Außer Atem: Das Berlinale Blog

Den Sechstagekrieg und seine Folgen dokumentiert Mor Loushys 'Censored Voices' (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
07.02.2015. Kurz nach dem Sechstagekrieg erzählen "Censured Voices" israelischer Soldaten, warum dieser Krieg nur scheinbar leicht gewonnen war. Eine Dokumentation von Mor Loushy.


Nur wenig Tage nach dem Sechs-Tage-Krieg machte sich der Schriftsteller Amos Oz auf in den Kibbutz Geva, um die heimgekehrten Soldaten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen während der Kämpfe erzählen zu lassen. Das ganze Land schien zu jener Zeit von einem einzigen Siegestaumel erfasst, berauscht von dem Triumph, die so übermächtigen Armeen von Ägypten, Syrien und Jordanien besiegt und Ost-Jerusalem erobert zu haben. Die Berichte der Soldaten hätten in die damaligen Freudenfeier vielleicht ein gewisses Unbehagen gebracht, wenn sie denn hätten veröffentlicht werden dürfen. Aber sie durften nicht.

Mor Loushy hat für ihren Film "Censored Voices" die von Amos Oz gemachten Aufnahmen jetzt, fast fünfzig Jahre später, ausgewertet. Zum Teil unterlegt Loushy sie mit aktuellen Bildern der mittlerweile gealterten Kibbuznik, die ihre Aussagen heute - außer in einem Fall - bekräftigen, zum Teil mit alten Archivbildern, die mitunter so gut zu dem gesprochenen Wort passen, dass man sich selbst immer wieder an die Montage erinnern muss. Die Soldaten berichten zunächst vom lausigen Zustand der arabischen Armeen, geradezu erbärmlich wirken die Szenen, in denen die Israelis auf ihre Gegner stießen. Laut den Berichten fanden kaum Kämpfe statt. Allerdings gab es auch keine Gefangenen: Ein Soldat berichtet, wie er völlig konsterniert seine Vorgesetzten fragte, was er tun soll: "Die Ägypter laufen nicht weg, sie gehen nicht mal in Deckung, sie stehen einfach nur da. Als Antwort erhielt er den Befehl: "Erschieß sie!" Auch andere berichten davon, wie syrische Soldaten erschossen wurden, die sich bereits ergeben hatten. "Wo gehobelt wird, da fallen Späne", sagt man dazu in Israels Armee.

Bedrückend auch die Szenen, in denen die Palästinenser aus Jerusalem, Nablus und Dschenin fliehen oder vertrieben werden. Ein Kibbuznik erzählt von einer offenbar recht gebildeten und schönen Palästinenserin, die mitansieht, wie ein Zivilist erschossen wird, woraufhin sich in ihr Gesicht mit einem Schlag die Demütigung der Besatzung eingräbt, wie man es heute nach fünfzig Jahren bei so vielen Palästinensers sieht. Ein anderer Kibbuznik berichtet schockiert, wie wehrlos die Palästinensers waren, als ihre Häuser und Dörfer evakuiert wurde, wie umstandslos sie sich haben abführen lassen: "Wie Schafe". Da, meint er, habe er begriffen.

Schließlich widerlegen diese Kibbuzniks auch die Sehnsuchtserzählung, derzufolge die Israelis nun nach Jahrzehnten des Hoffens endlich Zugang zur Altstadt von Jerusalem bekommen hätten, die Klagemauer, Bethlehem und Rachels Grab: "Wir hatten doch schon längst vergessen, dass es das alles überhaupt gab."



Man begreift ziemlich schnell, warum diese Tonbänder vom Militär zensiert wurden: Wenn die Berichte der Soldaten stimmen, dann reden sie auch über Kriegsverbrechen. Aber ob sie an der politischen Diskussion und der allgemeinen Siegesstimmung etwas geändert hätten? Der Film selbst sagt nichts dazu, er kontrastiert die Aufnahmen übertrieben scharf mit den Bildern eines geradezu sozialistischen Hurrapatriotismus. Doch gab es 1967 zur Genüge kritische Stimmen, außerhalb Israels natürlich, aber auch innerhalb, etwa die von Ben Gurion. Es wurde nicht auf sie gehört, aber es gab sie.

Bitter ist vielleicht, dass man auch sehr bald versteht, warum die Tonbänder nun freigegeben werden konnten. Nach fünfzig Jahren Besatzung, Terror und gescheiterten Friedensbemühungen, nach arabischem Frühling und syrischem Winter, wo schon alles zu dem Schlamassel gesagt zu scheint und doch nicht weiter hilft, haben diese Stimmen aus der Vergangenheit deutlich an Brisanz verloren. Sie zeigen allerdings daran, wie sehr sich das Land verändert hat und wie treu sich Amos Oz geblieben ist.

Mor Loushy: Censored Voices. Israel/Deutschland 2015, 84 Minuten. (Vorführtermine)