9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

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1898 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 190

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.04.2024 - Ideen

Die Universität Köln hat der Philosophin Nancy Fraser die Einladung zur Albertus-Magnus-Professur 2024 entzogen. In einer Erklärung benennt die Uni-Leitung den von Fraser unterzeichneten offenen Brief "Philosophy for Palestine" (unsere Resümees). Kurz nach den Hamas-Pogromen an israelischen Zivilisten hatten die Unterzeichner dieses Briefs zu einem "kulturellen und universitären Boykott israelischer Institutionen" aufgerufen. Auf die Albertus-Magnus-Professur "wird jedes Jahr eine Persönlichkeit von internationaler Bedeutung berufen" heißt es sehr allgemein auf den Seiten der Uni Köln. "In öffentlichen Vorlesungen und Seminaren werden Fragen von allgemeiner Bedeutung behandelt, die derzeit in vielen Grundlagenwissenschaften, aber auch in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielen" - tatsächlich eingeladen wurde in den letzten Jahren von Giorgio Agamben bis Judith Butler vor allem die Crème de le crème des poststrukturalistischen Denkens.

Einige als renommiert geltende deutsche Geisteswissenschaftler haben sich bereits in einer Protestnote mit Fraser solidarisiert: "Nancy Frasers Arbeit ist in Deutschland weit über die engere akademische Welt hinaus rezipiert worden und hat hierzulande wie nur wenige andere zu einer Internationalisierung der philosophischen und sozialwissenschaftlichen Diskussion beigetragen. Solche Forschungszusammenhänge mit internationaler und öffentlicher Ausstrahlung geraten durch Maßnahmen wie die der Kölner Universität in Gefahr. Damit droht das Vorgehen der Kölner Universitätsleitung auch international als ein Angriff auf das wahrgenommen zu werden, was eine Universität sein sollte: ein Ort für intensiven und kontroversen Austausch über gesellschaftlich relevante Fragen" - außer mit israelischen Institutionen, versteht sich. Zu den Unterzeichnern gehören Rahel Jaeggi, Christoph Menke, Stephan Lessenich, Axel Honneth, Hartmut Rosa, Eva von Redecker, Oliver Nachtwey und viele andere.

In der taz wirft der in Bayreuth lehrende Wirtschaftsgeograf Stefan Ouma den Kritikern der postkolonialen Theorie vor, einen "revanchistischen" Kulturkampf zu führen: "Dieser identitätspolitische Pushback ist Ausdruck des Versuchs, mit aller Kraft an den eigenen Privilegien und der Deutungshoheit über Geschichte und Gesellschaft festhalten zu wollen." Dabei bringe der Postkolonialismus nur Frieden: "Eine friedliche und inklusive Zukunft in Israel/Palästina kann aber ohne die Einsichten postkolonialer Theorien nicht realisiert werden. Gerade weil ihre Vertreter*innen Fragen der Verteilung und Kontrolle von Land, der Entstehung menschenfeindlicher Kategorisierungen, Ausschlussmechanismen und multidirektionaler Gewaltverhältnisse ins Zentrum ihrer Analysen stellen, bieten sie eine überaus nuancierte Analyse des Nahostkonflikts an."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.04.2024 - Ideen

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In der FR teilt Lukas Geisler kräftig gegen die Ethnologin Susanne Schröter und ihr Buch "Der neue Kulturkampf" aus. Als "zumindest in Teilen rechtsextrem" sieht Geisler Schröters Positionen an, die unter anderem vor einer Infiltrierung von Gesellschaft und Politik durch den "Wokismus" warnt - und dabei, laut Geisler, rassistische und antisemitische Verschwörungstheorien bedient:  "Wer erzählt, dass es sogenannten Woken gelungen ist, in großen Bereichen 'der Wissenschaft, der Medien und des Kultur- und Bildungsbereichs die Diskurshoheit zu erlangen' und dass eine Minderheit dadurch die Mehrheit dominiere, der vertritt - so ließe es sich interpretieren - im Endeffekt die nationalsozialistische Verschwörungserzählung des sogenannten Kulturmarxismus. Dieser ist nicht nur ein politisches Schlagwort der US-amerikanischen 'Alt-Right'-Bewegung, auch der rechtsextreme Terrorist Anders Breivik gab an, dass er sein Land vor ebenjenem Kulturmarxismus schützen wolle. Nun gibt es scheinbar eine neue Chiffre für die alte Erzählung: 'Wokismus'."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.04.2024 - Ideen

Nils Markwardt sucht in einem sehr langen Zeit online-Essay nach einer Antwort auf die Frage, warum Rechtsextremismus überall Erfolg hat, obwohl er innerlich voller Widersprüche ist. Jedenfalls sieht er ihn auf besten Wege zu einem neuen Faschismus, denn er beschränke sich keineswegs nur "auf nationale Mythenpflege und nostalgische Beschwörung vergangener Zeiten, noch will er lediglich sogenannte traditionelle Werte konservieren. Er versteht sich ebenso als politisches Hochgeschwindigkeitsprojekt, das einen radikalen Bruch mit der Gegenwart verspricht. Sein Motto könnte wie ein alter Slogan aus dem Silicon Valley lauten: 'Move fast and break things'." Man mag sich allerdings fragen, ob eine Analyse des Rechtsextremismus fruchtet, die nur diesen in den Blick nimmt und und nicht die Widersprüche und Non-Dits der Mehrheitsgesellschaft, an denen er sich mästet.

Auch Armin Nassehi versucht im Blog des Kursbuchs, rechsextremen Ideen auf die Spur zu kommen und liest dafür das Buch "Politik von rechts" des AfD-Politikers Maximilian Krah, das er übrigens gut geschrieben findet. Krah entwickelt darin demnach die üblichen Begriffe einer ethnisch definierten Identitätspolitik. Und Nassehi schreibt dazu: "Es sollte deutlich geworden sein, dass diese Konzepte keineswegs nur etwas konservativer sind, etwas migrationskritischer oder etwas mehr an einer traditionell verfassten eigenen Identität orientiert. Es handelt sich genau besehen tatsächlich um Konzepte, die einen Bruch mit einem demokratischen Grundcomment und mit der Verfassung darstellen - denn Zugehörigkeiten werden in derselben Weise völkisch beschrieben, wie wir es bereits aus sehr extremen Traditionen kennen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.03.2024 - Ideen

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Die Autorin Sasha Marianna Salzmann und Ofer Waldman, einst Hornist in Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra, legen in den nächsten Tagen bei Suhrkamp einen Briefwechsel vor, der den 7. Oktober reflektiert, Titel: "Gleichzeit". Sie schreibt aus Berlin, er aus Jerusalem. Lothar Müller befragt die beiden für die SZ. Den Titel erklärt Waldman mit einem Zusammenstürzen der Zeitebenen: "Allein das Aussprechen des Wortes 'Pogrom' als Bezeichnung für ein Geschehen, das auf souveränem israelischen Gebiet geschehen ist, dem man aber ohnmächtig gegenüberstand, war ein Aufbrechen der bis dahin klaren generationellen Schichtung: erste Generation, zweite Generation, dritte Generation. Ich bin Ende der Siebzigerjahre geboren, in einem selbstsicheren, sehr mächtigen israelischen Staat." Für Salzmann manifestiert sich "Gleichzeit" auch im Gespräch mit der arabischen Seite: "Was uns jenseits aller nationalen und religiösen Zuschreibungen verbindet, das ist der Schmerz, ist die Trauer um eine Welt, die vorbei ist. Auch die Wut kann ein verbindendes Element sein."

Der Historiker Urs Lindner, zur Zeit Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, verspricht in der taz "Wege aus der Dichotomie" im Historikerstreit 2.0 und im Streit um Antisemitismus. Alles ganz einfach, findet er, man muss nur akzeptieren, dass Antisemitismus ein Extremfall des Rassismus und die Schoa ein Extremfall genozidaler Verbrechen ist, schon wird aus der Position der Postkolonialisten Dirk Moses und Jürgen Zimmerer die Kompromissposition! In den letzten dreißig Jahren hätten sich "Shoah-Historiografie, die (nichtdeutsche) Singularitätsdiskussion wie auch die Globalisierung der Shoah-Erinnerung allesamt in Richtung Extremfallkonzeption bewegt. Kaum jemand in diesen Bereichen bestreitet mehr, dass die Shoah substanziell ein Genozid war - also ein Exemplar einer übergeordneten Kategorie. Als singulär kann sie damit nur noch im Sinne des Extremfalls aufgefasst werden."

Kritik an Antisemitismus ist im Grunde schon seit Jahrzehnten eine vom Rechtsextremismus gekaperte Aktivität, findet der Politologe Cas Mudde in einem längeren Twitter-Thread, der sich ein bisschen verschwörungstheoretisch liest: "Im Westeuropa der Nachkriegszeit, das durch den Holocaust und immer noch stark kolonial geprägt war, wurde Antisemitismus zum wichtigsten (einzigen) Indikator für Rassismus im Allgemeinen und für die extreme Rechte im Besonderen. Rechtsextreme Parteien in Westeuropa verstanden dies schnell und hielten sich sowohl vom Antisemitismus als auch vom Antizionismus (zumindest offiziell) fern. In der 'dritten Phase' (1980-2000) ... entwickelten mehrere Parteien eine pro-jüdische oder pro-Israel-Position, die manchmal sogar mit dem Philo-Semitismus kokettierte (welcher oft antisemitische Tropen enthält). Im Zuge der weit verbreiteten islamfeindlichen Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 begannen sich Antisemitismus und Islamophobie deutlich zu überschneiden."

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Omri Boehm (dem Oz-Salzberger oben, ohne ihn zu nennen, seine Einstaaten-Flause aus dem Kopf schlägt) versucht in seinem viel gefeierten Buch "Radikaler Universalismus" die Idee des Univeralismus ausgerechnet aus der Bibel abzuleiten. Er eliminiert den Gott gesandten Engel aus der Geschichte Abrahams, der gerade nolens volens seinen Sohn opfern will und macht die angebliche Verweigerung der Opferung durch Abraham zur Urtat des Universalismus. In der SZ fühlt sich Gustav Seibt an Thomas Manns Roman "Joseph und seine Brüder" erinnert, der die gleiche Szene reflektiert. Mann fasse die Prüfung Abrahams auch als eine Prüfung Gotts auf, nämlich zur Frage, "ob dieser Gott ein Moloch sei, 'Melech, der Baale Stierkönig', dem nach Menschenopfern verlange. 'Nein', spricht dieser Gott... 'was ich befahl, habe ich nicht befohlen, auf dass du es tuest, sondern auf dass du es nicht tun sollst, weil es schlechthin ein Greuel ist vor meinem Angesicht, und hier hast du übrigens einen Widder.'"

Außerdem: Andrian Kreye schreibt in der SZ einen Nachruf auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman. Und Jan Philipp Reemtsma erklärt im Spiegel-Gespräch, warum sein Hamburger Institut für Sozialforschung mit ihm enden soll.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.03.2024 - Ideen

La Règle du jeu ist Bernard-Henri Lévys Website, offiziell die seiner Zeitschrift. Wenn Marc Knobel hier über Lévys neues Buch "La solitude d'Israel" schreibt, darf man nichts anderes als eine Hommage erwarten. Aber in einem Satz Lévys, den Knobel zitiert, ist tatsächlich die Essenz des 7. Oktober resümiert: "'Kein Land auf dieser Erde, das den Juden Schutz bietet - das ist die Aussage des Ereignisses.' Die Einsamkeit Israels, die des Philosophen, ist unsere Einsamkeit."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.03.2024 - Ideen

Frauen sind für Judith Butler nicht Frauen, Antisemitismus ist nicht Antisemitismus, Verbrechen ist Widerstand, konstatiert Thomas Ribi, der in der NZZ nochmal auf Butlers jüngste Äußerungen zurückkommt. "Man muss das wohl als intellektuelle Kapitulation einer Denkerin verstehen, die sich in ihren eigenen Theorien verfängt. Als Notsignal einer Philosophin, in deren Arbeitszimmer sich Hass, Gewalt, Elend und Tod in reine Begriffe aufgelöst haben, denen keine physische Realität mehr entspricht."
Stichwörter: Butler, Judith

9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.03.2024 - Ideen

Gestern Abend wurde die Leipziger Buchmesse eröffnet.

Die Zeit druckt bereits Omri Boehms Dankesrede für den "Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung". Er bezieht sich auf Kant, Mendelssohn, Lessing und Arendt. Mit ihnen beschwört er den Begriff der Freundschaft, den er gegen den der Brüderlichkeit setzt und kommt dann auf die jüngste Gewalt in Israel und Gaza zu sprechen: "Wir schauen auf die Kibbuzim an der Grenze zu Gaza am 7. Oktober - als ganze Familien abgeschlachtet, Kinder vor den Augen ihrer Eltern ermordet, Frauen systematisch vergewaltigt wurden - und erleben dann den moralischen Bankrott jener angeblichen Radikalen, die dies 'bewaffneten Widerstand' nennen. Wir schauen auf die Zerstörung Gazas, die Tötung Tausender Frauen und Kinder, das Verhungern - und erleben dann, wie angebliche liberale Theoretiker eine humanitäre Waffenruhe im Namen der 'Selbstverteidigung' monatelang delegitimieren." Angesichts dieser Gewalt bleibt für Boehm nur die besagte "Freundschaft: "Es gibt noch jüdisch-palästinensische Freundschaften, und wo sie existieren, bieten die Forderungen, die sie stellen, Licht."

Eva Illouz knüpft in ihrer Laudatio für Boehm an sein Buch "Israel - eine Utopie" (englisch "Haifa Republic") an, das die Möglichkeit eines Zusammenlebens von Arabern und Juden in einem Staat beschwört: "In 'Haifa Republic' wird eine radikale Vision von Juden und Palästinensern entworfen, die Seite an Seite leben und universalistische Institutionen und Werte in einem föderativen politischen Modell teilen. Was Boehm im Sinn hat, würde keine postkoloniale Heilung der Wunden erfordern, sondern im Gegenteil einen aktiven Akt des Vergessens als Hommage aller Seiten an die Menschlichkeit des anderen und an ihre eigene. Radikaler Universalismus geht eindeutig auf diese Vision zurück und ist ein Versuch, diese Vision für die israelische Gesellschaft zu systematisieren."

Gregor Dotzauer berichtet im Tagesspiegel von der Preisverleihung und stimmt Boehm zu: "Wer nicht selbst in den intellektuellen Schützengräben sitzt, wird Omri Boehm gerne beipflichten, zumal kaum jemand besser als er weiß, wie grotesk seine Hoffnung sowohl unter den Angehörigen der Hamas-Geiseln wie im Trümmerfeld von Gaza und in einem von Antisemitismusphobien vergifteten und paralysierten deutschen Diskurs anmuten dürfte. Seine vehemente Kritik an einer Zweistaatenlösung, die ohnehin zu einer kraftlosen Metapher für irgendeine Art von Friedensschluss geronnen ist, bleibt gerechtfertigt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.03.2024 - Ideen

Detlef Pollack, Professor für Religionssoziologie, interveniert in der FAZ-Debatte über die Frage, ob postkolonialistische Ansätze strukturell antisemitisch seien. Seine Antwort: nicht per se. "Antisemitismus (ist) tatsächlich nicht das entscheidende Problem der postkolonialen Ansätze. Ihr Problem ist ein anderes: ihre ins Prinzipielle gewendete Ablehnung des Westens, zu dem auch Israel geschlagen wird, sowie ihre damit zusammenhängende einseitige Parteinahme für den globalen Süden, der nur als Opfer erscheinen kann, nicht aber als Täter." Die Frage, ob das eine mit dem anderen zusammenhängt, lässt Pollacks Artikel eher offen.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.03.2024 - Ideen

Eva Illouz antwortet in einer zornigen Intervention in Le Monde auf die jüngsten Äußerungen Judith Butlers, und spricht ihr die Attribute "links" und "feministisch" endgültig ab. Im Gegenteil, eine "Schlangenölverkäuferin" sei Butler, nicht einmal mehr zu Halbwahrheiten fähig. Mit Ekel nimmt Illouz die Verklärung der Hamas-Massaker zur Kenntnis, die Butler "mit der romantischen Vokabel des Widerstands" belege und von Antisemitismus freispricht. Zwei Passagen in Illouz' Text sind besonders niederschmetternd. Die eine betrifft Butlers "Feminismus". "Was sagt uns Butler am 3. März im Blick auf die unerhörte sexuelle Gewalt, die die Israelinnen in den Händen der Hamas erlitten haben, im Blick auf die Berichte der Presse, der Juristen, der Ärzte, der NGOs, die diese Ausschreitungen dokumentiert haben, im Blick auf die Bilder einer ermordeten jungen Frau, die in Gaza einer jubelnden Menge vorgeführt wird? Sie sagt, dass sie Beweise sehen will. Und sie sagt das mit dem skeptischen Schnütchen eines Polizisten vor fünfzig Jahren, der von einer Anklage erhebenden Frau Beweise sehen will." Diese Leugnung der sexuellen Gewalt durch Butler führt Illouz dann dazu, ihr "Negationismus" - das ist der ursprüngliche französische Begriff für Holocaustleugnung - vorzuwerfen. "Wie bei den Negationisten von einst liegt ihre Strategie darin, Zweifel zu säen: über die Realität der von den Frauen erlittenen Gewalt, über die genozidalen Absichten der Hamas, über die moralische Bedeutung der Massaker - die Henker werden freigesprochen, und die Opfer unter Verdacht gestellt, ja als imaginär dargestellt. Die Tatsache, dass Butler als Jüdin und als Frau geboren wurde, sollte uns nicht zurückscheuen lassen klarzustellen, dass wir es hier mit einem doppelten Negationismus zu tun haben: das Massaker an den Frauen betreffend und die Tatsache, dass Israelis ermordet wurden, weil sie Juden waren."

Von der deutschen  Presse (und uns) bisher nicht wahrgenommen wurde ein Artikel Butlers vor ein paar Tagen in Médiapart, wo sie nach ihren Äußerungen vom 3. März zwar nicht zurückrudert, aber einen weniger triumphalen Ton anschlägt. Dennoch bleibt sie dabei:"Der Angriff auf die Hamas im Oktober kam von der bewaffneten Fraktion einer politischen Partei, die den Gazastreifen verwaltet, und ich bin weiterhin bereit, diesen Angriff als eine Form des bewaffneten Widerstands gegen die Kolonisierung und die andauernde Belagerung und Enteignung zu beschreiben. Dies läuft jedoch nicht auf eine Verherrlichung ihrer Gräueltaten hinaus." Den Antisemitismus der Taten scheint sie diesmal nicht in Frage zu stellen: "Antisemitismus und antiarabischer Rassismus müssen gleichermaßen bekämpft werden". Abschließend stellt sie "mit Traurigkeit fest, welche Anstrengungen unternommen werden, um meine Aussagen und meine Arbeit zu verzerren und zu karikieren".

Richard Herzinger beobachtet in der NZZ "eine Tradition der Unterschätzung totalitärer Aggressoren, angesichts deren sich die Frage stellt, ob es einen strukturellen Hang von Demokratien zum Appeasement gibt. Nicht nur gegenüber Putin, auch gegenüber dem Iran und seinen Proxies in Israel falle der Westen in in Verhaltensmuster der dreißiger Jahre zurück. In der Geschichte gab es diese Beschwichtigung sowohl gegenüber dem Nationalsozialismus wie auch gegenüber Kommunismus. Einer von mehreren Faktoren dabei ist paradoxer Weise jener Kapitalismus, ohne den Demokratien nicht leben können: "Die Priorisierung des kurzfristigen ökonomischen Vorteils vor vermeintlich 'weltfremder' demokratischer Moral zieht häufig einen Werterelativismus nach sich, der postuliert, man dürfe nichtwestlichen Kulturen nicht "unsere" normativen Maßstäbe 'aufzwingen'. Dieses scheinbar von Respekt vor kultureller Vielfalt zeugende Argument wird gerne von Wirtschaftsführern vorgeschoben, wenn es ihnen in Wahrheit um ungehinderte Geschäftsbeziehungen mit Despotien geht."

Außerdem: In der taz spricht Harald Welzer mit Nisa Eren über die Relevanz der Kategorien "Ost" und "West".

9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.03.2024 - Ideen

Buch in der Debatte

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In ihrem gerade erschienenen Buch "Die vulnerable Gesellschaft" diagnostizert die Kölner Rechtsprofessorin Frauke Rostalski eine Ethik der Verletzlichkeit, die dazu führe, dass sich Bürger zunehmend hinter dem Staat verstecken. (Unser Resümee) Die zunehmende Vulnerabilität habe auch mit Diskursverrohung zu tun, sagt sie im Welt-Gespräch: "Zum Thema Diskursverrohung habe ich in meinem Buch etwa den Ukraine-Krieg herangezogen. Relativ früh zu Beginn des Kriegs hatten einige Intellektuelle und Prominente vorgetragen, dass man vielleicht darüber nachdenken sollte, keine schweren Waffen zu liefern. Die Reaktion darauf war kein Einstieg in eine sachliche Debatte, vielmehr folgten direkte Angriffe ad personam. Und das mitunter vonseiten der Politik und der Leitmedien." Aber: "Es gibt keine demokratiegefährdenden Diskurse, solange wir uns im Rahmen des Gesetzes bewegen. Ich empfinde es als sehr problematisch, Diskurse, Personen oder Argumente abzuschneiden, weil wir damit in die Herzkammer unserer Demokratie eingreifen. Und das ist der offene Diskurs."