09.02.2017. Erste Empfehlungen, Interview, Porträts (im Bild Jury-Vorsitzender Paul Verhoeven): Der Berlinaleauftakt in der Presse.
Terence Hill in Fernando Birris ORG Heute beginnt die
Berlinale. Die
taz bringt dazu die erste ihrer eigens eingerichteten Beilagen. Filmredakteur Tim Caspar Boehme
schlägt Schneisen ins Dickicht der Sektionen (beim
Perlentaucher unternimmt dies Anja Seeliger). Aufgefallen ist ihm dabei besonders, wie unauffällig manche Länder positioniert sind: "Als
politische Symptome, die sich in indirekter Form manifestieren, könnte man (...) das spärliche Auftreten von Filmländern wie der
Türkei und
Iran deuten. Aus beiden Ländern läuft jeweils gerade einmal ein Film im Programm ... Damit haben die zwei Staaten exakt so viele Beiträge beigesteuert wie das als Filmland eher wenig auffällige Königreich Bhutan." Fabian Tietke
wirft Schlaglichter ins Programm der
Retrospektive, die sich in diesem Jahr mit dem
Science-
Fiction-
Kino befasst. Carolin Weidner
führt durch das
Programm der
Woche der Kritik, einem vom Verband der deutschen Filmkritik auf die Beine gestellten Parallelfestival. Und wer nur einen Film in diesem Festival sehen will, sollte sich an das im Forum als restaurierte Wiederaufführung gezeigte Experimentalfilm-Epos "ORG" von
Fernando Birri aus den Siebzigern wagen,
rät Diedrich Diederichsen, der sich von diesem
26000 Schnitte umfassenden Totalangriff auf die Sinne ordentlich durchpusten ließ. Mehr zu diesem Ungetüm, in dem Terence Hill eine Rolle spielt, in
diesem Dossier.
Jurypräsident Paul Verhoeven (Bild: Georges Biard) Auch die übrigen Zeitungen stimmen auf das Festival ein. Für den
Tagesspiegel hat sich Andreas Busche mit
Paul Verhoeven zusammengesetzt, der der Wettbewerbsjury als Präsident vorsteht. In einem für das Selbstverständnis der Berlinale unter Intendant Dieter Kosslick maßgeblichen Punkt liegt er schon mal auf gesunde Weise quer zum Festival: "Ich persönlich bin ja der Meinung, dass man
Kino und Politik nicht vermischen sollte. Wenn Kunst politisch wird, fügt sie sich meist einer Botschaft. Kino als Plattform für Themen ist aber
selten Kunst. ... Jetzt bin ich mal gespannt, welchen Einfluss meine Ansicht über die Trennung von Kunst und Politik auf das Urteil der Berlinale-Jury haben wird." Das sind wir auch!
Rund 400 Filme werden gezeigt.
SZ-Kritikerin Susan Vahabzadeh hat angesichts dessen durchaus Mühe, sich aus der Masse dieser Hefeteig-Berlinale ein
Festivalprofil zu schnitzen. Was sie durchaus heikel findet: "Filmfestivals sind eigentlich wichtiger denn je, weil sie der letzte Ort sind, an dem Kino noch als
Kunst verhandelt wird und nicht als Wirtschaftsgut. Das aber wäre das Wichtigste für das Profil der Berlinale - dass es in der Masse der Filme nicht
untergeht."
Für die
Zeit hat Katja Nicodemus schon einige der Filme des afroamerikanischen Schwerpunkts gesehen, der sich durch einige der Reiehen zieht (siehe unseren
Eröffnungsartikel)- Zu
Raoul Pecks viel erwartetem Dokumentarfilm über
James Baldwin sagt sie: "Man kann
'I am not Your Negro', der auch für den Oscar des besten Dokumentarfilms nominiert ist, als einen drängenden Rap sehen, der all die aktuellen schwarzen Filme verbindet. In manchen Momenten ist er auch ein Gospel. Und dann wieder ein
Revolutionslied."
Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals widmet sich der Kostümgestalterin
Milena Canonero, die vom Festival mit einem Ehrenbär und einer
Hommage ausgezeichnet wird. Katrin Doerksen
würdigt sie im
Perlentaucher: "Viel stärker als in 'Grand Budapest Hotel', diesem stilistischen Konglomerat aus Erinnerungen und freien Assoziationen, war Milena Canonero in 'Barry Lyndon' an die von Kubrick vorgegebene
historische Glaubwürdigkeit gebunden. Aber selbst in die Rokoko-Roben der anämischen Lady Lyndon - eine fiktionale Zeitgenossin Marie Antoinettes - flocht sie noch Anklänge an den
punk style Vivienne Westwoods, ahnte in der spinnwebfeinen Spitze
die Opulenz des Gothic-
Trends voraus." In der
SZ schreibt David Steinitz über die Hommage. Und uberhaupt: Der Kostümfilm ist wieder da, fällt
FAZ-Kritiker Andreas Kilb beim Blick auch auf die übrigen Sektionen auf. Vor allem die hohe "Anzahl der
Ausstattungsfilme mit politischem Touch" steche ins Auge.
Im
Freitag ärgert sich Matthias Dell: Die "trostlose" Retrospektive zum
Science-
Fiction-
Film sei vom Umfang her schmal, ohne historischen Anspruch und uninspiriert. Ärgerlich wird sie in Anbetracht dessen, dass die wirklich spannenden und als kuratorische Cinephilie glänzenden Retrospektiven
längst woanders laufen - so etwa die von Olaf Möller zusammengestellte Retrospektive zum BRD-Kino der 50er, die in Locarno als
Wiederentdeckung gefeiert wurde und jetzt um die Welt tourt (im nahtlosen Anschluss an die Berlinale macht sie
in Berlin halt): "Dass die Berlinale nicht auf die Idee kommt, die Locarno hatte, sagt etwas über
das deutsche Verhältnis zur Filmgeschichte aus."
Weiteres: Dominik Kamalzadeh
spricht im
Standard mit
Josef Hader über dessen im Wettbewerb gezeigtes Regiedebüt "Wilde Maus". Auf
ZeitOnline stimmt Heike-Melba Fendel darauf ein, dass auch in diesem Jahr wieder
die Rolle der Frau vor und hinter der Kamera diskutiert werden wird. Außerdem in der FAZ: Ein großes Gespräch zwischen Verena Lueken und
Volker Schlöndorff, dessen Verfilmung von "Rückkehr nach Montauk" im Wettbewerb läuft.
Für die Orientierung auf den schnellen Blick lohnt sich wie jedes Jahr der
große KritikerInnen-Spiegel von
critic.de. In unserem Berlinale-Blog
berichten ab heute Thekla Dannenberg, Katrin Doerksen, Thomas Groh und Anja Seeliger.