Außer Atem: Das Berlinale Blog

Demokratisiert 3D: Wim Wenders' 'Kathedralen der Kultur' (Berlinale Special)

Von Thekla Dannenberg
13.02.2014. Sechs Regisseure filmen Architektur-Ikonen der Moderne in 3D. Das Ergebnis ist großartig. Und selbst im Scheitern lässt sich noch was lernen.


Kein Filmregisseur setzt noch mit solchen Enthusiasmus auf 3D wie Wim Wenders. Während sich alle anderen schon ernüchtert von dieser Technik abwenden, die keine Menschen in Großaufnahme zeigen kann und bei schneller Bewegung Übelkeit verursacht, will Wenders sie nicht Hollywoods fantasielosen special-effects-Abteilungen überlassen. Nach dem Tanzfilm "Pina" ist er nun mit dem Projekt "Kathedralen der Kultur" angetreten, um 3D zu demokratisieren und zu einem Mittel des unabhängigen und des dokumentarischen Kinos zu machen, wie er in einem Interview mit dem Hollywood Reporter sagte. Für das Projekt hat er mit fünf weiteren Regisseuren zusammengearbeitet, die sich in jeweils halbstündigen Filme mit den großen Architektur-Ikonen der Moderne befassen. Das Ergebnis ist toll. Und zwar nicht nur weil alle sechs Regisseure die filmischen Möglichkeiten von 3D sehr kunstvoll austesten, sondern auch, weil es immer sehr aufregend ist, wenn sich Künstler mit den Werken anderer analytisch, vor allem aber kreativ auseinandersetzen.

Wenders gebührt das Verdienst, diesen von der ersten bis zu letzten Minuten spannenden Dreistünder initiiert zu haben. Mit seinem Beitrag über Hans Sharouns Berliner Philharmonie liefert er allerdings nicht den Beweis, dass 3D ein Bauwerk ganz neu erschließen kann. Vielleicht liegt es an der Intellektualität von Sharouns Architektur, dass sich ihre Genialität nicht unmittelbar übers Auge vermittelt, obwohl wir Simon Rattle bei den Proben zu Debussys "Jeux" und sogar im Allerheiligsten, im Dirigentenzimmer, zu sehen bekommen. Wie kann man auch ein demokratisches Hörerlebnis ins Bild setzen? Beim geistigen Kraftzentrum des Baus dagegen, dem Dirigentenpult im großen Saal, gelingt Wenders das sehr schön.

Der Österreicher Michael Glawogger zeigt die Russische Nationalbiliothek in St. Petersburg als wunderbar aus der Zeit gefallen Ort, dessen Bestände aus der Zeit vor der Revolution zu stammen scheinen. Außerdem dürfen hier offenbar nur Frauen arbeiten. Mit Dutt und Kittelschürze stauben sie die Bücher ab, stempeln Karteikarten, wuchten Folianten in die Regale und marschieren stracks durch endlose Gänge. Durch Rotunden, Archive und Heizungsräume, vorbei an Karteikästen, Katzenpostern und Lenin-Büsten in den Lesesaal. Mit der 3D-Technik verschafft Glawogger einen sehr schönen Sinn für die Tiefe dieses unergründlichen Labyrinth des Geistes. Im Interview mit dem Standard sagte Glawogger: "Nichts kann einem die Erfahrung nehmen, in dieser Bibliothek einmal eine Bibel aus Gutenbergs Zeit in der Hand gehalten zu haben – oder daran nur gerochen zu haben. Ich wollte diesen Umbruch reflektieren. Deshalb gibt es am Ende auch dieses Bild eines flachen E-Readers, in den der Film hineinstürzt."

Die Norwegerin Margreht Olin befasst sich in ihrem Portät der Oper von Oslo weniger mit der architektonischen Struktur des Gebäudes, als mit dem Raum, den es der Kreativität gibt. Dabei entstehen wunderbare Bilder von Menschen, die sich gegenseitig inspirieren. Engelsgleiche Chorknaben, Tenöre und Ballett-Tänzer arbeiten hier zusammen und haben durch die Glasfronten immer die Stadt und die Gesellschaft im Auge. Das ist bestimmt eine sehr skandinavische Sicht, zeigt aber auch, welchen Raum die nordischen Länder der Kreativität ihrer Menschen geben.

Einen grandiosen Kontrapunkt zum pompösen Titel setzt Michael Madsen: Er führt in Erik Møllers norwegisches Halden Gefängnis von 2010. Es ist eine Hochsicherheitsanstalt für Schwerverbrecher, und doch zeigt sich hier mehr Schönheit und Humanität als in jedem Rathaus- Neubau deutscher Städte. Visuell und intellektuell fängt Madsen den doppelbödigen Charakter dieses Baus ungeheuer reflektiert ein: das Innen und Außen, Funktionalität und Ästhetik, Kontrolle und Freiraum. Gebannt folgt man den WärterInnen, die mal mit den Häftlingen Basketball spielen, mal in voller Kampfmontur antreten und dann wieder die Fäkalien von den Wänden wischen, wenn ein Gefangener in der Isolationszelle durchgedreht ist. Und während die anderen Regisseure, wie es das Konzept vorsah, das Gebäude oder "seine Seele sprechen" ließen, legt der Rationalist Madsen die Stimme der Gefängnispsychologin Benedicte Westin über seinen Film.

Der brasilianische Regisseur Karim Ainouz, dessen "Praia do Futuro" im Wettbewerb läuft, hat sich mit dem Centre Pompidou eine sattsam erkundete Architektur-Ikone ausgesucht, die ihre schockierende Wirkung längst verloren hat, seit Renzo Piano und Richard Rogers 1977 dieses Raumschiff in das Herz von Paris setzten, doch kann er dem Bau erstaunlich viele neue und sehr schöne Bilder abgewinnen. Er kapriziert sich ganz auf das Funktionelle, das Operationelle dieser Kulturmaschinerie, filmt Elektriker und Arbeiter beim Aufbau von Ausstellungen oder die Reinigungskolonne, die sehr lustige Techniken zum Putzen der Rolltreppen erfunden haben. Am konventionellsten geht Robert Redford an Louis Kahns Salk Institute von 1960 in La Jolla heran. Ein grandioses Bauwerk: Von außen, mit Blick auf das Meer, eine sakrale Prozessionsstraße aus Sichtbeton, von innen ein betriebsamer Forschungsorganismus. Redford lässt jedoch erkennen, wie wenig 3D für eine historische und diskursive Herangehensweise taugt: Überblendungen, die Einbindung von Archivmaterial oder Interviews vertragen sich mit 3D nur schwer. Aber auch hierhin liegt noch eine interessant Erkenntnis.

Thekla Dannenberg

Kathedralen der Kultur. Regie: Wim Wenders, Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Aïnouz. Deutschland / Dänemark / Österreich / Norwegen 2014, 165 Minuten (Berlinale Special, alle Vorführtermine)