Außer Atem: Das Berlinale Blog

Grenzpornografisch, aber kompromisslos ehrlich: Joe Swanbergs Filme 'Silver Bullets' und 'Art History'

Von Lukas Foerster
12.02.2011.


Soviel Selbstreflektion findet man im Kino nicht alle Tage: In Joe Swanbergs "Silver Bullets" geht es um zwei unterschiedliche fiktive Filmdrehs, vor der Kamera zu bewundern sind sogar gleich drei Schauspieler, die im echten Leben eigene Filme drehen. In einer Nebenrolle taucht Larry Fessenden auf, ein Veteran des Independent-Kinos, dessen charakteristischer Quadratschädel auch schon bei Jim Jarmush, Martin Scorsese und Kelly Reichhardt mal kurz durchs Bild spukte. Im Zentrum stehen zwei andere, jüngere Filmemacher. Der Horror-Auteur Ti West ("The House of the Devil") spielt den Horror-Auteur Ben, der einen leicht prätentiösen Werwolfstreifen dreht und anschließend in einem Promo-Interview dessen komplexe Struktur erläutern möchte; sein Gesprächspartner fragt aber immer nur nach "Tits 'n Gore". Die Hauptrolle im Werwolffilm übernimmt Claire, deren Freund Ethan parallel einen anderen Film inszeniert. Ethans Rolle widerum spielt Joe Swanberg gleich selbst und Ethans Film sieht denn auch nach einem echten Swanberg-Film aus: narzisstisch und grenzpornografisch, intim und kompromisslos ehrlich, in vieler Hinsicht jenseits der Schmerzgrenze. Zu allem Überfluss spielt Ethan/Swanberg auch im Film des fiktionalen Ethan/Swanberg die männliche Hauptrolle. Und die weibliche übernimmt eine Freundin Claires, was natürlich für Ärger sorgt, erst recht, als Claire im Werwolfkostüm Ben gefährlich nahe kommt. Puh.



Noch verzwickter wird die Sache, wenn man den zweiten Teil dieses Swanberg-Double Features mit einbezieht. "Art History" schließt nicht direkt an "Silver Bullets" an, funktioniert jedoch wie eine Art Fokussierung, wie ein Close up auf den ersten Film. Die Welt und die Handlung ziehen sich zusammen: auf zwei Tage eines einzelnen Filmdrehs in einem kleinen Haus mit Pool. Und in den entscheidenden Szenen ziehen sie sich sogar noch weiter zusammen: auf ein Bett, auf dem die beiden Hauptdarsteller Eric und Juliette in Sexszenen zu agieren haben (die noch einmal deutlich expliziter ausfallen als in "Silver Bullets"). Man kann bei diesen oft nicht ganz leicht auszuhaltenden Sequenzen an die Filme Catherine Breillats denken, insbesondere an "Sex Is Comedy". Wie bei Breillat ist auch bei Swanberg gefilmter Sex bestimmt von Verhandlungen einerseits der Akteure untereinander und andererseits zwischen Akteuren und Kamera. Und wie bei Breillat wird deutlich, dass die Anordnung immer asymmetrisch ist. In "Art History" gibt der fiktionale Regisseur Sam neben dem Bett Anweisungen und verschanzt sich hinter dem bald nicht mehr neutralen Blick der Kamera. Verkompliziert wird die Sache dadurch, dass Juliette seine Freundin ist, aber nicht nur deswegen wird seine Position zu dem Geschehen im Bett immer fragwürdiger. Man ahnt es schon: Joe Swanberg selbst spielt diesen Sam. Als eine Entschuldigung an alle, die durch seine Filmdrehs verletzt wurden, will er "Art History" verstanden wissen.

Joe Swanberg ist einer der bekanntesten und wahrscheinlich der produktivste (acht Filme in fünf Jahren, drei weitere sind bereits abgedreht) Vertreter der sogenannten Mumblecore-Welle. Darunter gefasst wird ein neues amerikanisches Independentkino jenseits von Miramax, gefilmt wird meist mit sehr kleinen Büdgets, vieles ist an im einzelnen dann sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Authentizität ausgerichtet. Die Welt des Mumblecore ist oft eine ziemlich kleine, es geht nicht ums gesellschaftliche Ganze (das das Hollywoodkino, zumindest das gute, nach wie vor im Blick hat), eher um eng umgrenzte, habituell definierte Milieus, in denen sich die Figuren einschließen und die Filme häußlich einrichten. Die beiden Swanberg-Filme im Forum - gedreht mit selbst für Mumblecore-Verhältnisse sehr wenig Geld und in stellenweise primitivistisch anmutender Optik: Die Kamera wird irgendwo festgestellt und dann wird davor so lange agiert, bis niemandem mehr etwas einfällt - treiben diese Tendenz zwar einerseits auf die Spitze, andererseits aber sind sie in ihrer Weltflucht alles andere als feige. Swanberg organisiert sein filmisches Universum vollständig um die eigenen Obsessionen, die eigene Biografie (wenn man böse sein wollte, könnte man sagen: um den eigenen Penis) herum und blendet den Rest der Welt konsequent weg. Was seinen Filmen an Wagemut in der Bewegung nach außen fehlt, machen sie wett durch Wagemut in der Bewegung nach innen, durch schonungslose Selbstoffenbarung, durch einen Modus der Selbstreflexion, der nicht postmodern und smart ist, sondern der weh tut, weil er Wunden ins Subjekt schlägt, wenn es sich selbst erkennt.

"Silver Bullets". Regie: Joe Swanberg. Darsteller: Kate Lyn Sheil, Ti West, Joe Swanberg u.a., USA 2011, 70 Minuten
"Art History". Regie: Joe Swanberg. Darsteller: Josephine Decker, Joe Swanberg, Kent Osborne u.a., USA 2011, 71 Minuten (beide Forum, Vorführtermine)