Außer Atem: Das Berlinale Blog

Zieht die Vorhänge nicht auf: Danis Tanovics 'Death in Sarajewo' (Wettbewerb)

Von Nikolaus Perneczky
15.02.2016. Ein Hotel in Sarajewo, ein französischer Ehrengast, ein Streik, das Vermächtnis Gavrilo Princips, eine große Familie und ein Mord. Dies alles und mehr verwebt Danis Tanovic und bleibt dabei doch unspezifisch.


Danis Tanovi?s "Epizoda u zivotu beraca zeljeza" (An Episode in the Life of an Iron Picker), der vor drei Jahren den silbernen Bären gewann, war ein Paradebeispiel für die Sorte politischen Kinos - gut gemeint, aber einfallslos -, für die der Berlinale-Wettbewerb in aller Welt berüchtigt ist. Dasselbe ließe sich auch über "Smrt u Sarajevu" (Death in Sarajevo), den diesjährigen Wettbewerbsbeitrag des bosnischen Regisseurs, sagen, obwohl der verschiedener nicht sein könnte. Wo "An Episode ..." die fahrige, nah am Körper artikulierte Bildsprache der Brüder Dardenne imitierte (und miserabilistisch vereinseitigte), orientiert sich Death in Sarajevo am Genre des netzwerkartig wuchernden Ensemblefilms. Die totale Austauschbarkeit des filmischen Idioms bei Beibehaltung der guten politischen Absicht: Gibt es ein schlagenderes Indiz für das, was hier falsch läuft?

Schauplatz des Films ist das Hotel Evropa im Zentrum Sarajewos, der Zeitraum ein Tag; am Abend wird hier eine zunächst nicht näher bezeichnete EU-Veranstaltung stattfinden, die den gesamten Mikrokosmos der im Hotel Beschäftigten in hellen Aufruhr versetzt. Das Silberbesteck will poliert, der Kinderchor verköstigt und der französische Ehrengast in Würden empfangen werden. Weil das Hotel in finanziellen Schwierigkeiten steckt und seit bereits zwei Monaten keine Gehälter mehr auszahlen kann, droht das Personal - ausgerechnet heute! - mit einem Streik. Die Concierge im Erdgeschoss, der Koch (ihr Lover) im Souterrain, die Wäschefrau (ihre Mutter) im Keller: das sind nur einige der unzähligen, durch Walk-and-Talk-Bewegungsvektoren miteinander kommunizierenden Glieder des riesigen Hotelorganismus. Hinzu treten später noch ein Wachmann, der Hotelmanager, sein Schuldner von der Zentralbank, ein Ganove, der seine Handlanger auf die Streikenden ansetzt, und etliche Nebenfiguren mehr, die zusammengenommen eine Ahnung von systemischer Verstrickung vermitteln sollen - von Brüssel bis nach Sarajewo.

Als ob das nicht schon genug wäre - und einmal davon abgesehen, dass die insinuierten Zusammenhänge nirgends mehr sind als Behauptung - hat sich am Dach des Gebäudes ein Fernsehteam eingenistet, das dort, die Skyline im Rücken, Interviews über das politische Vermächtnis Gavrilo Princips und die blutige Geschichte des jugoslawischen Bürgerkriegs führt, um die ohnehin überspannte Systemallegorie des Hotel Evropa auch noch in die nahe und ferne Vergangenheit zu verlängern. Der titelgebende Tod in Sarajewo meint nicht nur den Mord, in dem einige (aber bei weitem nicht alle) Erzählstränge am Ende des Films kulminieren (andere versanden oder nehmen einen anderen Ausgang), sondern alle möglichen Todesarten, vom Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie bis zum Massaker von Srebrenica. Alles ist mit allem auf vielsagende, aber nicht genau zu benennende Weise verwoben; Motive treten prinzipiell nicht als einzelne und besondere auf, sondern nur als Bestandteil von Motivverkettungen, die jeden Winkel Erzählwelt an sich binden. Als der Hotelmanager den Ganoven in dessen Stripteasebar aufsucht, erfahren wir, dass die Tänzerinnen zur Bespaßung der anwesenden EU-Granden in Herzogin-von-Hohenberg-Montur auftreten werden…

Der französische Ehrengast, dessen eigentliche Rolle erst in der letzten Einstellung offenbar wird, überdauert die beschriebenen Vorgänge in seinem Hotelzimmer, wo er den ganzen Tag über hinter zugezogenen Vorhängen eine Rede probt und poliert. Um den Bürgerkrieg geht es darin, und um das aporetische Unterfangen, die Idee Europa zu verteidigen im Angesicht der ungekannten Greueltaten, die das europäische 20. Jahrhundert kennzeichnen. Salbungsvoll übersteuert und seltsam unspezifisch klingt diese im Entstehen begriffene Rede. Die zugezogenen Vorhänge hätten uns gleich misstrauisch stimmen müssen: Will sich dieser Mann, wer immer er sei, denn überhaupt nicht den komplexen Wirklichkeiten stellen, die außerhalb des Hotels, also praktisch in Griffweite vor ihm liegen? Das ist die kritische Frage, die Tanovi? an dieser Figur exemplifiziert. Leider macht er es selbst auch nicht besser.

Smrt u Sarajevu - Death in Sarajevo. Regie: Danis Tanovi?. Mit Jacques Weber, Snežana Vidovi?, Izudin Bajrovi?, Vedrana Seksan, Muhamed Hadžovi?. Frankreich / Bosnien und Herzegowina 2016, 85 Minuten. (Vorführtermine)