Außer Atem: Das Berlinale Blog

Installative Bewegtbildarbeiten von Wu Tsang, Jen Liu und Kader Attia im Forum Expanded

Von Nikolaus Perneczky
14.02.2016. Wu Tsang lässt den Dichter Fred Moten tanzen, Jen Liu untersucht den Zusammenhang zwischen Kulturrevolution und Würstchenproduktion. Kader Attia erforscht den Komplex Psychiatrie und außerwestliche Weltanschauungen.


Beim Betreten der großzügigen Ausstellungsräumlichkeiten in der Akademie der Künste, wo installative Bewegtbildarbeiten im Rahmen des Forum Expanded untergebracht sind, grüßt einen die Tonspur von Wu Tsangs bezaubernder Tanzminiatur "Girl Talk". Der Dichter und Anglistikprofessor Fred Moten, angetan mit samtenem Cape und überlebensgroßen Diamantohrringen, dreht sich im Gegenlicht der (vermutlich) kalifornischen Sonne um die eigene Achse: eine kokette, qua Zeitlupe genussvoll zerdehnte Kreiselbewegung zwischen Tanz und Tändelei, die den massigen Körper des Dichters und Theoretikers buchstäblich zum Strahlen bringt. Dazu ein a cappella eingesungenes, eingehauchtes Lied über "Girl Talk", das, obwohl auf dem gleichnamigen Jazz-Standard beruhend, nach frei improvisierter Rede klingt, über "inconsequential things / that men don't really care to know…" Viel genauer kann ich auch nicht angeben, weshalb Wu Tsangs eigentlich einfach gebaute Phantasie es mir derart angetan hat.



Besonders eindrücklich außerdem "The Pink Detachment" von Jen Liu, das sich als Update der (mehrfach verfilmten) chinesischen Modelloper "The Red Battalion of Women" versteht. Das rhetorische, gestisches und performative Repertoire des kulturrevolutionären Vorbilds wird mit dem Topos der Fleischverarbeitung kurzgeschaltet, der ganze produktivistische Enthusiasmus jener Zeit in die Herstellung einer nicht enden wollenden Serie von Würstchen kanalisiert, die allegorisch für (post-)fordistische Abstraktion und Akzeleration von Arbeitsvorgängen einstehen: wenn man menschliche Arbeitskraft in abstrakten Einheiten - i.e. Würstchen - organisiert, steigt die entfesselte Produktivkraft ins Unermessliche. Abstraktion ist auch ästhetisch Programm: in CGI-Kamerafahrten durch die Wurstfabrik, aber auch in den von Hand gestalteten Studiosettings, in denen das Frauenbatallion in textilen Wurstattrappen posiert oder Knochen per Spitzentanz zu weißem Mehl zermalmt, das anschließend (qua Stop-Motion-Trickverfahren) mit pastösen Fleischresten zu einer indifferenten Masse verwurstet wird - und die ist von einem aparten Pink, das in der Zwischenzeit alle Unschuld verloren hat.

Kader Attia stellt im letzten Raum der Ausstellung "Reason's Oxymorons" vor, das Ergebnis einer Recherche zum Komplex Psychiatrie und außerwestliche Weltanschauungen, die als künstlerische Arbeit - auf vier einander zugekehrten Bildschirmen, denen von Attia geführte Videointerviews thematisch zugeordnet sind - nur eingeschränkt überzeugt, als Datenbankangebot aber durchaus einzunehmen weiß. Gesprächspartner sind Psychiater, Pfleger, Philosophen in Institutionen aus aller Welt, mit ihnen unterhält sich Attia über die einst zentrale, nun aber stetig nachlassende Bedeutung der Ahnen im psychischen Haushalt afrikanischer Patienten, und darüber, wie die Ablöse der Ahnen als wahrgenommene Schuldtragende psychischer Probleme durch technologische Beeinflussungsmaschinen mit der allgemeinen Digitalisierung zusammenhängt; über das pantheistische, in seiner Insistenz auf allseitige Reziprozität und Verwicklung an quantenphysikalische Modellierungen gemahnende "universe of forces" traditioneller afrikanische Religionen und über indigene Gegenmodelle zur westlichen Zweisubstanzenlehre; über das "posttraumatische Verbitterungssyndrom" ostdeutscher Patienten unmittelbar nach der Wiedervereinigung - ein Befund, den Attia interessanterweise mit jenen psychosozialen Störungen in Zusammenhang bringt, an denen heutige Migranten in westeuropäischen Metropolen häufig leiden - und vieles mehr.

Zurückkehren will ich zu Angela Melitopoulos' ausufernder Bilder-, Töne- und Deleuze/Guattari-Zitate-Sammlung "The Refrain", die Material von den Inseln Okinawa und Jeju zusammenträgt, wo amerikanische Militärbasen seit Jahrzehnten auf lokalen Widerstand treffen - ein stur gegen die Übermacht andauerndes, alltägliches und zumindest in Melitopoulos' Konstellation implizit transnationales Aufbegehren (zwischen Japan und Südkorea), das vor allem in Gesängen sedimentiert und überliefert wird - und zu Raphaël Griseys "A mina dos vagalumes", eine Videoinstallation, die sich der Quilombolas annimmt, im Bundesstaat Minas Gerais ansässiger Nachfahren afrobrasilianischer Sklaven.
To be continued…