Außer Atem: Das Berlinale Blog

Ein bisschen Gewalt - Tiger Girl von Jakob Lass (Panorama)

Von Thomas Groh
10.02.2017.


Kein Zweifel, die Lass-Brüder haben da ein Ding laufen mit Borderline-Frauen. In Tom Lass' "Käptn Oskar" (2013) fackelte eine Frau auf 180 erst einmal die Bude ihres Ex-Freundes nieder, bevor der Film losgehen konnte. Im ebenfalls 2013 entstandenen "Love Steaks" des Bruders Jakob rettet eine Punkfrau mit Alkoholproblem einen körperlich-klemmigen Tollpatsch vor der eigenen Unbeholfenheit. Seitdem ist vom neuen Independentkino in Deutschland die Rede, von German Mumblecore: Alltägliche Figuren, lose geskriptet, die Szenen über weite Strecken improvisiert, mit dem, was an Locations, Leuten, Material eben vorzufinden ist. Neue Lässigkeit statt ästhetischer Programme.

Und jetzt eben "Tiger Girl", Regie Jakob Lass, mit dem wilden Punkmädchen Tiger (Ella Rumpf), die bei einem frühen Auftritt im Film erstmal beherzt einen Autorückspiegel abtritt, in einer illegalen Dachboden-WG mit zwei Asi-Punks lebt, von denen sie sich nichts vormachen lässt, und auch ansonsten (wenn auch mit einem Herz aus Gold)  volles Rohr auf Provo zielt. Entstanden ist "Tiger Girl" nun vergleichsweise professionell, unter den Fittichen der Constantin Film. Was man dem Film schon durchaus ansieht. Bewährungsprobe: Kann der neueste Junge Deutsche Film auch Profi?

Die Zutaten kommen einem jedenfalls schon mal bekannt vor: Unbehofenheiten, Ausbildungssituationen, Szenen im dem Beruf, Slapstick, Enthemmung, ein bisschen Gewalt. Die körperlich etwas unbeholfene, auch ansonsten eher niedlich-verschüchterte Vanilla (Maria-Victoria Dragus) rasselt wegen ihrer Tollpatschigkeit bei der Aufnahmeprüfung der Polizei durch, kommt aber immerhin bei einer privaten Sicherheitsfirma als Auszubildende unter. Der Tonfall dort ist ruppig, aber herzlich. Und seit neuestem taucht in ihrem Leben immer wieder dieses Punkgirl auf, Tiger, die man am Anfang noch für eine Schizophrenie-Fantasie Vanillas halten könnte, die sich jedoch bald konkretisiert. Tiger bringt Vanilla auf den Weg: Locker machen, Grenzen überschreiten, sich nicht alles bieten lassen, mal zurückschnauzen. Die Sache geht jedoch schon mittelfristig nach hinten los: Während Vanilla zusehends auf alles scheißt und zur neuen Kiez-Schlägerinnengröße heranreift, kriegt Tiger Gewissensbisse, was für eine Bestie sie da herangezüchtet hat.



Am besten funktioniert "Tiger Girl" in den kleinen Momenten und Szenen, in denen Improvisationsvermögen und Timing der Schauspieler wie schon beim tollen Vorläufer Hand in Hand gehen. Im Großen und Ganzen wirkt der Film mit seinen leicht aufgekocht wirkenden Motiven bald vier Jahre nach "Love Steaks" dann allerdings doch ein bisschen unfreier als er sich selbst vielleicht eingestehen mag. Wo zuvor Aufbruchswille und Hunger zu spüren war, wirkt "Tiger Girl" jetzt eher wie ein "Hat funktioniert, also weiter so." Auch bleibt der Film seltsam unentschlossen in dem, was er denn eigentlich will. Sicher geht es um Kontrollverlust auf der einen, Machtgeilheit auf der anderen Seite (Vanillas großes Ziel: endlich einer Polizistin die Uniform stehlen, womit sie dann noch geiler auf der Straße prügeln kann). Klar gibt es da auch einen Rest Jugendromantik in den Bildern - und ein großes Maß an Bock, sich einfach mal gepflegt daneben zu benehmen.

Zu dieser (angesichts von Ubahntreter-Videos fast schon wieder gespenstisch wirkender) Haudrauf-Freude quer wiederum steht, dass dem Film selbst wahrscheinlich nie ganz klar wird, ob er nun nicht vielleicht doch viel eher ein Plädoyer für ein Arrangement mit den Bedürfnissen eines bürgerlichen Lebens ist. Tigers zuvor auf wenigen Quadratmetern eingerichtetes Punkleben jedenfalls ist am Ende gründlich im Arsch. Vielleicht aber ist dem Film das auch alles egal und es geht ihm vor allem um Wucht, um die Punches, wenn die Fetzen fliegen. Tun sie manchmal auch, auch mit Karacho, so richtig befriedigend ist es auf die Dauer nur nicht.

Andererseits: Ich bin ganz sicher nicht die Zielgruppe des Films. 16-, 17-jährige Mädchen, die keinen Bock darauf haben, dass ihnen irgendwelche Filme von irgendwelchen Typen mit dem Zeigefinger erklären, wie sie jetzt ihr Leben zu führen hätten, solche Mädchen haben am Mittelfinger-Gestus, den "Tiger Gir" über weite Strecken dann doch ganz gut fährt, vielleicht gar nicht mal wenig Spaß. Der sei ihnen von Herzen gegönnt.

Thomas Groh

Tiger Girl, Deutschland 2017. Regie: Jakob Lass. Buch: Jakob Lass, Ines Schiller, Hannah Schopf, Nico Woche, Eva-Maria Reimer. Kamera: Timon Schäppi. Mit: Ella Rumpf, Maria-Victoria Dragus, u.a. 90 Minuten. (Vorführtermine).