9punkt - Die Debattenrundschau

Diese Links-Rechts-Sache

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.07.2019. Amerikanische Medien diskutieren weiter über Trumps Rassismus, Israel und die Krise der Institutionen, die die Extreme profitieren lässt. In der SZ fordert die Literaturagentin Elisabeth Ruge, dass der 20. Juli zum Feiertag gemacht wird. In der FAZ widerspricht der Historiker Rainer Eckert dem Soziologen Detlef Pollack: Die Bürgerrechtsbewegung habe sehr wohl entscheidende Verdienste um den Mauerfall.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.07.2019 finden Sie hier

Politik

Ilhan Omar hat antisemitische Dinge gesagt, schreibt Adam Serwer in Atlantic, aber auch Trump hat antisemitische Muster ausgebeutet und ist nicht in der richtigen Position, um sie mit Verweis auf ihre Position zu Israel zu attackieren. Trumps Attacken auf Ilhan Omar aber seien eine "Attacke auf ein Symbol des demografischen Wandels, der die weiße kulturelle und politische Hegemonie erodieren lässt, und deren Verteidigung ist Trumps einziges ernsthaftes politisches Ziel." Vorher hatte James Kirchick  bereits in Atlantic geschreiben: "Trumps Berufung aus Israel, um vier Frauen aus ethnischen Minderheiten anzugreifen, ist von atemberaubendem Zynismus, weil er daran arbeitet, Juden und und Menschen mit dunklerer Hautfarbe gegeneinander aufzubringen."

Trump "betreibt Wahlkampf mit einem offenen, expliziten Rassismus" sagt die Politologin Astrid Seville in der SZ: "Ein solches Denken hat gerade eher wieder Konjunktur - in der westlichen Welt, vom Brexit über den Beinahe-Wahlerfolg von Le Pen bis zur FPÖ und eben der AfD. Mit dem Hindu-Nationalismus in Indien gibt es aber auch ein eindrückliches nichtwestliches Beispiel. Quasi alle Fälle eint ein starker Anti-Einwanderungs-Diskurs, bei dem sich zunächst die Sprache verändert hat - und dann die Politik. Man verschiebt erst das Sagbare und damit dann das Machbare."

Unter dem Streit zwischen Trump und "The Squad" verbirgt sich aber noch ein anderer, jetzt gerade stillgestellter Streit, nämlich der zwischen den jungen linken Abgeordneten und der gemäßigten demokratischen Vorsitzenden Nancy Pelosi. Sowohl die Linke um "The Squad" als auch die Rechte um Trump profitierten von einer Sklerose einst starker Institutionen, sagt der Politologe Rick Perlstein im Gespräch mit Isaac Chotiner vom New Yorker: "Diese Links-Rechts-Sache kann stark ablenken. Warum sprechen wir nicht mal über feste institutionelle Strukturen, die mehr und mehr von allen möglichen Leuten zurückgewiesen werden, ob sie nun Trump-Anhänger, Sanders-Anhänger oder Elizabeth Warren-Anhänger sind?"

Trump und die Squad brauchen sich, meint Geoffrey Kabaservice im Guardian. Bei Trump ist das offensichtlich, er kann die Demokraten in die linke Ecke stellen. Und die Squad? Ist damit sehr zufrieden, glaubt Kabaservice, denn die Squad wolle ihren Ruhm nutzen, um die Demokratische Partrei nach links zu rücken, so wie die Konservativen die Republikaner nach rechts rückten, und sie seien zuversichtlich, damit Wahlen gewinnen zu können. "Ocasio-Cortez Stabschef Saikat Chakrabarti kritisierte neulich, dass die 'ganze bisherige Theorie der Demokratischen Partei über den Wandel ist, dass wir auf die Mitte zielen sollen, um Wahlen zu gewinnen. Damit ist meiner Meinung nach gemeint, dass man keine unnötigen Risiken eingeht, was bedeutet, dass man nicht wirklich etwas tut. Wir haben dagegen eine völlig andere Ansicht vom Wandel, nämlich: tu das Größte und Verwegenste, was Du kannst - und das wird die Leute begeistern, und dann werden sie wählen gehen."

Ein "nationaler Internationalismus" ist eigentlich ein Paradoxon, konstatiert der britische Historiker David Motadel bei Zeit Online, neu ist er indes nicht: "Europas faschistische Bewegungen engagierten sich zwischen den Weltkriegen in verschiedenen Formen internationaler Zusammenarbeit, darunter einer Reihe von Weltkongressen. Der wichtigste war die 1934 von Mussolini einberufene 'Konferenz der faschistischen Parteien' im schweizerischen Montreux, die eine transnationale Koalition im Kampf gegen den Sozialismus und die liberalen Demokratien schmieden sollte. Jedes der großen faschistischen Regime organisierte internationale Treffen und lud ihnen nahestehende faschistische Gruppen zu Veranstaltungen in ihre Länder ein. Zu ihren Reichsparteitagen in Nürnberg empfingen die Nazis Gruppierungen aus dem Irak, Siam und Bolivien."

Welche Position hat eigentlich das Auswärtige Amt zu Israel, fragt Antje Schippmann in der Bild. Sie ist die Tweets von Christian Clages, dem Leiter der deutschen Vertretung in den palästinensischen Gebieten in Ramallah durchgegeangen und hat eine Menge strikt antiisraelische Likes des Diplomaten in seinem offiziellen Twitter-Konto gefunden: "Selbst einen Austausch zwischen dem führenden US-Neonazi und Holocaustleugner David Duke und einem palästinensischen Follower über ein angebliches jüdisches Massaker versieht der Diplomat mit einem Herzchen: 'Jüdische Rassisten' hätten 'unschuldige Palästinenser verstümmelt, vergewaltigt und durch jüdische Dörfer geführt, bevor sie hingerichtet wurden', behauptet US-Nazi Duke (früher Chef des rassistischen Ku-Klux-Klans) in seinem Tweet."
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Kulturpolitik

Überall, nicht nur in Berlin, stehen jüdische Museen vor einer "Zerreißprobe", konstatiert die Judaistin und Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel in der SZ. Während Museumsmacher die Frage, was "jüdisch" sei, weit fassen und mitunter offen lassen, fordern Kritiker, ein jüdisches Museum müsse jüdische Identitätsfragen klären, meint Wenzel und verweist auf die komplexe jüdische Diaspora-Geschichte: "Soll ein jüdisches Museum Heinrich Heine, Ludwig Börne, Jacques Offenbach oder gar Felix Mendelssohn-Bartholdy als Juden porträtieren, auch wenn sie die jüdische Tradition bewusst verließen? Soll es, im umgekehrten Fall, den vielen Menschen, die ausschließlich einen jüdischen Vater haben, sich entgegen dem Religionsgesetz als jüdisch verstehen und in den Ländern des Warschauer Pakts auch so bezeichnet wurden, eine Stimme als Jüdinnen und Juden verleihen?"

Während die stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, Christina Haak und der Chef des Berliner Naturkundemuseums, Johannes Vogel, die Zustände in den Depots des Ethnologischen Museums vergangene Woche im Tagesspiegel verteidigten (Unser Resümee), ist der Ethnologe und Chefredakteur von Kunst & Kontext, Andreas Schlothauer, entsetzt über die Zustände in deutschen Völkerkundemuseen. Viele ethnologischen Museen kennen ihren Bestände nicht, zahlreiche Artefakte wurden "von Insekten vernichtet, von Wasser zerstört, entsorgt oder getauscht. Undokumentiert Verschwundenes erhielt oft das Label 'Kriegsverlust'. Zur Depot-Schattenwelt gehören weiterhin im Ethnologischen Museum Berlin, und nicht nur hier, Kartons mit Bruchstücken von Figuren oder Keramikscherben, Schränke mit Textilresten und nummernlosen Stücken. Depots beherbergen teils solche Massen, dass leicht vergessen wird, dass es sich bei jedem Einzelstück um ein unersetzbares historisches Objekt handelt oder mindestens handeln könnte."
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Geschichte

Der 20. Juli sollte ein offizieller Feiertag sein, fordert die Literaturagentin und Verlegerin Elisabeth Ruge, Enkelin des deutschen Widerstandskämpfers, Fritz-Dietlof von der Schulenburg, im SZ-Interview mit Joachim Käppner. Der Widerstand spiele für die Identität unserer demokratischen Gesellschaft allerdings schon seit Kriegsende 1945 keine Rolle, meint sie: "Die meisten Deutschen hatten sehr wenig Interesse, sich von den Überlebenden aus dem Widerstand den Spiegel vorhalten zu lassen und anzuerkennen, dass Widerstehen eben doch möglich gewesen war. In den Gerichten saßen viele ehemalige Nazis, und es brauchte Ausnahmepersönlichkeiten wie den Staatsanwalt Fritz Bauer, damit der Widerstand nicht weiterhin als Verrat eingestuft wurde. Später, in der linken Erinnerung seit den 68ern, gab es so ein Gefühl: Wenden wir uns dem Widerstand zu, speziell dem des 20. Juli, dann wenden wir uns von den Opfern des NS-Staates ab."

Eine Gedenkstätte für die im Zweiten Weltkrieg im ukrainischen Babij Jar 65.000 Ermordeten ist längst überfällig, schreibt in der NZZ der Historiker Bert Hoppe. Aber es gibt Einwände gegen das geplante Babij Jar Holocaust Memorial Center: Auf einem jüdischen Friedhof baue man nicht, heißt es; das Projekt werde zudem von russlandnahen ukrainischen Milliardären unterstützt, klagt Wolodomir Wiatrowich, Leiter des ukrainischen Instituts für nationales Gedenken im Gespräch mit Hoppe. Aber: "Wiatrowich ist selbst umstritten, weil er die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die anfangs mit den Deutschen kollaborierte und deren Angehörige zahlreiche Kriegsverbrechen verübten, vorrangig als Befreiungsbewegung darstellt. Die Beteiligung Einheimischer am Judenmord solle durchaus erforscht werden, so beteuert Wiatrowich nun, und die polnischen Gesetzentwürfe, Äußerungen über eine mögliche Mitschuld von Polen am Holocaust zu bestrafen, bezeichnet er als 'destruktiv'. Aber es sei ebenso notwendig, den Holocaust in die Gesamtgeschichte der Ukraine im Zeitalter der beiden totalitären Regime einzubetten. Das Verhalten der Menschen im Zweiten Weltkrieg lasse sich nicht verstehen, wenn man die Hungersnot von 1932/33 und den Großen Terror von 1937/38 ausblende."
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Europa

Revolutionen sind immer eine Sache von Minderheiten, meint der Historiker Rainer Eckert, der in der FAZ-Diskussion zum dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls (unsere Resümees) eher dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk recht gibt - gegen die These des Religionssoziologen Detlef Pollack, dass es weniger die Bürgerrechtsbewegung und eher die populäre Unzufriedenheit war, die die Wende letztlich auslösten: "Pollack hat recht, wenn er meint, dass zu Demonstrationen oft nicht formal aufgerufen wurde, sie entwickelten sich aber trotzdem in Kooperation mit Bürgerrechtlern und einigen evangelischen Kirchen. Deutlich war das in Leipzig im Zusammenspiel von oppositionellen Gruppen und Ausreisewilligen mit dem festen Ausgangspunkt der Friedensgebete in St. Nikolai. Gerade hier hätte es die großen Demonstrationen von September 1989 an ohne die Bürgerrechtler mit ihren Rufen 'Wir bleiben hier' und 'Wir sind das Volk' nicht gegeben."

Weitere Artikel: Im großen SZ-Interview mit Daniel Brössler spricht Ursula von der Leyen über europäische Migrationspolitik und verspricht sowohl den Brexiteern, als auch dem verschuldeten Italien "Flexibilität" und Entgegenkommen. Dem Streit über Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn möchte sie "sachlich" begegnen.
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