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Opak: Jorge Foreros 'Violencia' (Forum)

Von Nikolaus Perneczky
12.02.2015. Jorge Forero erzählt in "Violencia" drei Geschichten über politische Gewalt in Kolumbien.


Ein mit nur 78 Minuten Laufzeit sehr konzentrierter Forumseintrag ist Jorge Foreros "Violencia". Drei minimalistisch instrumentierte Gegenwartsfabeln über politische Gewalt in Kolumbien werden lose zu einem Triptychon verbunden, dessen Einzelteile trotz unübersehbarer Erzählabsichten auch in einem installativen Kontext vorstellbar wären. Das Ergebnis wirkt weniger wie ein zu kurz geratener Langfilm denn wie ein ganz eigenes Format. Am Anfang jeder Geschichte steht ein Schwarzkader, der sehr langsam heller wird, um schließlich die Konturen der ersten Einstellung freizugeben. Jede Geschichte weist ein formal herausragendes Bravurastück auf, das jedoch nicht mit dem jeweiligen dramatischen Höhepunkt übereinstimmt. So gelingt "Violencia" ein Formentwurf, der präzise, aber nicht gestreng ist.

Der erste Teil dreht sich um einen Gefangenen im Dschungel. Man kann davon ausgehen, dass der mit einer eisernen Kette um den Hals gefesselte Mann ein Entführungsopfer der kolumbianischen Guerilla ist, muss aber eine ganze Weile auf Hinweise warten, die diesen Verdacht erhärten. Wir sehen dem bärtigen und bebrillten Gefangenen beim Abwasch und beim Schwimmen in einem Fluss zu - dafür darf er sogar einen Moment von der Kette, was umgehend Fluchtfantasien auslöst. Mehrmals taucht er und mit ihm die Kamera ins undurchsichtige Wasser, sodass das ganze Bild sich schmutzigweiß eintrübt. Mit jedem neuen Luftholen bleibt er länger unter der Oberfläche als beim letzten: Hat er sich im Schutz der schlammigen Fluten davongestohlen? Oder entführt uns der Film hier in Richtung Abstraktion?

In der nächsten Einstellung befindet sich die Geisel wieder in der Macht der Guerilla, die übrigens vollkommen gesichtslos bleibt. Nur Hände und Füße sind von den ihr angehörigen Kämpfern zu sehen, als ob diese nicht als Individuen darstellbar wären. Vielleicht soll auf diese Weise die Klandestinität ihres Kampfes nachempfunden werden. Jedenfalls geht von der Abwesenheit ihrer Gesichter eine latente und darum nicht genau zu bezeichnende Bedrohung aus, die von der beiläufigen Grausamkeit des Militärs, wie sie der zweite und dritte Teil des Films ausmalen, aber noch weit übertroffen wird. Diese entwickelt Forero in gemächlichem Tempo und dem Anschein nach fast richtungslos aus dem kolumbianischen Alltag heraus, einmal an der Hand eines arbeitssuchenden, kleinkriminelle Flaneurs im Teenageralter und schließlich, in der finalen Episode, am Beispiel eines mittelalten Mannes mit indigenen Zügen, der im Heimwerkerfachgeschäft Utensilien für eine Schlachtung einkauft.

Obwohl nichts Rätselhaftes geschieht, fühlt sich "Violencia" im Ablauf stets ein wenig opak an. Nur die Figuren wissen, wohin ihre Wege sie führen. Dem Zuschauer ist die meiste Zeit wenig Handhabe gegeben, um das Bevorstehende zu antizipieren. Der protokollarische Modus des Films lässt die Erzählgegenwart auf einen Punkt ohne rechte Ausdehnung zusammenschrumpfen: eine klaustrophobische Zeitlichkeit, die auch nach dem Ende des Films noch weiterhallt.

Jorge Forero: "Violencia". Mit Rodrigo Vélez, David Aldana, Nelson Camayo. Mit Kolumbien / Mexiko 2015, 78 Minuten. (Vorführtermine)