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Hat ein Faible für stolze Renitenz: Efrat Corems 'Ben Zaken' (Forum)

Von Nikolaus Perneczky
09.02.2015. Efrat Corem porträtiert in seinem Film "Ben Zaken" eine israelische Familie aus der Unterschicht, in der nur noch die Frauen gegen ihr vermeintliches Schicksal kämpfen.


"Ben Zaken" ist der erste lange Spielfilm der israelischen Regisseurin Efrat Corem. Der Titel ist der Name einer Unterschichtsfamilie, die in einer wirtschaftlich niedergedrückten Siedlung in der südisraelischen Kleinstadt Ashkelon lebt, wo Corem selbst aufgewachsen ist. Da ist der Baustellenvorarbeiter Leon, dessen übergroße Kippa bis unter den Haaransatz reicht, sein zu nichts tauglicher Bruder Shlomi, der sich höchstens eine Baseballmütze aufsetzt, und dessen Tochter Ruhi, die als einzige noch nicht gebrochen ist von den deprimierenden Verhältnissen. Gemeinsam mit Leon und Shlomis Mutter leben sie in einer schmucklosen kleinen Wohnung, so dicht aneinander, dass ständig Streit in der Luft liegt.

Viel passiert nicht in diesem Ashkelon, außer dass Shlomi sich als Vater und auch sonst zusehends überfordert fühlt, während Leon, den die Mutter ihren "Heiligen" nennt, ohne nach links oder rechts zu blicken seiner gottgegebenen Arbeit nachgeht. In der Betschule, die Leon aufsucht, erzählt der Rabbiner von einem theologischen Streit zwischen zwei Gelehrten: Wäre es nicht besser, Gott hätte den Menschen gar nicht erst erschaffen? Die Gelehrten finden schließlich zu einem Kompromiss, der dem Film als Motto beigestellt sein könnte: Es wäre tatsächlich besser, wenn es uns nicht gäbe, aber da wir nun schon einmal hier sind, bleibt uns nichts übrig, als unsere Taten zu prüfen.

Das Ereignis, das den Film zusammenhält und ihm eine Richtung gibt, ist Rom Shoshan in der Rolle von Shlomis Tochter Ruhi. Jede Beleidigung, die ihr angetan wird, schleudert sie umgehend und mit Zins zurück. Noch wenn sie, von ihren Mitschülern durch den Dreck gezerrt, am Boden liegt, scheint Ruhis Integrität unangetastet. Erst als ihr Vater in Erwägung zieht, sie in ein Heim zu geben, beginnt sie den Halt zu verlieren - umso schmerzvoller, ihr dabei zuzusehen.

Die stolze Renitenz, mit der Ruhi sich gegen die falsche Welt zur Wehr setzt, erinnert an die lumpenproletarischen Helden der Dardennes. Inszenatorisch hat Ben Zaken mit dem politischen Körperkino des belgischen Brüderpaars indes wenig gemein. Der Film entfaltet sich in ausdauernden, präzise kadrierten und höchstens unmerklich bewegten Einstellungen, die On und Off des Bilds dramaturgisch nutzen. In langen establishing shots von Häuserzeilen und Industrieanlagen, die das eigentliche Geschehen nur tangential berühren, deutet sich ein Beharrungsvermögen der sozialen Wirklichkeit an, das jeden Widerstand zwecklos erscheinen lässt.

Überhaupt ist die Welt von Ben Zaken weniger Handlungsraum als Wartezimmer; ihren Anforderungen begegnet man möglichst im Sitzen oder Liegen. Shlomi, hinter dessen Vollbart sich echte Verzweiflung abzeichnet, würde das Bett, in dem er sich tagsüber von seiner unregelmäßigen Beschäftigung als Nachtwächter ausruht, am liebsten gar nicht mehr verlassen. Alle gehen wie durch Gallerte, nur die Frauen - neben Ruhi ist das vor allem die junge Riki, eine ehemalige Geliebte Leons - lassen sich nicht ruhig stellen. Durch sie kommt Bewegung in das allgemeine Verhängnis, als das die menschliche Existenz in Ben Zaken erscheint, durch sie wird der Film zum (im Ansatz) politischen.

Ben Zaken bezeugt ein geschärftes Bewusstsein für die sozialen Gegensätze in der israelischen Gesellschaft, auch jenseits der bekannten Grenzziehungen. Filmisch ist das nicht halb so aufregend wie die ähnlich ausdifferenzierten Arbeiten von Corems Landsmann Nadav Lapid (Policeman, The Kindergarten Teacher), sehenswert aber allemal, allein um der Energien willen, die das jüngste Familienmitglied in die Welt setzt.

Efrat Corem: "Ben Zaken". Mit Eliraz Sade, Rom Shoshan, Mekikes (Ronen) Amar, Chani Elemlch, Batel Mashian, Robby Elmaliah, David Ben Hamo. Israel 2014, 90 Minuten.
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