadt, die zwar nicht beim Namen genannt oder durch bekannte Sehenswürdigkeiten markiert ist, sich dem Eingeweihten aber bald als Hamburg zu erkennen gibt. Vom "Lese-Café im Rosengarten" kündet ein handbeschriebenes Schild im Stadtpark, in dem Younghee mit ihrer Freundin (Seo Younghwa) am liebsten Zeit verbringt. Eine Umfrage habe ergeben, dass diese Stadt die beste Lebensqualität biete, alle wollten hier wohnen, erzählt die Freundin. Es ist nur eine beiläufige Unterhaltung, aber das Streben der Leute nach einem guten Leben zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Im zweiten Teil, diesmal in der südkoreanischen Hafenstadt Gangneung angesiedelt, gibt es eine kurze Szene, in der eine andere Freundin weiß: "Alle Leute ziehen hierher, weil es in Seoul niemand mehr aushält."

Weil es für so etwas wie ein "gutes Leben" keine vertrauenswürdigen Maßstäbe gibt, hält sich Hong Sangsoo nicht mit Details darüber auf, was genau die Leute nun suchen und wovor sie fliehen. "Ich will einfach ein Leben, das zu mir passt", lässt er Younghee einmal ohne weitere Erklärungen sagen, dabei sind bei ihr die Umstände noch am durchsichtigsten: in eine fremde Stadt ist sie gegangen, um Abstand von ihrer schwierigen Beziehung zu einem verheirateten Mann zu bekommen. Wieder daheim in Gangneung trifft sie auf alte Freunde, fragt sich, welchen Platz die Liebe in ihrem Leben eigentlich einnehmen soll. "On The Beach At Night Alone" wirkt damit wie die Antithese zu den Portraits gequälter männlicher Schöpferseelen, die im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale die alte Geschichte vom Künstler und seiner Muse variieren: Geoffrey Rush als egozentrischer Giacometti in "Final Portrait", Stellan Skarsgård als Schriftsteller, der seine Beziehungen in "Return to Montauk" zu Romanen verarbeitet. Wie immer bei Hong Sangsoo ist der männliche Part der Beziehung ein Regisseur - aber er ist diesmal nur eine Randnotiz.

"Ich habe Hunger", wiederholt Younghee bei einem Essen mit Bekannten im Ausland mehrmals und verunsichert damit ihre Gastgeber. Die Figuren beschweren sich in diesem Film ständig über unbefriedigte Grundbedürfnisse. Sie sei müde, sagt die Bekannte. Er friere schrecklich, bibbert ein alter Freund in Gangneung. Dass sie an den statistisch lebenswertesten Orten leben, scheint nicht auszureichen. Zu diesem Zeitpunkt hat Younghee schon ein paar mehr Stufen der Maslowschen Bedürfnispyramide erklommen, vielleicht hat auch der Alkohol seinen Teil beigetragen. Mehr Bier als Soju diesmal, aber beschwipst ist sie so oder so. Am Esstisch brechen die Gefühle aus ihr heraus: Niemand hier sei für die Liebe qualifiziert, knallt sie den Freunden an den Kopf, die lächelnd weiter trinken. So ist das bei Hong Sangsoo. Man lächelt und trinkt, auch wenn mal einer über das Ziel hinausschießt.

Am Ende des zweiten Teils gibt es noch eine Parallele zum Ende des Ersten. Younghee ist wieder an einem Strand. In "On The Beach At Night Alone" ist dies der Ort, an dem man zu sich kommt, auch wenn es entgegen des Titels dort nie Nacht ist. Die Kamera - sonst steht sie still oder holt im Zoom Details heran - folgt Younghees Bewegung in einer geschmeidig fließenden Drehung. Die Luft ist eisig, ganz deutlich ist ihr Schniefen und Zähneklappern zu hören. Aber das ist kein Grund mehr zur Beschwerde.

Bamui haebyun-eoseo honja - On the Beach at Night Alone. Regie: Hong Sangsoo. Mit Kim Minhee, Seo Younghwa, Jung Jaeyoung, Moon Sungkeun, Kwon Haehyo. Republik Korea 2017. 101 Minuten. (Vorführtermine)