Außer Atem: Das Berlinale Blog

Ambient im Nebel: Thomas Arslans 'Helle Nächte' (Wettbewerb)

Von Thomas Groh
13.02.2017. In gewisser Hinsicht ist Thomas Arslans "Helle Nächte" eine Art Bilanz seines jüngeren Schaffens: Der Familienkonflikt in einer Zeit neben der Zeit ("Ferien"), und eine Naturkulissenerhabenheit, in der verborgene Gefahren an der Schwelle zur Merklichkeit lauern. Erhaben.


Der Vater ist tot. Er lebte zurückgezogen in Norwegen. Sohn Michael (Georg Friedrich) übernimmt die Formalitäten, reist von Berlin nach Norwegen zum Begräbnis. Die Schwester hatte dem Vater nicht verziehen, sie tut es auch im Tod nicht, sie bleibt zurück. Michaels Freundin möchte für ein Jahr nach Washington, wo sie für die Zeitung als Korrespondentin arbeiten könnte. Zwischen ihr und Michael läuft es nicht gut. Mit nach Norwegen nimmt Michael seinen Sohn Luis (Tristan Göbel, der gerade auch in "Tschick" im Kino zu sehen war), der bei seiner Mutter lebt. Sie haben sich lange nicht gesehen, auch zwischen ihnen beiden läuft es nicht gut: Ans trist-einsame Begräbnis des Vaters knüpft Michael, gegen Luis' Willen, eine gemeinsame Tour durch das von der Mitternachtssonne beschienene Land, erst mit dem Auto, dann zu Fuß.

Annäherung an ein kompliziertes Vater-Sohn-Verhältnis - von Arslan gewohnt spröde wie präzise erzählt. Annäherung aber auch an einen Menschen, von Georg Friedrich angespannt-gedämpft gespielt, der mit seiner Welt nicht im reinen ist, dieser offenbar am liebsten abhanden käme, weil ihm sein Leben abhanden zu kommen droht. Bis er sich der Länge nach hinlegt, auf dem Boden landet - von wo es bei Jörg Fauser auch schon nur noch aufwärts gehen konnte.



Arslan schildert das minutiös, gelegentlich mit leichtem Witz, in einer schönen Ambient-Erhabenheitsfantasie, die viel aufgreift vom hypnotischen Minimalrausch langer Autofahrten, die sich im endlosen Sonnenschein Norwegens besonders lange machen lassen. In gewisser Hinsicht ist "Helle Nächte" auch eine Art Bilanz des jüngeren Schaffens Arslans: Der Familienkonflikt in einer Zeit neben der Zeit ("Ferien"), die Naturkulissenerhabenheit aus "Aus der Ferne", Streifzüge durch eine unberührte Natur abseits der Zivilisation ("Gold"), in der verborgene Gefahren an der Schwelle zur Merklichkeit lauern: Friedrich, übernächtigt, blinzelt bei den langen Autofahrten, reibt sich die Augen. Die Frage ist auch, ob es Bären in den Wäldern gibt.

Buchstäblicher Höhepunkt: Eine Fahrt durchs Gebirge, immer tiefer hinein in den Nebel, unter kristallinem Klingklang minutenlang gefilmt aus dem Auto frontal nach vorne hinaus (Kamera: Reinhold Vorschneider, der weiterhin Filme fotografiert wie in Deutschland kein zweiter). Georg Friedrich und Tristan Göbel reisen ans Ende der Welt, keifen sich an, erkennen einander an der Kippstelle schlussendlich doch. Der Vater, der kein Sohn mehr ist, wird zum Vater seines Sohns, der eines Tages, vielleicht, ein Vater wird. Das ist, zugegeben, nicht der originellste Stoff. Aber er ist, bei Arslan auf Wesentliches skelettiert und mit einer sparsamen Prise Pathos versehen, die das Wissen um die Position des Vaters wie des Sohns durchscheinen lässt, sehr schön und am Ende auch sehr berührend erzählt.

Helle Nächte, Deutschland 2017. Regie/Buch: Thomas Arslan. Kamera: Reinhold Vorschneider. Mit: Georg Friedrich, Tristan Göbel, u.a. 86 Minuten. (Alle Termine)