Außer Atem: Das Berlinale Blog

Waffen, Nutten, Koks: Shaul Schwarz' 'Narco Cultura' (Panorama Dokumente)

Von Thekla Dannenberg
10.02.2013. Der im Norden Mexikos tobende Drogenkrieg ist uns nicht fremd. Wir wissen von den Tausenden Toten in Ciudad Juárez und den anderen Grenzstädten zu den USA. Wer nicht Roberto Bolano oder Alma Guillermoprieto gelesen hat, der kennt Don Winslows Thriller. Und doch fällt es schwer, sich ein Bild zu machen von einer Stadt, in der jährlich 3000 Menschen getötet werden - ohne dass Polizei oder Armee in der Lage oder willens wären, diese Morde aufzuklären -, von ihrer Armut, ihrer Hoffnungslosigkeit und auch ihrer Desolatheit.


Der im Norden Mexikos tobende Drogenkrieg ist uns nicht fremd. Wir wissen von den Tausenden Toten in Ciudad Juárez und den anderen Grenzstädten zu den USA. Wer nicht Roberto Bolano oder Alma Guillermoprieto gelesen hat, der kennt Don Winslows Thriller. Und doch fällt es schwer, sich ein Bild zu machen von einer Stadt, in der jährlich 3000 Menschen getötet werden - ohne dass Polizei oder Armee in der Lage oder willens wären, diese Morde aufzuklären -, von ihrer Armut, ihrer Hoffnungslosigkeit und auch ihrer Desolatheit.

Mit seiner Dokumentation über die nordmexikanische Narco-Kultur liefert Shaul Schwarz nun die Bilder, die einem bisher fehlten, um sich das Grauen in seiner ganzen Alltäglichkeit vor Augen zu führen. Schwarz, der zuvor lange als Fotoreporter gearbeitet hat, ist kein unvoreingenommener Beobachter und schon gar kein verständnisvoller.

Er mag die Drogenbarone nicht, er hält sie nicht für eine irgendwie systemkritische Bewegung von unten, kein movimiento alterado. Er zeigt die ganze Widerwärtigkeit einer Unkultur, bei der verfettete Neureiche in Cowboy-Stiefeln und Stetson-Hüten mit Waffen, Nutten und Koks prahlen und wichtigtuerische Worthülsen von sich geben: "The sky is the limit."

Edgar Quintero, Mitte zwanzig, in Los Angeles geboren, ist Sänger der Buknas de Culiacan, einer der berüchtigten Narco-Bands, die die Mordtaten der Drogenbosse besingen. Quinteros Boss ist Chapo Guzman vom Sinaloa-Kartell: "Ich will Blut sehen, ich bin wahnsinnig und liebe es meine Feinde zu töten", posaunt er und fuchtelt mit seiner Knarre herum. Quintero behauptet, die Buknas hätten von ihrem Album 100.000 Stück verkauft, angeblich sogar über Wal-Mart (wo sie ja auch ihre Waffen kaufen). Der Film denunziert den Mann nicht, er zeigt ihn aber in seiner ganzen Schäbigkeit: Viel bringt es ihm nämlich nicht, den Drogenbossen zu Diensten zu sein, auch wenn die Parole der Narco-Kultur lautet: "Erst kriegt man die Macht, dann das Geld, dann die Frauen." Quintero lebt mit Frau und Kind in einem schäbigen Haus in Los Angeles ein armselig spießiges Vorort-Leben.

Dagegen schneidet Schwarz einen Ermittler von der Spurensicherung, dessen Leben eigentlich auch zum Heulen ist. Mit 34 Jahren lebt er noch bei seiner Mutter, am Samstagabend geht er mit seiner Freundin zum Polizistenschwoof. Von amerikanischen Ausbildern trainiert, arbeitet er am Tatort nur maskiert, wenn er in der Stadt unterwegs ist, muss er um sein Leben fürchten. Kistenweise sammelt er forensisches Material zu den zehn Morden am Tag. Was damit geschieht, kann er allerdings nicht sagen. Schon am Donnerstag weiß niemand mehr, wo die Kisten vom Dienstag stehen.

Das Verstörende an dem Film ist, wie sich beide Seiten nur an den USA abarbeiten. An allem ist Amerika schuld, gleichzeitig richten sich alle Hoffnungen darauf: Die einen träumen von Geld, Macht und Frauen in Los Angeles, die anderen von einem friedlichen Leben in El Paso, der amerikanischen Nachbarstadt von Juarez. Doch der amerikanische Traum ist hier pervertiert zu reiner Oberfläche. Man kann es irgendwann nicht mehr hören, dieses ganze floskelhafte Gerede, dieses "You gotta do what you gotta do" oder "It's about respect". Selbst die Frau, deren Sohn gerade in siebzehn Teile zerlegt wurde, lässt eine rhetorisch einwandfreie Salve gegen Präsident Calderón und die amerikanische Drogenfahndung los. Aber keiner entwickelt eine echte Vorstellung davon, was aus dem eigenen Land werden soll. Einziger Lichtblick in dieser Hinsicht ist die kluge und mutige Journalistin Sandra Rodriguez von "El Diario", die sehr klar über das Scheitern der Gesellschaft und das Versagen der Polizei spricht und die weiß, dass die forensische Informationen, die die Polizei so fleißig sammelt, nirgendwohin führen. Denn ermittelt wird anschließend nicht.

Es ist erschütternd, wie sich eine Stadt aufgegeben hat, um einen Krümel vom großen Drogenkuchen abzubekommen. Nach vier Jahren ist die gesamte Wirtschaft der Stadt zusammengebrochen, allein das Friedhofswesen floriert: Die getöteten Fußsoldaten werden in farbenfrohen, wenn nicht schrillen Zeremonien zu Grabe getragen, die trotz allen Schmucks und Gesangs für Santa Muerta sehr einfach sind. Die Bosse errichten sich schon zu Lebzeiten auf ihrer Friedhofshälfte gigantische Grabbauten - Mausoleen für sich, ihre Kalaschnikows und ihren Geländewagen.

Thekla Dannenberg

"Narco Cultura". Regie: Shaul Schwarz. USA 2012, 103 Minuten (Alle Vorführtermine)