Außer Atem: Das Berlinale Blog

Autodestruktion im Wortsinn: Danis Tanovics 'An Episode in the Life of an Iron Picker' (Wettbewerb)

Von Nikolaus Perneczky
13.02.2013. "An Episode in the Life of an Iron Picker", der bosnisch-herzegowinische Wettbewerbsbeitrag von Danis Tanovic, ist ein wohlmeinender Film über eine Romafamilie aus dem Hinterland, erzählt aus der Perspektive des Vaters Nazif, der seinen Unterhalt und den seiner Familie als Eisensammler bestreitet. Fast ist mit dieser Berufsbezeichnung schon zu viel gesagt: Er schaut eben, wo in seinem völlig verarmten Umfeld noch Gegenwerte zu bergen sind. Und die finden sich nun einmal vornehmlich in der Gestalt von Altmetall, einer provisorischen Müllhalde oder – hierin verdichtet sich das sisyphos'sche Zentralmotiv – seinen eigenen Subsistenzmitteln abgerungen. Die stärkste Szene zeigt Nazif und seine Nachbarn bei der Demontage seines Autos mit rostigen Sägen und schweren Hämmern: Autodestruktion im Wortsinn.


"An Episode in the Life of an Iron Picker", der bosnisch-herzegowinische Wettbewerbsbeitrag von Danis Tanovic, ist ein wohlmeinender Film über eine Romafamilie aus dem Hinterland, erzählt aus der Perspektive des Vaters Nazif, der seinen Unterhalt und den seiner Familie als Eisensammler bestreitet. Fast ist mit dieser Berufsbezeichnung schon zu viel gesagt: Er schaut eben, wo in seinem völlig verarmten Umfeld noch Gegenwerte zu bergen sind. Und die finden sich nun einmal vornehmlich in der Gestalt von Altmetall, einer provisorischen Müllhalde oder – hierin verdichtet sich das sisyphos'sche Zentralmotiv – seinen eigenen Subsistenzmitteln abgerungen. Die stärkste Szene zeigt Nazif und seine Nachbarn bei der Demontage seines Autos mit rostigen Sägen und schweren Hämmern: Autodestruktion im Wortsinn.

Der Plot begleitet Nazif über einen nur wenige Tage umspannenden Zeitraum, unterdessen seine Frau Senada eine Fehlgeburt hat. Obwohl eine OP dringend nötig wäre, um Senadas Gesundheit zu sichern, verweigern ihr die Spitalsangehörigen in der nächstgelegenen Stadt die Hilfeleistung: Senada ist nicht versichert. Der Rest von "An Episode in the Life of an Iron Picker" handelt von Nazifs verzweifelten Bemühungen, das Leben seiner Frau zu retten.

Nazif, Senada und auch ihre beide kleinen Töchter, die hin und wieder mit großen Augen in die Kamera blicken, spielen sich selbst in diesem dennoch durchinszenierten Film, der nichts dem Zufall oder der leeren Zeit überlässt. Der gleichförmige Erzählverlauf weist keine Spitzen auf, nicht einmal in Momenten größter Not, sondern charakterisiert Nazifs Überlebenskampf als lethargische Dauerbewegung. Gleich Sisyphos kommt Nazif nie zur Ruhe, findet er sich am Ende der aktuellen Aufgabe – Holz hacken, Eisen sammeln, Benzin beschaffen – mit einer neuen konfrontiert: ein Teufelskreis, den man als sozialkritische Wendung des bekannten Lieds vom Loch in der Kanne beschreiben könnte. Nazif führt ein atemloses Leben, das sich vollständig im eigenen Erhalt verausgabt.



Dass es kein Entkommen gibt aus diesem Kreis, dafür sorgt auch Tanovics Montage. Immerzu schneidet er auf die nächste Szene, noch bevor der gerade ablaufende Vorgang Gelegenheit hatte, sich zu mehr als einer stieren Zustandsbeschreibung zu entwickeln. Ellipsen gibt es viele, trotzdem lässt der Film nichts aus: Nazif öffnet die Tür. Schnitt. Er macht sich am Straßenrand an einem Holzscheit zu schaffen. Schnitt. Er ist bereits wieder im Begriff, ins Haus zurückzukehren. Jeder Blick hat ein klares Ziel, höchstens in den Autofahrten wird er momentweise suspendiert. Die aus der Fahrerkabine seitwärts gefilmten Fahrten dauern aber nie länger als einige Sekunden und sind nicht frei von miserabilistischen Einschreibungen. Wenn es doch nur eine Sekunde gäbe, in der Tanovic nicht schon restlos Bescheid wüsste über alles, was ihm vors Objektiv gerät!

Zwischendurch gibt es ein paar didaktische Szenen, die dem Festivalpublikum bedeuten, dass sich hinter diesem Einzelschicksal eine ganze Geschichte verbirgt, von dem es – obwohl Bosnien-Herzegowina nun so weit entfernt auch wieder nicht ist – wahrscheinlich eher wenig weiß. Nazif erklärt den Mitarbeitern einer Roma-NGO, dass er im Krieg gekämpft hätte. Eine Rente sah er dafür aber nie. Es kann wenig Zweifel daran bestehen, dass "An Episode in the Life of an Iron Picker" nicht deshalb in den Wettbewerb aufgenommen wurde, weil er ein guter Film ist. Sein einziges Verdienst ist, sich einer minoritären Volksgruppe zuzuwenden, die unter Armut, gesellschaftlicher Diskrimination und behördlichen Schikanen leidet. So sehr der diesjährige Wettbewerb sich von den Lineups der letzten Jahre abhebt: Manche Dinge ändern sich eben nie.

Nikolaus Perneczky

"An Episode in the Life of an Iron Picker" (Epizoda u zivotu beraca zeljeza). Regie: Danis Tanovic. Mit Senada Alimanovic, Nazif Mujic, Sandra Mujic, Semsa Mujic u.a., Bosnien und Herzegowina, Frankreich, Slowenien 2013, 75 Minuten (alle Vorführtermine)