Außer Atem: Das Berlinale Blog

Sucht den magischen Moment: Richard Linklaters 'Before Midnight' (Wettbewerb)

Von Nikolaus Perneczky
11.02.2013.


Nach "Before Sunrise" und "Before Sunset" liegt nun der dritte Teil von Richard Linklaters Trilogie des Lebens vor. Zuerst begegneten sich der ewig adoleszente Amerikaner Jesse und die sprunghafte Französin Céline in einem Zug nach Wien, wo sie eine kurze und weniger heftige als dialoglastige Nacht miteinander verbrachten. Dann trafen sie sich Jahre später in Célines Heimatstadt Paris wieder, wohin es Jesse auf einer Lesereise anlässlich seines Romandebüts verschlug. Die Handlung: Jesse und Célines Wiener Gspusi. Das Ende dieses zweiten Teils ließ offen, ob die beiden diesmal zusammenbleiben würden.

"Before Midnight" ändert nichts an den Spielregeln der bekannten, grundsympathischen Anordnung - außer dass Ethan Hawkes Jesse und Julie Delpys Céline nun ein ehegleiches Paar mit Kindern sind, das den magischen Moment der Zufallsbegegnung, der die ersten beiden Teile strukturierte, nur noch im peloponnesischen Urlaub herzustellen vermag bzw. genau daran scheitert. Das ist auch schon die Fragestellung von "Before Midnight": Lässt sich der romantische Augenblick verstetigen (nein) oder wiederbeleben (vielleicht) und soll man es überhaupt versuchen (unbedingt)?

Kernstück des Films ist ein nachmittäglicher Spaziergang vor unverschämt schönem Hintergrund, der vermittels eines noch schöneren Sonnenuntergangs in eine kammerspielartige Hotelszene übergeht. Schritt für Schritt wird das gemeinsame Leben ausverhandelt, in einer heiteren Konversation ohne Scheu vor Klischees und "bullshit", wie Jesse die Ambition seiner selbstgemachten Lebensphilosophie relativiert. Es ist dieser halb gelebte, halb durchschaute Bullshit - Stereotypen, Sophismen, Gemeinplätze - der "Before Midnight" davor bewahrt, sich in Befindlichkeiten zu verlieren. Niemand ist daran interessiert, sich dem anderen auf originelle oder authentische Weise mitzuteilen. Was zählt, ist der verbale Austausch als Beziehungsmedium: Whatever works. Im Hotel dann entfacht sich ein Streit, der zum Wunderbarsten gehört, das die diesjährige Berlinale bis jetzt zu bieten hatte. Während Jesse und Céline sich dieselben Plattitüden an den Kopf werfen, die sich Millionen vor ihnen an die Köpfe geworfen haben, stellt sich - gleichsam hinter ihrem Rücken - das getreue Abbild der erratischen und gar nicht leicht zu fassenden Arrhythmie her, die solche Streitgespräche anzunehmen pflegen.

Hawke und Delpy spielen ihre Figuren mit Spaß an der Übertreibung, auch wenn sich am Ende mehr von diesem Spaß auf den Zuschauer überträgt als vom Spiel der beiden. Alles an ihnen ist sichtbar, spricht sich sofort aus, und auch Linklaters Regie kennt weder Innerlichkeit noch Subtilität. Vor dem Hintergrund einer bestimmten Tendenz des deutschen Urlaubsfilms (auf Formentera, Sardinien oder in Nizza) sei es verziehen, wenn einem das wie ein Befreiungsschlag vorkommt. Im Forumsfilm "Halbschatten" von Nicholas Wackerbarth gibt es eine Szene, in der die Schriftstellerin Merle der Putzfrau auseinandersetzt, dass der Plot des Romans, an dem sie gerade arbeitet, nicht das Wesentliche sei: "Ce n'est pas le problème". Jesse, ebenfalls Schriftsteller, aber von populärer Literatur fernab solcher Prätentionen, plagen ganz andere Sorgen. Als er von seinem nächsten Romanprojekt erzählt, bemerkt ein Zuhörer: "I hope it will not be too long." In dieser Szene, die ganz am Anfang von "Before Midnight" steht, meldet sich der Regisseur Richard Linklater zu Wort. Nicht um feierliche Erklärungen abzugeben, sondern, ganz ästhetischer Populist, um diejenigen unter uns zu beruhigen, die so sprunghaft sind wie Céline. Dass der Film unterhaltsam sein wird. Und nicht zu lang. Genau das ist er.

Nikolaus Perneczky

"Before Midnight". Regie: Richard Linklater. Mit Ethan Hawke, Julie Delpy, Xenia Kalogeropoulou, Ariane Labed, Athina Rachel Tsangari u.a., USA / Griechenland 2013, 108 Minuten (alle Vorführtermine)