Außer Atem: Das Berlinale Blog

Wie hebelt man ein Parteiensystem aus: Fernando Leóns "Política, manual de instrucciones" (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
11.02.2017. Fernando León begleitete für  "Política, manual de instrucciones" die Spitzenpolitiker von Podemos und porträtiert keine Idealisten, sondern Techniker. Techniker der Macht.


Der spanische Regisseur Fernando León hat schon Filme über den Zapatisten-Führer Subcommandante Marcos und über Präsident Barack Obama gedreht, und auch aus dieser Dokumentation über Podemos spricht seine Faszination für linke Charismatiker. Doch der handwerkliche Titel "Política, manual de instrucciones" (Politik, Bedienungsanleitung) weist auch darauf hin, dass der Film seinen eigenen Blick auf die Bewegung entwickelt. León porträtiert keine Idealisten, sondern Techniker. Techniker der Macht.

Zwei Jahre lang begleitete der Filmemacher die beiden Politikwissenschaftler Pablo Iglesias und Íñigo Errejón, die den sozialen Unzufriedenheit der Spanier nach dem finanziellen und wirtschaftlichen Kollaps des Landes geschickt kanalisierten und Podemos zur drittstärksten Partei Spaniens machten. Völlig offen treten sie dem Dokumentaristen entgegen, selbst bei heikelsten internen Entscheidungen ist er dabei. So entschieden wie niemals eine linke Gruppe in Europa zuvor setzten sie auf einen schlagkräftigen Populismus. Vereinfachung lautete die Devise, auf ihre Fahnen schrieben sie sich nur unverfängliche Parolen: Democracía! Participación! Pueblo! Cambio! Wer kann schon etwas gegen Wandel haben?

"Wir gewinnen, wenn wir über die Vertreibung der kleinen Leute aus ihren Wohnungen sprechen, über die Lage der kleinen Arbeiter. Ganz egal, welche Werte unsere Wähler haben", gibt Iglesias die Richtung vor. Und deswegen wird auch kein politischer Gegner kritisiert, sonst stellte man sich ja politisch auf die Gegenseite. Statt dessen wird das "System" angegriffen, das Regime, die Oligarchie. Die politische Kaltschnäuzigkeit gleichen sie aus durch revolutionäres Pathos: "Den Himmel erobert man nicht im Konsens", ruft Iglesias, "den Himmel erobert man im Sturm."

Auch die Wahlkampf-Managerin weiß, dass man inhaltliche Diskussionen möglichst vermeiden muss. Bloß keine Themen, keine Inhalte, keine Debatten. Und die Medien immer schön mit Umfragen stopfen! Wer liegt vorn? Wer fällt zurück? Das versprüht so herrlich unverfänglichen Olympia-Geist. Man möchte sämtliche Politkorrespondenten Europas in diesen sensationell lehrreichen Film schicken, damit sie endlich aus diesem Spiel aussteigen, das sie so bereitwillig mitspielen.

León konzentriert sich in seiner Dokumentation ganz auf die beiden Köpfe der Partei, Pablo Iglesias und Íñigo Errejón. Beide haben Politikwissenschaft an der Universidad Complutense in Madrid gelehrt und dabei die linken Bewegungen Lateinamerikas genauestens studiert. Ihre intellektuelle Brillanz lässt einen erschauern. Pablo Iglesias hat dabei nicht nur äußerlich etwas Leninistisches an sich, so kühl wie machthungrig setzt er das Führungsprinzip gegen basisdemokratische Ansätze durch: Er sei alles andere als ein Alpha Macho, doziert er erbarmungslos, aber wenn Systeme zusammenbrechen, komme es auf Namen an. Bei Íñigo Errejón paart sich die analytische Intelligenz mit einem jungenhaft-unschuldigen Äußeren. Er ist knapp über dreißig, doch man denkt bei ihm unwillkürlich, er sollte vielleicht erst einmal eine Beziehung führen, bevor er sich an einem Land oder einer Partei ausprobiert.

Die politischen Kontrahenten kommen nicht vor. Nur einmal erlebt man eine Fernsehdebatte, bei der sich Iglesias eigentlich in einer sehr gefährlich Situation befindet: Er muss die Hunderttausende von Euro rechtfertigen, die unversteuert als Parteispenden aus Venezuela kamen. Doch die beiden Vertreter der Konservativen und Sozialdemokraten können ihm nichts entgegensetzen. Selbst aus der Defensive hat Iglesias gegen die beiden eitlen arroganten Männer ein leichtes Spiel. Dieses System wollte offenbar gesprengt werden.

Eine andere Leerstelle in diesem Film ist bedauerlicher: Die Bürgermeisterinnen von Madrid und Barcelona, Manuela Carmena und Ada Colau, spielen fast keine Rolle. Das verzerrt das Bild ein wenig. Denn als gewichtige Frauen mit Persönlichkeit, beruflicher Erfahrung und politischer Verantwortung hätten sie einen wichtigen Kontrapunkt zu den Machtfantasien der militanten Machos aus dem politischen Seminar gesetzt.

Política, manual de instrucciones. Regie: Fernando León de Aranoa. Dokumentarfilm. Spanien 2016. 120 Minuten. (Vorführtermine)