Außer Atem: Das Berlinale Blog

Wie ein komplizierter Tanz: Raja Amaris 'Foreign Body' (Forum)

Von Anja Seeliger
16.02.2017.


Die Flucht sehen wir nicht, nur die Ankunft: Die Tunesierin Samia hat es nach Paris geschafft. Sie wohnt - wie einige andere Illegale auch - bei Imed, einem Bekannten aus Tunesien. Imed arbeitet in einer Bar, er hat Arbeit, eine Wohnung, Geld - kurz, er kennt sich aus. Er hat aber auch einen dominierenden Charakter. Er weiß ganz genau, was gut für den Neuankömmling ist und was nicht. Samia lässt sich das nicht lange gefallen, schnell hat sie sich freigemacht und zieht zu Madame Berteau, einer wohlhabenden Witwe, die Hilfe braucht beim Sortieren des Nachlasses ihres Ehemannes. Unten vor der Tür steht bald Imed, der Samias Unabhängigkeit nicht akzeptieren will.

Raja Amari inszeniert ihren Film um diese drei Charaktere herum wie einen komplizierten Tanz: Leila Berteau, die selbst aus Tunesien stammt, ist seit dem Tod ihre Mannes einsam und traurig. Samia lenkt sie mit ihrer Vitalität ab und anders als Imed kann sie ihr eine echte Hilfe sein. Aber sie ist auch angezogen von dem hübschen Imed, der sich zwar scheinbar in Frankreich eingelebt hat, aber im Kopf nie dort angekommen ist. Eine Frau wie Leila, die Französin geworden und in jeder Hinsicht unabhängig ist, hat er noch nie kennengelernt. Samias Unabhängigkeitsdrang findet er dagegen schlicht unverschämt. Die wiederum hat nicht die Armut aus Tunesien vertrieben, lernt man, sondern die Angst vor den Islamisten, denen sich ihr Bruder angeschlossen hatte. In Paris ist sie sofort heimisch: Schon die Tatkraft, mit der sie sich aus der Abhängigkeit von Imed befreit, die Durchtriebenheit, mit der sie Madame Berteaus Sehnsucht nach Berührung stillt, zeigen eine Frau, für die Unterwerfung nie in Frage gekommen ist. Samia trinkt, tanzt, flirtet wie es ihr passt. Aus ihrer Verachtung für die Islamisten macht sie keinen Hehl.

Die drei umkreisen einander und als Zuschauer weiß man nie genau, wann die Situation von Erotik und wann sie von Eigennutz bestimmt ist. Dieses Flirrende macht den Charme des Films aus und seine Unberechenbarkeit. Die Protagonisten drohen gewissermaßen ständig, ihren eigenen Verführungskünsten zu erliegen. Daneben ist dieser Film aber auch das Porträt einer jungen Tunesierin, die auf ihrem Recht besteht, leben zu dürfen, wie sie es für richtig hält. Man sollte sich an Samia erinnern, bevor man wieder eine Frau mit Kopftuch als "Muslima" aufs Titelblatt setzt oder ins Fernsehen einlädt.

Anja Seeliger

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Noch ein französischer Film im Forum, auf den kurz hingewiesen sei: "Drôles d'oiseaux - Strange Birds" von Elise Girard folgt einem bewährten Rezept: Zwei Männer, eine Frau, eine Katze und Paris. 70 Minuten anmutigster Fluff mit der schmollenden Lolita Chammah, Tochter Isabelle Hupperts, und einem elegant gealterten Jean Sorel in den Hauptrollen. Man kann seine Zeit schlechter vergeuden.

Jassad gharib - Foreign Body. Regie: Raja Amari. Mit Hiam Abbass, Sarra Hannachi, Salim Kechiouche, Marc Brunet. Tunesien / Frankreich 2016, 97 Minuten. (Vorführtermine)

Drôles d'oiseaux - Strange Birds. Regie: Elise Girard. Mit Lolita Chammah, Jean Sorel, Virginie Ledoyen, Pascal Cervo. Frankreich 2016, 70 Minuten. (Vorführtermine)