9punkt - Die Debattenrundschau

Ein Bruchteil jener Aufmerksamkeit

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.11.2018. Das Humboldt-Forum wird wohl doch erst später eröffnet, meldet die SZ, und das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst werden gerupft. Die taz fragt, warum sich Deutschland mit dem 9. November so schwer tut. Und warum wird der Novemberrevolution kaum gedacht? In der SZ fordert Heribert Prantl, dass der 9. November zum Feiertag erklärt wird. Die internationale Journalistenschaft streitet über den Clash zwischen Donald Trump und dem CNN-Reporter Jim Acosta.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 09.11.2018 finden Sie hier

Geschichte

Novemberrevolution, Pogrom 1938, Mauerfall: Das offizielle Deutschland tut sich schwer mit der Ambivalenz des heutigen Gedenktags, schreiben Stefan Reinecke und Klaus Hillenbrand in der taz in der Eröffnung eines Dossiers über den 9. November. Einige der Errungenschaften, die mit dem 9. November verbunden sind, benennt die taz unter anderem mit "Beginn der Sozialpartnerschaft" (hier), "Abschied von den adligen Privilegien" (hier), "Endlich Frauenwahlrecht" (hier). Und hier thematisiert Mark Jones die Gewalt, die vor allem die Linke zerriss, die Jones aber vor allem den Sozialdemokraten zurechnet, die mit rechtsextremen Freicorps kooperierten: "Heute wäre der Tag, um zu reflektieren, wie aus den Hoffnungen des 9. November 1918 die Mordnacht des 9. November 1938 werden konnte. Doch im offiziellen Gedenken sind die beiden Daten nahezu unsichtbar. Das ist bemerkenswert. Des 500. Jahrestags der Reformation wurde 2017 ausführlich gedacht, sogar mit einem einmaligen bundesweiten Feiertag. Der 9. November 1918 und der 1938 werden offiziell nur mit einem Bruchteil jener Aufmerksamkeit bedacht. Dass die SPD ausgerechnet 2018 ihre Historische Kommission aufgelöst hat, ist ein bitterer Scherz." In dem Dossier der taz denkt Andreas Fanizadeh außerdem über die Kunstzene jener Zeit und die Revolution nach. Und Stefan Reinecke rekonstriert die Ausrufung der Republik.

Außerdem in der taz: Die Historikerin Christina Morina fragt, was jenseits der verklärten Erinnerung von Rosa Luxemburg bleibt. Der sozialdemokratische Historiker Meik Woyke und sein Linksparteikollege Uwe Sonnenberg streiten über das Erbe der Revolution.  Uwe Rada und Dagmara Jajeśniak-Quast beleuchten den Streit um die  preußische Provinz Posen, die nach dem Ersten Weltkrieg an Polen gefallen war.

Der 9. November 1918 sollte als deutscher Nationalfeiertag gewürdigt werden, fordert Heribert Prantl in der SZ. Aber die deutsche Demokratie schäme sich: "Die deutsche Demokratie geniert sich ihrer Herkunft, weil die von der Revolution geschaffene Weimarer Republik 'zusammenbrach'. Sie geniert sich, weil die 1918er-Revolution die Nazis nicht verhindert hat. Aber diese Vorwürfe sind ungerecht. Die Republik ist nicht zusammengebrochen, sie wurde von ihren Feinden umgebracht. Und die Weimarer Verfassung war besser, als es ihr Ruf heute ist." Das Feuilleton der FAZ  bringt es fertig, zum Revolutionsjubiläum ein ganzseitiges Interview mit Georg Friedrich Prinz von Preußen, dem Chef des Hauses Hohenzollern, zu bringen, der glatt die Demokratie verteidigt.

Weitere Artikel: Die Novemberpogrome hätten ihn nicht überrascht, erzählt der 1922 geborene Walter Strauss, der erst 1939 nach Liechtenstein fliehen konnte, in der NZZ: "Überall sei die Wochenzeitung 'Der Stürmer' aufgelegen, die nur eine Botschaft kannte: 'Die Juden sind unser Unglück.' Die Propaganda verfehlte ihre Wirkung auch bei den Verfemten nicht. 'Wenn Sie diesen Hass täglich erleben, fühlen Sie sich irgendwann selber minderwertig', so der 96-Jährige." In der Welt erinnert Wolf Lepenies an Georges Clemenceau.
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Kulturpolitik

Der SZ liegt ein Papier vor, aus dem ersichtlich wird, dass das Humboldt Forum wohl nicht im November 2019 fertig sein wird. Nicht weiter schlimm, meint Jörg Häntzschel, wenn nicht aus Zeitdruck "elementare konservatorische Prinzipien" verletzt würden: Verputzt und gemalert werde etwa dort, wo Artefakte in Holzkisten lagern. Aus einem weiteren Papier geht laut Häntzschel hervor, dass das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst den Organisationsstrukturen zum Opfer fallen. Nur wenige Mitarbeiter sollen bleiben und während in Dahlem noch 35.000 Objekte ausgestellt wurden, ist im Humboldt-Forum  Platz für nur 24.000 Objekte. Und: "Die Stiftung finanziert nicht nur die Ausstellungen, sie ist auch für Technik und Räume zuständig und für Kommunikation und Marketing. Aufgabe der Museen ist hingegen die 'Bereitstellung der (…) notwendigen Expertise', Provenienzforschung, Restaurierung, Publikationen und 'art handling'. Was das heißt, kann man sich leicht ausrechnen: Mit der Hand auf Geld, Räumen und Ausstellungshardware wird sich die Stiftung auch inhaltlich durchsetzen. Die Museen sind degradiert zu Zulieferern und Leihgebern. Ihr einziger Trumpf sind die Sammlungen."
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Europa

"Die Theorie vom tiefen Staat entstand in den Neunzigerjahren in der Türkei, gemeint war damit ein geheimes Netzwerk aus Militär, Justiz, Geheimdiensten und Politikern", erläutert Thomas Assheuer auf Zeit Online und meint, wenn Hans-Georg Maaßen (unser Resümee) in seiner Abschiedsrede nun von "linksradikalen Kräften" in der SPD spreche, berufe er sich auf jene Verschwörungstheorie: "Nach Maaßens Abschiedsrede erscheint auch sein berüchtigtes Interview, das er der Bild-Zeitung nach dem Mordfall in Chemnitz und den rechten Aufmärschen gegeben hat, in einem deutlicheren Licht. Heute liest es sich so, als habe dort ein tiefer Staat aus linksradikalen Sozialdemokraten und ihren medialen Einflussagenten die gutgläubige Öffentlichkeit hinters Licht geführt und eine Hetzjagd auf Ausländer bloß vorgetäuscht - staatsfeindliche Kräfte erfanden einen Ernstfall, der ihrer vorgefertigten und allzeit empörungsbereiten Moral recht zu geben schien. Und warum? Um vom eigentlichen Ernstfall abzulenken, von der existenziellen Bedrohung des deutschen Staates durch Migration und Islamismus."


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Medien

Suzanne Moore bekennt im Guardian Entsetzen über die Pressekonferenz, in der Donald Trump, den CNN-Journalisten Jim Acosta fast schon tätlich angriff. Das Entsetzen gilt allerdings vor allem der werten Kollegenschaft, die der Szene mucksmäuschenstill beiwohnte: "Es wird Zeit, dass das amerikanische Pressekorps gegen den Präsidenten aufsteht", schreibt sie: "Was für Leute sitzen herum und gucken zu, wie ein Kollege schikaniert wird? Leute in einem Job mit schlechtem Status, die Angst vorm Boss haben? Leute mit geringer Selbstachtung, die denken, dass sie ohnehin nichts tun können? Feiglinge? Vielleicht. Auf diese Weise wird der Aggressor bestätigt und kann seinen Kampf weiter führen. Ich würde nicht sagen, dass mein Beruf voller Leute mit geringer Selbstachtung ist, die sich schnell ducken. Ich denke an all die mutigen Reporter da draußen. Ich weiß, dass die meisten Schreiber Egomanen sind. Wie erklären wir also das Verhalten der gesamten Presse bei Donald Trumps Pressekonferenz?"

Ganz anderes sieht es der SZ-Korrespondent Hubert Wetzel, der Acosta Selbstinszenierung vorwirft: "Jim Acosta bot sich für eine solche Strafaktion geradezu an. Der 47-Jährige, dessen Vater einst aus Kuba in die USA geflohen war, hat es zu seinem Markenzeichen gemacht, Trump bei Pressekonferenzen herauszufordern. Er stellt dabei oft Fragen, die eigentlich keine echten Fragen sind, sondern als Fragen formulierte Vorwürfe oder Anschuldigungen."

Auch die Washington-Post-Kolumnistin Margaret Sullivan sieht Acosta als einen aggressiven Journalisten, was Trump aber nicht das Recht gebe, ihm die Akkreditierung zu entziehen. Wie sollte die Presse reagieren? "Ein Boykott oder Blackout widerspricht der Idee, dass Journalisten nun mal da sind, das Publikum zu informieren und würde die Pressekonfernzen seinen schlimmsten Schönschreibern überlassen. Nein, es braucht mehr: CNN sollte Trump auf der Grundlage des ersten Verfassungszusatzes verklagen."

Acosta ist nicht der Held, als der er erscheint, meint Emily Maitlis in der BBC. Als die Szene geschah, hatte er seine Frage schon gestellt, nun monopolisierte er das Mikrofon und setzte  zu weiteren Fragen an: "Was in diesem Raum geschah, war nicht der ultimative Kampf für die Pressefreiheit. Es ging hier nicht darum, Leib und Leben gegen ein Regime zu riskieren, in dem es keine  Meinungsfreiheit gibt. Das war ein Kerl, der in einem Raum voller Kollegen saß, die alle auch Fragen stellen wollten."
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