Außer Atem: Das Berlinale Blog

Davon habe ich nichts gewusst

Von Thekla Dannenberg
11.02.2015. Marcel Ophüls und Joshua Oppenheimer diskutieren beim Berlinale Talent Campus über Erinnerung, Versöhnung und Gerechtigkeit.

Joshua Oppenheimers "The Look of Silence", 2014

Als Marcel Ophüls für seinen Film "Hotel Terminus" die Handlanger des Lyoner Gestapo-Chefs Klaus Barbie in der Pfalz aufzuspüren versuchte, prallte er immer wieder an einer Wand aus Unnahbarkeit und Kälte ab. Vor allem einen Gestapo-Mann nannte er den "deutschen Eisberg". Jetzt, da er Joshua Oppenheimers neue Dokumentation "The Look of Silence" über die mörderische Verfolgung der Kommunisten in Indonesien gesehen hat, schwant ihm: Das ganze Land muss ein Eisberg sein.

Der Berliner Talent Campus brachte die beiden Filmemacher zusammen, um sie über Erinnerung, Versöhnung und Gerechtigkeit im Dokumentarfilm und in der Realität diskutieren zu lassen. Spannend war die Debatte vor allem, weil die beiden echtes Interesse an der Arbeit des anderen aufbrachten. Dass Ophüls Werk in seiner ganzen Rigorosität für den 1974 geborenen Oppenheimer von entscheidendem Einfluss war, betonte dieser natürlich immer wieder. Als "seinen Leitstern" bezeichnete er Ophüls Großdokumentation zu den Nürnberger Prozessen "The Memory of Justice", die heute Nachmittag im Berlinale Spezial läuft. Aber auch der 87-jährige Ophüls zeigte sich bemerkenswert offen für die Arbeit des Jüngeren, der er allerdings erstmals gestern Abend begegnet ist.

An Oppenheimers ebenfalls im Spezial gezeigten, neuen Film "The Look of Silence" führte die Diskussion entlang. Wie auch schon im Vorläufer "The Act of Killing" geht es in "The Look of Silence" um den hunderttausendfachen Mord an Indonesiens Kommunisten unter Präsident Sukarno in den sechziger Jahren. Doch diesmal lässt Oppenheimer nicht die Mörder von einst in kaum erträglichen Szenen ihre Untaten nachstellen, sondern zeigt einerseits sehr anrührend die ungetrösteten Angehörigen von Opfern und konfrontiert die Täter mit ihnen. "Ihr Mann hat 32 Menschen getötet", sagt Oppenheimers Protagonist Adi zu einer älteren Frau, darunter eben auch seinen Bruder. Davon habe ihr Mann nie etwas gesagt, antwortet sie, überhaupt habe sie nie etwas gewusst. Ihre Söhne beschweren sich über das Filmteam und werfen es nach einigem Hin und Her hinaus. Andere erzählen unbedarfter: "In Aceh war alles ruhig", sagt eine ältere Frau auf ihrer Veranda unter Palmen. Aber es gab doch viele Tote, Erschießungen und Massaker? "Ach so, Sie meinen die Kommunisten. Davon habe ich nichts gewusst." Eine dritte verliert nur allmählich ihren Stolz darüber, dass ihr Vater so viele Kommunisten getötet hat.

Ophüls kommt aus dem Staunen gar nicht heraus: Wie Oppenheimer die Täter dazu bekommen hat, das alles vor der Kamera zu sagen! Wie diese Menschen ihre abscheulichen Taten zugeben und sogar nachstellen: "Das ist ein Wunder!" Zumal in Jakarta noch immer dieselben Leute an der Macht seien. Manche, so viel wird deutlich, haben wohl geglaubt, dass Oppenheimer auf ihrer Seite stehe oder zumindest mit Billigung des Regimes arbeite. Ophüls wiederum erzählt, dass auch er immer eine Art des "gegenseitigen Einvernehmens" gesucht habe, weil man nur so die Leute zum Sprechen bekommen. Leider hat der eigentlich gut vorbereitete Moderator Ralph Eue an dieser Stelle nicht nachgefragt, ob es nicht auch Grenzen in den Mitteln gibt, Gesprächspartner zum Reden zu bringen.


Robert und Louise Ransom in Marcel Ophüls "The Memory of Justice", 1975

In Ophüls" "The Memory of Justice" sagt Telford Taylor, der Hauptankläger bei den Nürnberger Prozessen, dass die übelsten Verbrechen selbstverständlich nicht von Ungeheuern begangen werden, sondern von ganz normalen Menschen. Und wenn, ergänzte Ophüls, dann sehen sie nicht aus wie Ungeheuer, sondern so adrett wie Albert Speer. Hier zeigte sich, welche Gratwanderung die Dokumentation immer auch ist, wenn sie ein filmisches Erlebnis sein will. Natürlich sei es sein Ziel gewesen, sagt Ophüls, Albert Speer zu entlarven, der von der Endlösung nichts gewusst haben wollte. Aber vor allem sei er auch als Täter attraktiv gewesen. Speer war charmant und humorvoll, und ein solcher Täter beunruhige einen ja viel mehr als Klaus Barbie. Der, meint Ophüls, war so dröge, dass er den Film "Hotel Terminus" geradezu langweilig gemacht habe. "Aber wie haben Sie es geschafft, ihn zu entlarven", fragt Oppenheimer immer wieder. "Wie haben Sie das gemacht?" Antwortet Ophüls: "Gar nicht."

Joshua Oppenheimer: "The Look of Silence". Dänemark/Norwegen/Finnland/Indonesien/Großbritannien 2014, 99 Minuten. (Vorführtermine)

Marcel Ophüls: The Memory of Justice. Großbritannien/Bundesrepublik Deutschland/USA 1975, 278 Minuten. (Vorführtermine)