9punkt - Die Debattenrundschau

Frauen als Frauen

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.01.2023. Die Lieferung von Leopard-Panzern ist ein Einschnitt - die Financial Times kann das Zögern Olaf Scholz' dabei durchaus nachvollziehen. Bei t-online.de schildert der Historiker Stéphane Courtois Putin als einen Mann des KGB. Die klassischen Anliegen des Feminismus sind auf gutem Wege, sagt Anne Wizorek in der taz. Was ihr jetzt noch fehlt, ist ein "Selbstbestimmungsgesetz", das "die Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit" in Frage stellt. Dieser Feminismus scheint Frauen als Frauen überhaupt nicht mehr einzubeziehen, meint hingegen Holly Lawford-Smith bei Quillette.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.01.2023 finden Sie hier

Europa

Es sollen nun Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine geliefert werden. Die Entscheidung ist noch zu jung, um sich in den Kommentaren der Zeitungen wirklich niederzuschlagen. Die FR zitiert in ihrem Liveblog den Schweizer Militärexperten Niklas Masuhr, der die Lieferung begrüßt. "Damit die Ukraine eine Panzerbrigade nach westlichem Modell ausrüsten kann, sei ein Minimum von hundert westlichen Panzern nötig. 'Kampfpanzer sind aber keine Wunderwaffe. Sie müssen im Verbund eingesetzt und repariert werden und mit Munition ausgestattet werden', erklärte der Experte. Zudem sei eine funktionierende Logistik wichtig. Daher sollten Lieferungen genau abgestimmt sein."

Das Editorial Board der Financial Times begrüßt die Panzerlieferungen, äußert aber auch durchaus Verständnis für das Zögern Olaf Scholz': "Angesichts der dunklen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist das Bild der deutschen Panzer, die über die osteuropäische Ebenen rollen, voller Symbolik. Der Kanzler würde es eindeutig vorziehen, wenn auch amerikanische M1 Abrams dabei wären. Angesichts des Säbelrasselns Moskaus, das in letzter Zeit wieder zugenommen hat, möchte er wohl auch den Schutz einer Atommacht haben. Der unverbesserlich vorsichtige Scholz hat mit den Empfindlichkeiten in seiner eigenen SPD zu kämpfen, auch wenn seine Koalitionspartner die Entsendung von Leoparden unterstützen. Die öffentliche Meinung in Deutschland ist gespalten, obwohl die Unterstützung für Panzerlieferungen zunimmt."

Marc von Lüpke unterhält sich für t-online.de mit dem französischen Historiker Stéphane Courtois, der einst das berühmte "Schwarzbuch des Kommunismus" herausbrachte und nun ein "Schwarzbuch Putin" vorlegt (einen Essay von Karl Schlögel daraus haben wir neulich zitiert). Das Peinlichste für den Westen ist, das eigentlich alles von Anfang an auf der Hand lag: "Putin ist ein Geschöpf des KGB - und der KGB dachte langfristig."Und "als Putin 2000 Präsident geworden ist, war das gesamte zukünftige Programm bereits da: Eine geradezu paranoide Vorstellung, dass Russland von allen Seiten bedroht sei, die Vorstellung, dass nur autoritäre Maßnahmen die Lage bessern könnten und sogenannte Gegner ausgeschaltet werden müssten. Da Russland zu dieser Zeit aber schwach gewesen ist, spielte Putin erst einmal den lieben Kerl."

In der FAZ antwortet Kevin Hanschke auf einen Kommentar der MDR-Moderatorin Rommy Arndt, die sich in einer Nachrichtensendung des MDR am 19. Januar vehement gegen Panzer für die Ukraine ausgesprochen hatte und dabei behauptete: "Diese Regierung verletzt seit Monaten auf unverzeihliche Art ihren Amtseid." Und Olaf Scholz werde von den Medien in den Krieg gehetzt. Deutschland müsse die Ukraine sich selbst überlassen, weil es im Zweiten Weltkrieg so viel Leid über Russland gebracht habe. Hanschke ist fassungslos: "Zu einem Punkt, der Behauptung Arndts, die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann pflege 'in ihrer Freizeit viel Kontakt zur Rüstungsindustrie', stellt die Chefredaktion fest, dass der Kommentar die 'journalistischen Qualitätskriterien' des Senders 'nicht ausreichend berücksichtigt' habe. Man werde 'dies in der Redaktion auswerten'. Im Umkehrschluss gilt dann, dass der Rest des Kommentars den hauseigenen Qualitätsstandards genügt, eingeschlossen die Beschwerde über die Übermacht der Medien und der Vorwurf des Eidbruchs. Beides sind Topoi, die man aus der Propaganda der AfD kennt."

Die ehemalige SPD-Poltikerin Susanne Gaschke ist jetzt Kolumnistin bei der NZZ. Das gestern gesprochene Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Erhöhung der Parteienfinanzierung im Jahr 2018 findet sie neben der Spur. Das eigentliche Problem sei viel mehr, dass Bundesminister immer mehr politische Freunde in Beamtenpositionen in ihren Ministerien bringen: "Minister wollen Vertraute um sich haben, sie bringen eigene Mitarbeiter und NGO-Vertreter in den Apparaten unter; sie misstrauen denen, die immer schon da waren. Genau das waren oft die Beamten mit Erfahrung. Inzwischen sitzen überall Parteifreunde in den Referats- und Abteilungsleitungen und wissen nicht, wie man einen Vermerk schreibt, der eine politische Entscheidung sinnvoll vorbereitet. Jegliche Ambition, die Zahl der Staatsdiener zu begrenzen, ist weggefallen. Den Steuerzahler kostet das Milliarden, nicht bloß Millionen Euro: Verglichen mit 2012 gibt es heute 40 Prozent mehr Beamte und Angestellte in den deutschen Bundesministerien." Die Legal Tribune Online bringt eine Presseschau zum gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Archiv: Europa

Religion

Hamed Abdel-Samads neustes Buch verspricht eine "kritische Geschichte" des islams. Im Gespräch mit Lucien Scherrer und Ferdinand Knapp von der NZZ bezweifelt er, dass ein Impuls zur Reform aus dem Islam kommen kann, wohl aber von Muslimen: "Sie können die Religion entmachten und eine liberale Demokratie zustande bringen, wenn der Islam außen vor bleibt." Dabei sieht er etwa in den Golfstaaten mehr Hoffnung als hier: "Es ist tatsächlich so, dass in der arabischen Welt gerade ein Paradigmenwechsel stattfindet, zumindest unter Intellektuellen. Meine Islamkritik wird in der arabischen Welt mittlerweile besser aufgenommen als in Europa. Dort erkennt man, dass die Religion ihren Anteil hat an der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Misere. Im Westen dagegen verklären die hier lebenden Muslime und die Linksliberalen den Islam. Sie verherrlichen den Islam, und wenn man Mohammed kritisiert oder den Koran, dann ist man ein Rassist und islamophob. Da sehe ich tatsächlich mehr Fortschritt in der Debatte in der arabischen Welt als in Deutschland."
Archiv: Religion

Gesellschaft

Anne Wizorek, einst Initiatorin des #Aufschrei sieht im Interview mit der taz den Feminismus durch die rezeptfreie Pille danach, die Abschaffung des Paragrafen 219 a und die "Nein heißt Nein"-Regelung gestärkt. Was ihr jetzt noch fehlt, ist ein "Selbstbestimmungsgesetz", das "die Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit" in Frage stellt. "Zweigeschlechtlichkeit entspricht nicht der Realität, in der wir leben. Dass wir andere Geschlechter gar nicht erst mitdenken, ist eine Form von Unterdrückung. Der wieder zunehmende Biologismus ist eine Rückentwicklung und hat sehr gefährliche Auswüchse. Der Kampf gegen die Klimakrise ist das andere absolut feministische Thema, denn es geht um die Frage, wie wir mit unseren Ressourcen, unserer Lebensgrundlage umgehen. Das dritte große feministische Thema ist die Carekrise." Kurz: Es gehe beim Feminismus eben nicht nur "um den Aspekt Geschlecht oder Geschlechtergerechtigkeit, sondern das ist verwoben mit Klimagerechtigkeit, mit Antirassismus und anderen Themen".

Bei Quillette hat Holly Lawford-Smith diese Art von Feminismus etwas genauer unter die Lupe genommen. Anlass war eine vom Magazin Vice veranstaltete Podiumsdiskussion zu Feminismus, auf der die beiden einzigen weißen Frauen wegen ihres Antifeminismus ausgesucht worden waren. Alle anderen waren entweder schwarz, behindert oder trans. Frausein allein genügt offenbar nicht mehr, um eine Benachteiligung nachzuweisen. Es muss immer noch etwas dazukommen, am besten eine Benachteiligung, die auch Männer erfahren, meint Lawford-Smith: "Als [die Antifeministin] Davis fragte, welche Barrieren denn Frauen in Amerika heute aufhalten, antwortete Lind mit einem Hinweis auf ihre Behinderung und nicht auf ihr Frausein. In ähnlicher Weise antwortete Zamora mit dem Hinweis darauf, dass sie eine schwarze Frau sei. Ironischerweise stimmten diese Feministinnen implizit mit Davis überein (auch wenn sie dies wahrscheinlich nie zugeben würden), da sie die Ansicht zu teilen schienen, dass das Frausein an sich keinen Nachteil mit sich bringt. ... Intersektionalität muss nicht auf diese Weise antifeministisch sein. Lind zum Beispiel hätte auf die Frage, mit welchen Barrieren Frauen konfrontiert sind, über die höhere Rate sexueller Übergriffe bei Frauen mit Behinderungen sprechen können. Stattdessen verwies sie auf Rollstuhlrampen - ein Thema, das sie mit Männern mit Behinderungen gemeinsam hat. Zamora hätte darüber sprechen können, dass schwarze Frauen stärkerem Druck ausgesetzt sind, Vergewaltigungen nicht anzuzeigen, weil sie befürchten, zu negativen Stereotypen über schwarze Männer beizutragen. Stattdessen nannte sie überhaupt keine Beispiele." Der Mainstream-Feminismus, schließt Lawford-Smith, scheint Frauen als Frauen überhaupt nicht mehr einzubeziehen.

Schottland hat ein Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, wie Wizorek es sich sich wohl wünscht: Danach kann jede Person ab 16 Jahren ihr Geschlecht frei wählen. Und das gilt dann für Behörden und alle anderen staatlichen Institutionen. In England musste die Labourabgeordnete Rosie Duffield ganz schön was einstecken, weil sie dieses Gesetz kritisiert hatte. Kein Wunder, meint sie bei Unherd, denn Labour hat generell ein Problem mit Frauen. Das zeigte sich ihr unter anderem daran, dass weder die 7.000 weiblichen Mitglieder starke Labour Women's Declaration noch Lesbian Labour auf dem letzten Labour-Parteitag ausstellen durften. Aber auch am Umgang mit ihr selbst: "In jedem Fall wurde eine Frau, die es wagte, ihre Meinung zu äußern, ignoriert oder vernachlässigt. ... Auf der vordersten Bank im Parlament sitzen neben Keir Stamer Abgeordnete, die Corbyn verteidigten oder schwiegen, als der Rest von uns ihn wegen Antisemitismus anprangerte. Dort sitzt ein Abgeordneter, der als Konservativer gewählt wurde. Doch es sitzt dort kein einziger Abgeordneter, der glaubt, dass das biologische Geschlecht nicht mit einem Federstrich ausgelöscht werden kann. An einen Arbeitsplatz zu gehen, an dem nichts von dem, was man als Politiker oder als Frau sagt oder erlebt, etwas wert ist - was ist daran progressiv?"

Wolfgang Kubicki gehört zu den FDP-Granden, die weniger bei Putin als bei Tempolimit oder der Kritik an Corona-Maßnahmen ein Freiheitspathos entfalten. Im Aufmacher des SZ-Feuilletons fordert er eine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen und kritisiert nebenbei die Presse: "Das ging sogar so weit, dass mein Einsatz gegen die allgemeine Impfpflicht - auch von der Süddeutschen - in die Nähe von Verschwörungstheorien, Rechtsextremisten und Reichsbürgern gerückt wurde. Ich bin gleichwohl froh, dass ich mich mit anderen in dieser Frage durchsetzen konnte. Die Umsetzung dieser Pflicht hätte zu einer gesellschaftlichen Katastrophe geführt. Die apokalyptischen Szenarien der Lauterbachs und Dahmens im Hinblick auf diesen Winter haben sich übrigens nicht erfüllt."
Archiv: Gesellschaft