9punkt - Die Debattenrundschau

Gerechtigkeit nur für die Richtigen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.10.2018. Verschwundene und Ermordete: Der Journalist Jemal Khashoggi soll im Istanbuler Konsulat Saudi Arabiens ermordet worden sein, die bulgarische Journalistin Viktoria Marinova wurde in einem Park in Sofia ermordet aufgefunden - nur zwei Meldungen des Tages. Depression herrscht über die Ernennung des Supreme-Court-Richters Brett Kavanaugh. Die SZ berichtet über einen akademischen Hoax, der sich über Gender Studies lustig macht. Die fast schon vergessen geglaubte "Erklärung 2018" muss jetzt laut FAZ im Bundestag diskutiert werden.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.10.2018 finden Sie hier

Politik

Die Schlammschlacht um die Ernennung des reaktionären Richters Brett Kavanaugh zum Supreme Court-Richter auf Lebenszeit, die am Ende glückte, fügt dem Trumpismus eine deprimierende Facette hinzu, kommentiert Dorothea Hahn in der taz: "Kavanaugh tritt für eine präsidentielle Immunität ein, die Trump vor einer Amtsenthebung schützen soll. Kavanaugh ist der Mann, der die republikanischen Anliegen durch die nächsten Jahrzehnte führen soll, egal wie die kommenden Wahlen ausgehen. Mit seiner Bestätigung haben die RepublikanerInnen einen Sieg errungen, der in seiner historischen Bedeutung mit dem Wahlausgang vom November 2016 zu vergleichen ist."

Im Augenblick sieht es so aus, als hätte der Skandal um die Berufung Brett Kavanaughs an den Obersten Gerichtshof der USA vor allem den Demokraten geschadet, schreibt ein fassungsloser Adrian Daub auf Zeit online: "Kavanaugh wollte die tribalistischen Potenziale innerhalb der republikanischen Partei ansprechen. Es ist ihm gelungen. Donald Trump gelangte ins Weiße Haus, indem er signalisierte, ein Präsident nur für Weiße sein zu wollen. Brett Kavanaugh hat seine Berufung zum Richter retten können, indem er deutlich machte, dass es mit ihm Gerechtigkeit nur für die Richtigen geben wird. Unverhohlen drohte er mitten in der Anhörung seinen Gegnerinnen und Gegnern, sie würden 'Sturm ernten', wenn er erst im Supreme Court sitze."

Die Feministin Alexis Grenell kritisiert in der New York Times die republikanischen Senatorinnen, die für Kavanaugh stimmten, als "Gender Traitors", was sie in der Terminologie des Genderismus auch zu Nutznießerinnen eines "racial privilege" macht: "Wir sprechen über weiße Frauen. Die selben 53 Prozent, die im Jahr 2016 ihr ethnisches Privileg über ihre zweitklassigen Gender-Status stellten, indem sie für ein System stimmten, das nur ihr Weißsein wertschätzt, so wie sie es seit Jahrzehnten tun. Seit 1952 haben sich weiße Frauen nur zweimal von demokratischen Kandidaten überzeugen lassen, in den Wahlen 1964 und 1996."

Man könnte in der täglichen Presseschau eine Rubrik über Ermordete und Verschwundene aufmachen. Jürgen Gottschlich berichtet über den Verdacht der türkischen Polizei, dass der saudi-arabische Journalist Jamel Khashoggi im Istanbuler Konsulat seines Landes von einer Killertruppe ermordet wurde: "Das Gerücht, Khashoggi sei im Konsulat ermordet worden, sickerte zuerst aus türkischen Ermittlerkreisen durch. Ein Freund Khashoggis präzisierte, Ermittler gingen davon aus, dass Khashoggi von dem 15-köpfigen saudischen Team im Konsulat empfangen und ermordet und dann, in kleine Teile zerstückelt und auf die Taschen der Killer verteilt, hinausbefördert worden sei." Hier der Bericht der Washington Post, für die Khashoggi tätig war und einige seiner Kolumnen. Der Guardian berichtet vorerst nur mit einer Tickermeldung, dass die bulgarische TV-Journalistin Viktoria Marinova, die über korrupten Umgang mit EU-Geldern recherchierte, ermordet in einem Park in Sofia aufgefunden worden sei. Verschwunden ist laut Felix Lee in der taz auch der chinesische Interpol-Präsidenten Meng Hongwei, der durch chinesische Behörden verschleppt worden sei. Die verschwundene chinesische Schauspelerin Fan Bingbing (unser Resümee) ist dagegen wieder aufgetaucht und soll 129 Millionen Dollar Steuern nachzahlen, meldete schon letzte Woche die South China Morning Post.
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Religion

All jenen, die sagen, das Kopftuch sei eine individuelle Modeentscheidung und als solche zu verteidigen, hält die Autorin Elham Manea im Gespräch mit Heiko Heinisch von den Kolumnisten entgegen: "Es gibt einfach genug Beispiele, um dem zu widersprechen. Man muss nur genau hinschauen, was in der islamischen Welt passiert ist, was Islamisten machen, wenn sie die Kontrolle über eine Gesellschaft übernehmen. Was machen sie als erstes? Sie schreiben eine Ordnung vor, in der die Frauen Kopftuch oder Burka tragen müssen. Da geht es nicht mehr um Freiheit. Das war so im Iran, in Afghanistan mit den Taliban, in Saudi Arabien, im Sudan mit der Muslimbruderschaft, in Gaza mit der Hamas und das war so mit dem IS in Syrien und dem Irak."
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Wissenschaft

Öffentliche Parks sind nichts anders als "Petrischalen einer hündischen Rape Culture", hieß es in einem Artikel der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift Gender, Place & Culture, der nun durch die Autorinnen und Autoren als ein akademischer Hoax entlarvt wurde: "Die Arbeit beschreibt Rüden als chronische Vergewaltiger, Hündinnen als unterdrückte Opfer und männliche Hundehalter als Komplizen und Anstifter der vierbeinig-maskulinen Gewalttäter", berichtet Sebastian Herrmann in der SZ, und sie war Teil einer ganzen Artikelserie, auf die manche geisteswissenschaftliche Zeitschrift reingefallen ist. "Die fabrizierten Studien unterscheiden sich nicht wesentlich von zahlreichen Arbeiten, die in ernsthafter Absicht in entsprechenden Journalen veröffentlich werden." Ursprünglich wurde der Hoax in dem amerikanischen Areomagazine enthüllt.

In der Zeitschrift Novo Argumente prangert der britische Publizist (und linke Brexit-Anhänger) Brendan O'Neill mit Blick auf Ian Burumas Weggang aus der New York Review of Books (unsere Resümees) die "illiberalen Exzesse" der Genderlinken an.
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Geschichte

In der NZZ gibt Ulrich M. Schmid einen interessanten kurzen Einblick in die jüngere georgische Geschichte, die vom Verhältnis Georgiens zu Russland geprägt ist. Wie kompliziert diese Geschichte ist, sieht man zum Beispiel an einem Denkmal in Tblissi für die "Teilnehmer einer friedlichen Demonstration, die vom sowjetischen Regime am 9. März 1956 blutig niedergeschlagen wurde". So ist es in den Stein graviert. Anlass für die Demo war damals Chruschtschows Kritik am Stalinkult, erzählt Schmid: "Junge Demonstranten zogen mit Stalin-Porträts durch das Stadtzentrum von Tbilissi und forderten die Unabhängigkeit Georgiens. Der Text auf der Erinnerungstafel erweckt den Eindruck, dass es bei der Demonstration von 1956 um demokratische Rechte und föderale Autonomie gegangen sei. Verschwiegen wird dabei, dass die Demonstration sich gegen die Entstalinisierung richtete und deshalb kaum als Musterbeispiel zivilgesellschaftlicher Selbstermächtigung gelten darf."
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Stichwörter: Georgien, 1956

Europa

Man sollte sich von der neuen Vereinigung "Juden in der AfD" nicht täuschen lassen, meint Ronen Steinke auf sueddeutsche.de. Um jüdische Wähler geht es der AfD dabei zuletzt, "es sind die vielen unentschlossenen Rechtswähler, die sich selbst nicht als rechts bezeichnen würden", auf die die AfD ziele: "Es nützt der AfD, wenn [Beatrix von]Storch betont: 'Jüdisches Leben und jüdische Tradition gehören zu Deutschland.' Man beteuert gewissermaßen, dass man stubenrein sei, und man erleichtert es bürgerlichen Vielleicht-Wählern, ihren Ressentiments gegen andere Minderheiten - in erster Linie Muslime - freieren Lauf zu lassen. Juden kommt in diesem Spiel nur die Rolle der nützlichen Idioten zu."

Drei Personen, die ehemalige Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, der Gauland-Referent Michael Klonovsky und Henryk M.Broder haben die schon vergessen geglaubte "Gemeinsame Erklärung 2018", in  der sich "besorgte Bürger" für "besorgte Bürger" und gegen Migranten aussprechen, dem Petitionsausschuss des Bundestags überreicht, wo der Text jetzt diskutiert werden muss, berichtet der Politologe Markus Linden in der FAZ: "Aufgabe einer parlamentarischen Diskussion der 'Erklärung 2018' sollte es sein, die möglichen Trennlinien zwischen den Unterstützern der Petition offenzulegen."

Die verhafteten russischen Spione in Britannien mögen wie lächerliche Figuren aussehen, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen, warnt Nick Cohen im Observer: "Hochrangige Konservative sprechen so, als ob sie nach Salisbury verstehen würden, dass die russische Polizei, die Geheimdienste, die Propagandastationen, die Sportverbände und die Ministerien keine eigenen Institutionen sind, sondern Teil einer vollständigen Fusion der politischen und der kriminellen Klasse. Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube ihnen, wenn sie sagen, dass sie bereit sind, es mit Putin aufzunehmen. Ich bezweifle nur, dass sie verstehen, wie sehr sich die britische Plutokratie-affine Kultur ändern muss."
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