Außer Atem: Das Berlinale Blog

Austreibung der bösen Geister: John Trengoves "The Wound" (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
10.02.2017. Das Panorama befasst sich schwerpunktmäßig mit "schwarzen Welten". John Trengoves "The Wound" ist dafür ein sinnfälliger Eröffnungsfilm. Er bietet eindrückliche Einblicke in eine ansonsten verschlossene Welt.


Rituale sind feste Bestandteile im sozialen Leben traditioneller Gesellschaften. Sie markieren den Wechsel von einer Lebensphase in die nächste und folgen einem festen Zeremoniell. Die Normalität ist außer Kraft gesetzt, die Zeit suspendiert.

Das Panorama der Berlinale eröffnet in diesem Jahr mit dem Film "The Wound" des südafrikanischen Regisseurs John Trengove. Die Wahl ist in gleich mehrfacher Hinsicht sinnfällig: Ein Schwerpunkt des Programms liegt in diesem Jahr auf "Schwarzen Welten", etliche Filme untersuchen schwarzes Selbstverständnis und sexuelle Identität, und das erfreulicherweise nicht nur aus amerikanischer Sicht, sondern auch aus afrikanischer oder brasilianischer Perspektive.

John Trengrove widmet sich in seinem Spielfilmdebüt der rituellen Beschneidung junger Männer in Südafrika. Ukwaluka heißt dieses Zeremoniell, an das sich die Xhosa geradezu verzweifelt festklammern. In dokumentarischer Manier und sehr beeindruckend zeigt Trengove junge Männer in weißer Bemalung und geschürztem Gewand, denen böse Geister, Jugend und Zartheit ausgetrieben werden sollen. Immer wieder saust das Messer den Sitzenden zwischen die Beine, immer wieder rufen sie dem Peiniger entgegen: "Ich bin ein Mann!"

Anschließend ziehen sie sich für acht Tage in kleine Hütten im Wald zurück, um die Wunden heilen zu lassen und zu lernen, was von ihnen als Männer künftig erwartet wird: Bäume fällen, Tiere töten, Schmerzen niederringen und unmaskuline Neigungen unterdrücken. Hin und wieder bricht noch das Pubertäre durch, dann vergleichen sie ihre malträtierten Schwänze: "Sieh dir den an: Ein Schnitt wie ein Mercedes." Durch diese Zeit werden sie von Männern begleitet, die sie pflegen und anleiten. Einer dieser Männer ist Xolani, er lebt in Queenstown, und soll sich besonders um den jungen Kwanda aus Johannesburg kümmern, den der Vater für verzärtelt hält und der sich deshalb die Tortur nicht einfach ersparen darf wie die meisten Städter heutzutage.



Doch die durch Tradition und Schmerz beglaubigte Mannwerdung funktioniert nicht mehr. Die Moderne breitet sich auch in der östlichen Kapregion aus. In Trengoves Savannenlandschaft warten nicht still und malerisch die Antilopen unter Schirmakazien auf ihre Jäger, hier toben Zärtlichkeit und Aggression, Frustration und Auflehnung: Xolani verehrt den Ritus, aber er liebt auch Männer. Der junge Kwanda liebt Männer, pfeift auf die Sitten der Hinterwäldler ebenso wie auf Diskretion. Der dritte im Bunde, Vija, steht auf Männer, liebt aber auch seine Frau und den eigenen Vorteil. Die übrigen jungen Xhosa haben in ihrem Leben so wenig, sie klammern sich mit aller Macht an ihre Vorstellungen von Maskulinität und Exklusivität: Im Gegensatz zu den berühmten Übergangsriten betreffen Initiationsriten nicht alle Angehörigen einer Gruppe, sie sind Ausgewählten vorbehalten, die mit dem Ritual in eine bestimmte soziale Gruppe aufgenommen werden. Je markanter, je geheimnisvoller oder je schmerzhafter das erlebte Ritual ausfällt, desto stärker anschließend der Zusammenhalt in der Gruppe.

John Trengove gibt mit seinem Film sehr eindrückliche Einblicke in eine verschlossene Welt, aus der fast nichts nach außen dringt. Nicht viele Xhosa-Männer sind bereit darüber zu sprechen, was während ihrer Initiation passiert. Sie halten sich an das Schweigegebot, aus alter Verbundenheit, aus Scham und dem Druck innerer Rechtfertigung. Trengrove stützt sich in seinem Film auf Thando Mgqolozanas Ukwaluka-Roman "A Man Who is not a Man", und außer Kwanda sind alle Rollen mit Xhosa besetzt, die das Ritual am eigenen Leib erfahren haben. Der Wille, allen Aspekten des Themas gerecht zu werden, tut der Erzählung nicht unbedingt gut, die kaum aus sich selbst heraus Kraft entfaltet, die Figuren entwickeln über ihre Ideenträgerschaft nicht viel Kontur. Und allem Facettenreichtum zum Trotz, mit denen sich Trengove Fragen von Männlichkeit, Sexualität und Identität widmet, gibt es eine große Leerstelle: In dem ganzen Film taucht keine einzige Frau auf.

The Wound. Regie: John Trengove. Mit Nakhane Touré, Bongile Mantsai, Niza Jay Ncoyini und anderen. Südafrika/Deutschland/Niederlande/Frankreich 2016. 88 Minuten. (Vorführtermine)