9punkt - Die Debattenrundschau

Inhaltliche Schärfung des Profils

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.06.2019. Die Jüdische Allgemeine veranstaltet ein Pro und Contra zur Frage, ob nach dem Rücktritt Peter Schäfers der Pluralismus im Jüdischen Museum Berlin in Gefahr sei. Nicht der Berliner Senat ist Erfinder des Mietendeckels, sondern Adolf Hitler, schreibt Hubertus Knabe in seinem Blog: Und die DDR führte ihn in die Konsequenz. Wladimir Putin attackiert Angela Merkel in der Financial Times als obsolete Liberale und erweist sich mal wieder als zuverlässiges Sprachrohr der Rechtsextremen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.06.2019 finden Sie hier

Gesellschaft

Die Debatte um das Jüdische Museum Berlin und seine, vorsichtig gesagt, aufgeschlossene Haltung zur Israelboykottbewegung BDS, ist nicht ausgestanden. Die Jüdische Allgemeine veranstaltet ein Pro und Contra zur Frage "Ist der Pluralismus in Gefahr?", die sich einige nach dem Rücktritt von Museumschef Peter Schäfer stellen. Micha Brumlik schreibt: "Die Gleichsetzung von nationalsozialistischen und zionistischen Interessen ist ebenso unsinnig wie die Gleichsetzung von BDS mit dem nationalsozialistischen Judenboykott, weshalb es eine legitime jüdische Überzeugung sein kann, BDS zwar für unsinnig, aber nicht antisemitisch zu halten." Michael Wuliger kontert: "Die seit Jahren immer wieder geäußerte Kritik an dem Museum hatte sich nie daran entzündet, dass im Libeskindbau Israelkritik zu Wort kam. Stein des Anstoßes war, dass es fast ausschließlich solche Stimmen waren."

Sind die Mieten in Deutschland wirklich explodiert, wie heute gern behauptet wird? Der Ökonom Friedrich Breyer hat sich die Zahlen angesehen und winkt in der SZ ab. Nennenswerte Mieterhöhungen gibt es eigentlich nur bei Neuvermietungen, meint er. Und diesen Trend könne ein Mietendeckel, wie er jetzt in Berlin beschlossen wurde, nur verstärken: "Einerseits sind zum regulierten Mietpreis weniger Wohnungseigentümer bereit, ihre Immobilie zu vermieten. Sie weichen auf andere Verwendungszwecke aus, die nicht unter die Regulierung fallen, etwa kurzfristige Vermietungen über Airbnb. Andererseits steigt bei einem künstlich gedrückten Mietpreis die Nachfrage nach Wohnraum, da Mieter größere Wohnungen nachfragen. Im Endeffekt erhalten dadurch weniger Menschen die Chance, in dem begehrten Gebiet zu wohnen, als ohne den Mietendeckel."

Nicht der Berliner Senat ist Erfinder des "Mietendeckels", sondern Adolf Hitler. Die Nationalsozialisten hatten am 20. April 1936, dem 47. Geburtstag Adolf Hitlers, die Einfrrierung der Mieten beschlossen, bringt Hubertus Knabe in seinem Blog in Erinnerung. "Der Mietenstopp erwies sich als langlebiger als das Dritte Reich. Um drastische Mieterhöhungen im zerstörten Deutschland zu vermeiden, blieb die Regelung auch unter den Alliierten in Kraft. Erst in den 1950er Jahren baute die Bundesregierung die Zwangswirtschaft schrittweise ab, weil sich Vermieten inzwischen kaum mehr lohnte. In der DDR hingegen wurde Hitlers Mietendeckel durch die Preisanordnung Nr. 415 vom 6. Mai 1955 zu sozialistischem Recht - und blieb es bis zu ihrem Untergang." Mietendeckel sind für Knabe ein Beispiel für Populismus: "Das Problem dabei ist, dass ein Ausstieg später nur noch unter großen Schwierigkeiten möglich ist, weil massenweise Mieter auf die Barrikaden gehen."
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Medien

Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen für die kommende Beitragsperiode 3 Milliarden Euro mehr, um die eher zögernde Bevölkerung weiterhin zu beglücken. In der FAZ fordert Hans Demmel, Lobbyist der Privatsender dagegen eine Einschränkung des öffentlich-rechtlichen Angebots: "Der Schweizer öffentlich-rechtliche Rundfunk beispielsweise muss fünfzig Prozent der Ausgaben für Information bereitstellen. Dieses Modell auf Deutschland übertragen, könnte eine Fokussierung von ARD und ZDF auf die Bereiche Information, Kultur und Bildung mit 75 Prozent der Ausgaben vorsehen. Es trüge so sicherlich zur inhaltlichen Schärfung des Profils bei, ohne dass es Unterhaltung oder informierende Unterhaltungsformate ausschließt."
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Europa

In der NZZ denkt Claus Leggewie über die Farben und Symbole von Protestbewegungen nach, mit besonderem Blick auf die Gelben Westen: "Das Mantra des Populismus, weder rechts noch links zu stehen, sondern das Volk gegen 'die da oben' zu vertreten", vertrat schon in den Fünfzigern der südfranzösische Schreibwarenhändler Pierre Poujade, der eine Steuerrevolte kleiner und mittelständischer Geschäftsleute anführte, so Leggewie. "Doch sind die Gelben definitiv keine Bewegung, die genauso in den Farben Rot oder Braun aufmarschieren könnte, selbst wenn nicht nur vereinzelt völkische und juden- bzw. islamfeindliche Äußerungen fallen und antikapitalistische Barrikadentraditionen aufgerufen werden, namentlich gegen den französischen Staatspräsidenten, der als Vertreter eines 'neoliberalen' Wirtschaftskurses und der 'Reichen' attackiert wird. Die Gelbwesten entziehen sich jeder Bündelung ihrer Forderungen durch vermittelnde Instanzen der Parteiendemokratie und höhlen mit ihrem plebiszitären Politikstil das Prinzip der Repräsentation weiter aus."
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Politik

Mit entschiedenen Protesten haben die Hongkonger ihrer Regierung (und dem autokratischen Regime, das sie kontrolliert) einige Zugeständnisse abgerungen. Einer merklichen Solidarität des Westens haben sie es jedenfalls nicht zu verdanken. Das ängstliche Stillhalten zu Hongkong ist nur ein Beispiel für den Selbstverrat der Demokratien, schreibt Richard Herzinger in der Welt. "Was im Westen immer weniger begriffen wird: Wann immer irgendwo auf dem Globus eine Demokratie stirbt oder eine demokratische Bewegung ausgelöscht wird, bringt uns das dem Ende unserer eigenen demokratischen Freiheit ein großes Stück näher. Den Einsatz für Menschenrechte weltweit bestenfalls als moralistisches Beiwerk zu einer vermeintlich 'interessengeleiteten' Außenpolitik abzutun, bedeutet in Wahrheit, die eigenen Interessen in ihrem Kern zu schwächen."

Wladimir Putin, der Freund von Gerhard Schröder und Lieblingsgesprächspartner so vieler deutscher Politiker, erweist sich mal wieder als zuverlässiges Sprachrohr des international grassierenden Rechtsextremismus. In einem Interview der Financial Times, das leider nicht online steht, erklärt er den Liberalismus als obsolet. Die BBC zitiert länger aus dem Interview: Putin "fügte hinzu, dass der Liberalismus im Konflikt stehe 'mit den Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung' und griff Angela Merkel an, die vielen Flüchtlingen in Deutschland Aufenthalt gewährte. 'Diese liberale Idee tut so, als wäre da nichts zu machen. Dasss Migranten töten, plündern und vergewaltigen dürfen, weil ihre Rechte  als Migranten geschützt werden müssten.'"
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