04.02.2004. Die Berlinale fängt an. Und damit auch unsere Berlinale-Kolumne: Ein kleiner Überblick über das Programm 2004.
Wer braucht schon Nicole Kidman in einem Dior-Kleid, wenn er an der Kinokasse lässig Karten für "Chosun Nam Nyo Sang Yeol Jisa" (Gefährliche Liebschaften), "Maqbool"
(Macbeth) oder
"Akame Shijyuyataki Shinjyumisui" (Akame 48 Wasserfälle) bestellen kann? Das hat Glamour! Am Donnerstag fängt die
54. Berlinale an. Der
Perlentaucher wird das Filmfestival in seiner täglichen Kolumne "Außer Atem" aktuell begleiten. Zu Beginn ein kleiner Überblick.
Wettbewerb Berlinale-Leiter
Dieter Kosslick kündigt eine "Repolitisierung des Kinos" an. Schau'n wir mal. Freuen darf man sich auf den Frauenfilm
"20:30:40" (Bild links,
homepage) des taiwanesischen Multitalents
Sylvia Chang, die hier Regie führt und spielt. Ihre Generationengeschichte (der Titel nennt das Alter der drei Protagonistinnen), erzählt von drei Frauen in Taipeh, die von einem anderen Leben träumen. Der zweite asiatische Film,
"Samaria", kommt vom koreanischen Enfant Terrible
Kim Ki-duk (
mehr), der sich mit seinem rüden
"Bad Guy" vor zwei Jahren nicht gerade viele Freunde gemacht hat.
Viel Geduld dürfte der erste Teil des großen griechischen
Geschichtsepos (Bild links) von
Theos Angelopoulos dem Publikum abfordern, Politisches aus Südafrika gibt es mit
"Country of my Skull" von
John Boorman, die Hauptrollen spielen
Juliette Binoche und
Samuel L. Jackson - beide mit
Brille. Die Fortsetzung von "Before Sunrise" hat
Richard Linklater mit
"Before Sunset" zu bieten. Neben dem bewährten Sozialisten
Ken Loach (
"Ae Fond Kiss", der Titel stammt übrigens aus einem
Liebeslied von
Robert Burns) finden sich sonst vorwiegend unbeschriebene Blätter aus Italien, Spanien, Dänemark. Wir hoffen auf eine Entdeckung!
Deutschland geht diesmal (nach vieren im ersten, nach dreien im zweiten Kosslick-Jahr) nur mit zwei Filmen ins Rennen.
Romuald Karmakar hat für
"Die Nacht singt ihre Lieder" (Bild links,
homepage) den norwegischen Dramatiker
Jon Fosse von der Berliner Schaubühne, wo man ihn vorzugsweise spielt, ins Kino geholt, nach Berlin-Mitte. Seine weibliche Hauptdarstellerin
Anne Ratte-Polle (
mehr) wird schon im Vorfeld als große Entdeckung gefeiert. Eine explizit gesellschaftspolitische Geschichte aus dem
Immigranten-Milieu gibt es von
Fatih Akin zu sehen ("Gegen die Wand"), der - etwa mit "Im Juli" - bisher ansehnliche Konsensfilme gedreht hat. Den gewiss aufregendsten deutschen Film des Frühjahrs,
Angela Schanelecs "Marseille" - eine spröde Verlorenheitsetüde zwischen Berlin und Marseille -, hat Kosslick dagegen in
Richtung Cannes ziehen lassen.
Nichts zu spüren von der Krise der Filmkunst in
Frankreich: mit drei Beiträgen zum Wettbewerb scheint alles wie immer. Gespannt sein darf man auf das jüngste Werk des ältesten Teilnehmers, den
"Triple Agent" (Bild links) des mittlerweile 83jährigen
Eric Rohmer, der nach dem Ende seines "Jahreszeiten"-Zyklus verblüffende Einzelwerke im historischen Milieu ins Bild setzt. Nach dem Ausflug ins Revolutionszeitalter mit
"Die Lady und der Herzog" erzählt er diesmal eine Spionagegeschichte vor dem Hintergrund des Spanischen Bürgerkriegs.
Patrice Leconte, der sich zuletzt weitgehend kunstgewerblich betätigt hat, lässt in
"Confidences trop intimes" (
homepage)
Sandrine Bonnaire mit ihren Eheproblemen an den
falschen Mann geraten, ihren von
Fabrice Luchini gespielten Steuerberater. Das ergibt, wenn sonst nichts, auf jeden Fall schön anzusehendes Schauspielerkino.
Cedric Kahn, der dritte im Bunde, bemüht sich mit
"Feux Rouges" um Georges Simenons gleichnamigen
Roman.
Star-Kino aus
Hollywood gibt's natürlich auch.
Anthony Minghellas Bürgerkriegs-Epos "Cold Mountain" (
homepage) eröffnet die Festspiele mit
Nicole Kidman in
Krinoline (Bild oben).
Schwer hat es auch
Jack Nicholson, der in
Nancy Meyers Komödie
"Something's Gotta Give" (Bild links,
homepage) mit Keanu Reeves um Diane Keaton konkurrieren muss. Dann wären da noch
Patty Jenkins' "Monster" (
homepage) mit der Oscar-nominierten
Charlize Theron als Serienmörderin oder der bald nach der Berlinale startende
Neo-Western "The Missing" (Bild unten,
homepage) von
Ron Howard. Allerdings hat das Vorziehen der Oscar-Verleihung und der dadurch engere Terminplan der Stars die gute Stimmung in Berlin ein wenig verhagelt. Nicole Kidman etwa hat abgesagt. Dieter Kosslick denkt schon über eine
Verschiebung der Berlinale nach.
Nebenreihen Garantiert sind Entdeckungen in den Nebenreihen der Berlinale. Wer hätte mit einer Verfilmung der
"Gefährlichen Liebschaften" von
Choderlos de Laclos gerechnet, die kurzerhand ins
Korea des 18. Jahrhunderts verlegt ist?
E-J Yong hat mit
"Untold Scandal" (Panorama, Bild links) einen sehr eleganten, wunderschön anzusehenden und in seiner Heimat noch dazu außerordentlich erfolgreichen Film gedreht. Von größtem Interesse ist der dritte Langfilm des kaum über dreißigjährigen Thai-Regisseurs
Apichatpong Weerasethakul, der völlig zu Recht als vielleicht
größte weltkinematografische Begabung seiner Generation gilt und unter dem Titel
"The Adventures of Iron Pussy" (Forum) nach zwei wunderbar langsamen Kunstfilmen wohl eine
wilde Travestie vorlegt.
Dem deutschen Film
"Muxmäuschenstill" (Perspektive Deutsches Kino) von
Marcus Mittermeier eilt nach dem Gewinn des Max-Ophüls-Preises bereits, dem Titel zum Trotz, ein
Ruf wie Donnerhall voraus.
Andres Veiel legt mit
"Die Spielwütigen" (Bild links) einen neuen Dokumentarfilm vor: über
Schauspielschüler. Zum Publikumsliebling taugt
"Baytong" (Forum), die Geschichte eines
Mönchs, der das Leben kennen lernt.
Regisseur Nonzee Nimibutr umgeht mit Geschick die meisten in einem solchen Fall auf dem Weg liegenden Klischees. Wenig zu sehen gibt es aus Japan, dafür ist
"Akame 48 Waterfalls" (Panorama) ein
echtes Meisterstück, Sabus
"Hard Luck Hero" (Forum) immerhin ein interessantes Nebenwerk.
Zwei Schwerpunkte hat das diesjährige
Forums-Programm. Zehn Dokumentarfilme gibt es aus
Südafrika, der sehenswerte Spielfilm
"Proteus" im Panorama ist eine passende Ergänzung. Außerdem zeigt die Reihe "
Hollywood in Nigeria or: how to get rich quick" Videoproduktionen aus Nigeria (im
Forum und im
Hebbel am Ufer). Der zweite Schwerpunkt, erzählt die dafür zuständige Dorothee Wenner, hat sich eher unabsichtlich ergeben, nämlich
Indien. Während man im letzten Jahr aus Bollywood noch den alles andere als zuckersüßen "Company" des Regie- und Produzenten-Berserkers
Ram Gopal Varma zu bieten hatte, setzt man diesmal auf den leider aus der Konvention des Familienfilms kaum einmal ausbrechenden
"Kal No Haa No", dessen Drehbuch vom auch für den in Deutschland gelaufenen "Sometimes Happy, Sometimes Sad" verantwortlichen
Karan Johar stammt - das wirkliche Novum daran ist nur die Tatsache, dass der Film
vollständig in New York spielt. Interessanter klingen
"Final Solution", eine vierstündige Dokumentation über
Religionskonflikte in der Region Gujarat und
"Maqbool", eine
Macbeth-Verfilmung, die, wie es heißt, ästhetisch an der Grenze zwischen Bollywood und Autorenfilm siedelt.
Aus der Sektion Neues von bewährten Kräften:
Ulrike Ottingers erstaunlich kurzes, kaum vier Stunden dauerndes Werk
"Zwölf Stühle" (Forum, Bild links,
homepage), die Verfilmung einer russischen
Roman-Groteske aus den zwanziger Jahren, die, wenngleich nicht gerade leichtfüßig, die Zeiten geschickt durcheinanderwirbelt. Auch von der Belgierin
Chantal Akerman gibt es einen neuen Film im Panorama,
"Demain, On Demenage". Die immer wundervolle
Ann Hui zeigt
"Goddess of Mercy" (Forum),
Volker Koepp hat sich noch einmal an den Schauplatz von "Herr Zwilling und Frau Zuckermann" begeben - und hat in
"Dieses Jahr in Czernowitz" (Forum) den US-Star
Harvey Keitel im Gepäck, dessen Mutter aus der Stadt stammt.
Von
Yolande Zauberman, von der man in Deutschland seit "Ivan und Abraham" und "Clubbed to Death" nichts mehr gehört hatte, gibt es die digitale Produktion
"Paradise Now" (Forum, Bild links) zu sehen. Und dann, ja dann, sind da noch all die Filme, von denen man nicht ahnt, wie gut sie sind und die man dadurch entdeckt, dass man sich einfach ins Kino setzt und einen Film mit einem völlig merkwürdigen Titel anguckt.
Und hier die Links zu den Sektionen:
Berlinale Homepage Wettbewerb Berlinale Special Forum Panorama Perspektive Deutsches Kino Retrospektive: "New Hollywood 1967 - 1976. Trouble in Wonderland"