9punkt - Die Debattenrundschau

Nur noch in Miniaturgröße

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.02.2020. Vor der deutschen Umsetzung des europäischen Leistungsschutzrechts regt sich Unmut bei den Betroffenen, berichtet Heise online. In der SZ kritisiert Andrian Lobe Apple dafür, nicht mit dem FBI zu kooperieren. Der Blogger Christian Jakubetz fragt sich, wie die Zeitungen ihren Auflagenverlust bewältigen wollen. Die SZ lobt das Beispiel des Folkwang-Museums, das freien Eintritt gewährt und damit Riesenerfolg hat.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.02.2020 finden Sie hier

Internet

Stefan Krempl fasst bei Heise online Reaktionen von Vereinen wie der Digitalen Gesellschaft, aber auch von Gewerkschaften auf den von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) präsentierten Vorschlag für die deutsche Umsetzung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger zusammen. Der eco-Verband der Internetwirtschaft warne: "Dürften Online-Dienste Bilder nur noch in Miniaturgröße darstellen und Video- oder Audioausschnitte von nicht länger als höchstens drei Sekunden veröffentlichen, wie es das Ministerium vorsehe, schrumpfe das Internet 'auf ein Minimum zusammen' und verliere seine 'Identität als Informationsmedium'." Aber auch Lobbygruppen, die sich für die Reform  ausgesprochen haben, seien kritisch, etwa die Gewerkschaft Verdi: "Es werde der Eindruck vermittelt, dass die Interessen der Urheber hinter denen der Verwerter ihrer Werke zurückstünden."

Facebook setzt sich neuerdings für Privatsphäre ein. In der SZ ist Adrian Lobe schockiert und warnt: Das sei auch nur wieder ein Trick des hinterhältigen Unternehmens, aber diesmal einer mit "politischer Sprengkraft": "Privatheit ist nach klassisch-liberalem Verständnis im 19. Jahrhundert als Abwehrrecht (der Bürger) gegenüber dem Staat entstanden. Wenn sich nun Facebook und Co zu Anwälten der Privatsphäre aufschwingen, reklamieren sie nicht nur einen staatsfreien Raum, sondern zugleich eine Form von Staatlichkeit, von der die Privatheit 2.0 abgeleitet ist. Apple versuchte 2016 schon einmal, sich in Sachen Privatsphäre zu profilieren, als sich Konzernchef Tim Cook heroisch dagegen wehrte, dem FBI bei der iPhone-Entschlüsselung eines der Attentäter von San Bernardino zu assistieren (am Ende gelang es dem Geheimdienst dennoch, das Smartphone zu knacken). Die unterschwellige Botschaft: 'Ihre Daten sind bei uns sicherer und besser aufgehoben als beim Staat!'"
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Europa

Bei den Verhandlungen muss man jetzt aufpassen, aber alles in allem macht Andreas Rahmatian, Professor für Wirtschaftsrecht in Glasgow, in der NZZ seinen Frieden mit dem Austritt der Briten aus der EU: "Denn eine weitere, zersetzende Mitgliedschaft eines Großbritannien mit einem Nationalismus, der ins 19. Jahrhundert gehört, hätte die EU auf Dauer zerstört. Die EU hat genug Probleme mit den zahlreichen nationalistischen, negativen Strömungen in vielen ihrer Mitgliedsstaaten. Obwohl ich seit über zwanzig Jahren in Großbritannien lebe, war ich erstaunt, wie wenig die europäische Idee selbst von denen verstanden wird, die in der EU bleiben wollen. Die EU wurde bloß als nützliches Mittel für Freihandel, als Reservoir für billige Arbeitskräfte und als ein erschwinglicherer und schönerer Ort für die Pensionszeit gesehen."
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Kulturpolitik

Die Stadt Essen hat beschlossen, die Dauerausstellung im Museum Folkwang auf Dauer kostenlos zu machen. Zur Zeit ist sie es schon, weil die Krupp Stiftung noch zwei Jahre den Eintritt fördert. Bravo, ruft in der SZ Kia Vahland, die das für die richtige Entscheidung hält: "Denn der Erfolg ist überragend: Seit 2014 haben sich die Besucherzahlen auf knapp 116.000 verdreifacht; besonders viele Kindern und Jugendliche aus Essen kommen, um die Kunst des 19. Jahrhunderts und der Moderne zu erfahren. Vorbild für Museen ohne Eintrittsgelder sind die staatlichen Museen Großbritanniens, deren Dauerausstellungen seit 2001 kostenfrei zu besichtigen sind. Was dazu führt, dass man in der National Gallery oder der Tate Modern nie leere Säle erlebt wie in vielen deutschen Museen unter der Woche."
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Politik

War das Impeachment-Verfahren gegen Trump ein Schauprozess, fragt Sylvia Sasse bei geschichtedergegenwart.ch. Einiges ist vergleichbar, besonders, dass das Ergebnis des Prozesses von vornherein feststand. Ein Schauprozess ist allerdings dazu da, eine Wahrheit zu konstruieren. Das Impeachment-Verfahren von Trump stand "unter umgekehrten Vorzeichen: Nicht Meinungen beziehungsweise Erfindungen (Moskauer Schauprozesse) werden als Fakten dargestellt, sondern Fakten konsequent als Meinungen interpretiert (das ist die Strategie der Verteidiger von Trump beim Impeachment Trial)".
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Medien

Der Auflagenverlust der Zeitungen begann schon vor dem Internet, und er hält an. Die Gesamtauflage ist in den letzten zehn Jahren laut einer Statistik, die der Blogger Christian Jakubetz präsentiert, von 20 Millionen auf 13,5 Millionen gesunken. Zu den Zahlen des letzten Jahres sagt er: "Wenn man sich zudem die Zahlen der digitalen Angebote ansieht, ahnt man schnell, wo das Problem liegt. Rund 660.000 verlorenen Zeitungsexemplaren steht lediglich ein Plus von 200.000 digitalen Ausgaben gegenüber. Wenn man hier also permanent von einem Plus spricht, ist das eine verblüffende Schönfärberei. In toto handelt es sich um einen Netto-Verlust von über 400.000, der unter dem Strich bleibt. Von den Rückgängen im Anzeigengeschäft reden wir an dieser Stelle noch gar nicht."

Die SZ hatte gestern berichtet, das WDR-Intendant und ARD-Vorsitzender Tom Buhrow sich für dieses Jahr Kommunikationsberater für 580.000 Euro engagiert hat und außerdem ein größeres Kommunikationsteam hat als sein Vorgänger. Im Gespräch mit Christoph Sterz vom Deutschlandfunk spricht Buhrow seinen Interviewer persönlich an: "Wir haben das Beitragsjahr, das heißt das, was Sie bekommen als freier Mitarbeiter, das, was Ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen bekommen, das, was für unsere Programme an Finanzen zur Verfügung gestellt wird, das wird alle vier Jahre entschieden. Das ist ein sehr komplizierter und auch sehr umstrittener Prozess. Und der ist genau in diesem Jahr... Wir haben uns für dieses schwierige Jahr so vorbereitet, dass wir, glaube ich, für alle Eventualitäten gewappnet sind. Es geht darum, dass man Dinge erklärt."

Nach dem Fall Relotius hat der Spiegel nun ein internes Regelwerk mit "Spiegel-Standards" vorgelegt, das immerhin 74 Seiten umfasst, berichtet Erica Zingher in der taz, die allerdings ein kleines Problem sieht: Im Spiegel-Standard finden sich "zur Fehlerkultur nur schlappe zwei Seiten. Da heißt es, dass man mit Fehlern offen umgehen und Fehlerquellen strukturell beheben wolle. 'Dazu gehört eine vertrauensvolle, kommunikative Atmosphäre, in der sich Beschäftigte nicht eingeschüchtert fühlen.' In Konferenzen soll künftig über häufige Fehlerquellen, Streitfälle, aber auch über die Abläufe und Standards der Verifikation diskutiert werden. Außerdem wird die Dokumentation wiederkehrende Fehlermuster bei Kolleg*innen überwachen und analysieren. Das heißt, in der berühmten Factchecking-Abteilung des Hauses könnten bald individuelle Fehlerprofile vieler Autor*innen hinterlegt sein."

Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle wehrt sich gegenüber Michael Hanfeld von der FAZ gegen den Guardian-Bericht über Missbrauch und angeblich unhaltbare Missstände beim Sender (unsere Resümees). Jüngst hat es noch einen Brief anonym bleibender Mitarbeiter an die Leitung gegeben. Limbourg verspricht Besserung und ein Öffnung der Gesprächsatmosphäre: Man müsse "bedenken, dass für manche unserer Mitarbeitenden der Aufenthaltstitel in Deutschland mit der Tätigkeit bei uns verbunden ist. Das kann für Einzelne eine besondere Drucksituation darstellen und bedeuten, dass man zögert, Missstände zu benennen. Das haben wir erkannt und entwickeln weitere Möglichkeiten für alle Mitarbeiter, jeden Missstand angstfrei anzuzeigen."
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Gesellschaft

Seit dem Ausbruch des Corona-Virus werden Chinesen weltweit - auch in Deutschland - gelegentlich mit Misstrauen beäugt oder gar beschimpft und angegriffen oder es wird mit hetzerischen Schlagzeilen vor der "gelben Gefahr" oder dem "Virus - Made in China" (so der Spiegel) gewarnt. Schlimm, meint Franca Lu auf Zeit online, aber das gleich mit dem Rassismusvorwurf zu belegen, führt auch nicht weiter, zumindest nicht auf der individuellen Ebene, weil Ängste nun mal Ängste sind, sogar in China: "In China leiden Menschen, die aus dem Ausbruchsgebiet der Krankheit um Wuhan stammen, in anderen Landesteilen unter Feindseligkeiten." Doch wünscht sie sich statt reißerischer Schlagzeilen mehr Aufklärung: "Das neue Coronavirus ist nicht 'Made in China', genauso wenig wie Ebola 'Made in Africa' ist. ... Solange die Menschen außerhalb Chinas aber kein klares Bild davon haben, werden sie den Ausbruch des Coronavirus nur als einen bedrohlichen Ausnahmezustand sehen, der seinen Ursprung in 'China' hat, einem Land, von dem sie nur eine vage Vorstellung besitzen. 'China' ist schuld! Diese vage Vorstellung von 'China' ist schon in sich eine Form von Tribalismus, weil sie von Stereotypen gespeist wird und nicht aus der Anschauung eines Landes und seiner Bewohnerinnen und Bewohner, den Existenzen und Leistungen von Individuen.
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Ideen

George Steiner verweigerte sich dem Akademismus, schreibt Jürgen Kaube in seinem Nachruf: "Der meist essayistische Stil, in dem er seinen Kanon stets zugleich ausbreitete, erläuterte und meinte gegen eine See von vulgären Plagen verteidigen zu müssen, hatte ihn da längst der Wissenschaft im engeren Sinne entfremdet. Die wahren Interpreten der Werke schienen ihm Schauspieler, Musiker und Schriftsteller selbst, etwa wenn sie Motive ihrer Vorgänger übernehmen."
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Stichwörter: Steiner, George, Kanon