Außer Atem: Das Berlinale Blog

Ernährung durch Kraftvergeudung: Andres Veiels Doku 'Beuys' (Wettbewerb)

Von Anja Seeliger
15.02.2017.


So viele Fragen bleiben. Nach Andres Veiels Beuys-Doku möchte man sich sofort eine Beuys-Biografie greifen, in eine Beuys-Ausstellung gehen, auf Youtube nach Material suchen, nach Bildern und Artikeln. Das ist ein Kompliment an den Film. Denn dass er in 107 Minuten nicht den ganzen Beuys zeigen konnte, ist klar. Aber er fixt einen an.

Veiel zeigt alle wesentlichen Stationen im künstlerischen Leben des Joseph Beuys: Man sieht ihn als Kind, vom Krieg geprägt, als jungen Menschen, der sich als Künstler erfindet, als soziales Wesen, als politisch denkenden Menschen, als Lehrer, der sich mit dem damaligen NRW-Wirtschaftsminister Johannes Rau anlegt, als streitbaren Diskutanten und als Clown. Veiel und sein Team haben nur sehr wenige sprechende Köpfe im Bild. Der Großteil der Bilder stammt aus Archivmaterial, das seine Cutter Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtländer virtuos zusammengesetzt haben: Schnell geschnittene Szene aus Kontaktbögen mit Pausen dazwischen, Überblendungen und Filmausschnitten machen aus dem oft statischen Material Bewegtbilder, die ganz aus sich heraus Zusammenhänge darstellen und Kommentierungen unnötig machen. Dazu kommt eine Tonspur, die nochmal eine eigene Ebene einzieht. Allein der Schnitt ist eine absolute Meisterleistung.

So sieht man etwa Beuys als Jungen mit seiner Mutter auf der Wiese mit einem aufziehbaren Flugzeug spielen, Schnitt, und man sieht den jungen Beuys in HJ-Uniform wieder mit Flugzeugen, diesmal etwas größeren, spielen. Schnitt, und man sieht eine Maschine der Luftwaffe, die mit Bomben beladen wird, Schnitt, Beuys in der Uniform des Wehrmachtsfliegers. Nur mit Bildern wird diese Geschichte erzählt.

Weiter geht's zum Absturz auf der Krim, der Erzählung von Filz und Fett bei den Tataren ("Haben Sie sich das gerade ausgedacht", fragt eine Frauenstimme aus dem Off, keine Antwort von Beuys), einzelne Kunstaktionen wie "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" 1965, "The Pack" 1969 oder "America likes me..." 1974 und schließlich 1982 7000 Eichen auf der Documenta 7 - für Veiel die wichtigste Aktion.

Dazwischen Fernsehdiskussionen, etwa 1970 eine hitzige Diskussion zwischen Beuys, Max Bill, Arnold Gehlen und Max Ben (siehe Video unten) und Interviews, in denen Beuys seinen erweiterten Kunstbegriff erklärt: "An und für sich ist der Kunstbegriff heute so erweitert, dass heute jede normale Situation Kunst ist", sagt er und muss immer wieder seine These erklären, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Ein Künstler eben in dem Sinne, dass er an der sozialen Plastik namens Gesellschaft mitarbeitet.  Rudolf Steiner, auf dessen Thesen Beuys' Vorstellung von der Kunst als "plastische Theorie" oder "soziale Plastik" stark beruhen, kommt in dem Film nicht vor.



Was man aber immer wieder sieht in diesem Material aus oft unveröffentlichten Bildern, ist die Bezauberung, die von diesem Mann ausging. Diese Augen, das ausgezehrte Gesicht, die vorstehenden Wangenknochen, die schwarz verschatteten Augen, der volle sensible Mund - und dann bricht er plötzlich in dieses laute Fernandel-Lachen aus und zeigt seine riesigen Zähne. Beuys konnte mindestens so sehr Gaukler sein wie Überzeugungstäter.

Seine Lust an der Provokation ist immer wieder ansteckend. Allein wie er im großen Saal der Düsseldorfer Kunstakademie steht, vor ihm sitzen die Honoratioren Nordrhein-Westfalens in Kostüm und Anzug, Beuys in Anglerweste und Jeans, macht den Mund auf und "chrm, hrm hrm chrm" knarzt er aus seiner Kehle heraus. Die ganze Rede ein einziges Geräusper, während die Herrschaften unten Contenance zu bewahren suchen. Man muss, wie so oft bei Beuys, einfach loslachen.

Vieles fehlt aber auch, Veiel interessiert sich hauptsächlich für Beuys als politischen Menschen, als Propheten, der - selbst von den Grünen nicht ernst genommen - die Finanzkrise und den damit einhergehenden Vertrauensverlust in die Demokratie vorhersagt. Ein guter Teil des Films ist darum den siebziger Jahren gewidmet, als Beuys an der Gründung der Grünen Partei beteiligt, künstlerisch aber nicht mehr so produktiv war. Seine Erschöpfung wird deutlich, wenn der Mann, der vor ein paar Minuten noch erklärt hat, "Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung, das ist meine Methode" und "Man muss sich verschleißen" jetzt müde von der Versuchung des Künstlers spricht, einfach das weiterzumachen, wofür er bekannt ist.



Hätte Veiel mehr auf die damaligen Kunstdiskussionen über Beuys eingehen können? Absolut, das wird immer nur angerissen. Aber, sagt er in der anschließenden Pressekonferenz, dann hätte er einen historisierenden Film über die sechziger Jahre gemacht, das wollte er nicht. Und Beuys, das sagt er auch, hätte dazu auch gar nicht so viel hergegeben: "Er war wie ein Hase, hat sich mit einem Lachen immer wieder entzogen, gerade wenn man dachte, jetzt hat man ihn festgenagelt, jetzt kann er nicht mehr ausweichen."

Und doch bleibt das letzte Drittel des Films, das sich auf Beuys als Mitbegründer der Grünen konzentriert, etwas blass. Seine Kritik an den ökonomischen Verhältnissen bleibt abstrakt. Man hätte sicher viele aktuelle Beispiele zur Verdeutlichung heranziehen können. Ich hätte es spannend gefunden, wenn Veiel Beuys' Ideen zur Geldwirtschaft in einen Zusammenhang mit dem heutigen Urheberrecht gestellt hätte. Allein für diesen Film, erzählte der Regisseur auf der Pressekonferenz, mussten fast 200 Rechteinhaber ausfindig gemacht werden und Einzelverträge mit ihnen ausgehandelt werden. Die Rechte gelten für 15 Jahre. Wenn der Film, der von WDR, SWR und Arte mitproduziert wurde, danach noch einmal gezeigt werden soll, müssen die Rechteinhaber erneut um Erlaubnis gefragt werden.

"Das Geld muß raus aus dem Kreislauf", sagte Beuys 1984 in einem Interview mit dem Spiegel. "Die Kreativität der Menschen ist das wahre Kapital. Politische Parteien, der Begriff Politik überhaupt sind dagegen Unsinn. Die Gesellschaft gilt es zu einem Kunstwerk zu machen. Die moderne Kunst ist tot. Es gibt keine Postmoderne. Nun beginnt die anthropologische Kunst. Nur so sind der Kapitalismus und der Kommunismus zu überwinden."

Im Interview mit der SZ von gestern erzählte Andres Veiel, dass selbst ein öffentlich-rechtlicher Sender "mit einem Minutenpreis von 9.000 Euro für Archivmaterial die Verwendung fast unmöglich gemacht hätte. Wir haben uns dann auf einen niedrigeren Preis geeinigt. Aber auch das Bundesarchiv verlangt Preise, die im dreistelligen Tausenderbereich liegen. Und das ist ein Politikum, weil es um Material aus dem Dritten Reich geht, für das die Rechte eigentlich abgelaufen sein sollten. Aber der Kameramann hat bis 1960 gelebt, damit ist es bis 2030 nur für Unsummen zu erhalten. Damit wird Material, das eigentlich public domain sein sollte, so wegverwaltet, dass es nicht verwendet werden kann."

Auch im Interview mit dem Tagesspiegel betont Veiel die Probleme, die allein das Zeigen der Beuys-Werke bereitete: "Mit der Witwe Eva Beuys haben wir einen 60-seitigen Vertrag abgeschlossen, mit einer Liste von Werken, die wir zeigen können. Schwieriger war es teils mit den Öffentlich-Rechtlichen Sendern und mit dem Bundesarchiv, die pro Minute zunächst 9000 oder 10 000 Euro verlangten. Ein ärgerliches Politikum, denn so wird kulturelles Erbe im digitalen Zeitalter unzugänglich. Es war bitter, denn manchmal fiel mit einem fehlenden Bild eine ganze Sequenz in sich zusammen."

Beuys "wollte, dass Kunst wieder gesellschaftlich wirksam ist", sagt Veiel im Interview mit der Rheinischen Post. Aber wie kann sie das, wenn man ihr Wirken durch ausufernde Urheberrechte blockiert? Das hätte man sehr schön zum Anlass nehmen können, Beuys' Wirtschaftstheorien zu untersuchen. Aber es wäre dann natürlich ein ganz anderer Film geworden. Doch allein, das Veiel zu solchen Überlegungen anstiftet, ist ein Verdienst seines Films.

"Beuys". Regie: Andres Veiel. Schnitt: Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer. Archiv: Monika Preischl. Musik: Ulrich Reuter, Damian Scholl. Deutschland 2017, 107 Minuten (Vorführtermine)