9punkt - Die Debattenrundschau

Das Feuer, die Begeisterung

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.02.2018. In der SZ schimpft Ronald Lauder über deutsche Bräsigkeit bei der Restitution geraubter Kunst. In Großbritannien und Frankreich gibt es Debatten über das koloniale Erbe - unter anderem entzaubern Alain Mabanckou und Achille Mbembe im NouvelObs die Idee der "Frankophonie". In der Berliner Zeitung findet Götz Aly deutliche Worte: "Wenn es in Deutschland heute eine versiffte Ekelecke gibt, dann in der AfD." Und warum glaubten alle Journalisten unisono an Martin Schulz, fragt Hans-Martin Tillack im Stern.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.02.2018 finden Sie hier

Geschichte

In Britannien gibt es eine Diskussion über die Geschichte der Sklaverei, nachdem das Finanzministerium in einem Tweet behauptet hatte, dass Britannien im Jahr 1833 20 Millionen Pfund ausgegeben habe, um die Sklaverei abzuschaffen. Aber in Wirklichkeit diente das Geld dazu, die Sklavenhalter zu entschädigen, schreibt Kenan Malik im Guardian: "Das Ministerium löschte den Tweet am Samstag morgen. Es ist dennoch Teil einer langen Tradition. Britische Behörden spielen ihre zentrale Rolle im transatlantischen Sklavenhandel herunter, während sie sich für die Abschaffung der Sklaverei Verdienste zuschreiben. Aber es war nicht Britannien, es waren die Sklaven selbst und einige Radikale in Europa, die den Kampf gegen die Sklaverei begannen. Dennoch dient das 'moralische Kapital' des Abolitionismus dazu, 'die düstere koloniale Vergangenheit Britanniens aufzuhellen', sagt die Historikerin Katie Donington."

Für die  Abolitionisten war die Entschädigung an die Sklavenhalter eine moralische Qual, ergänzt David Olusoga ebenfalls im Guardian: "Eine Kompensation zu akzeptieren stand im Widerspruch zu ihrer moralischen Grundposition: dass es für einen Menschen unmöglich sei, einen anderen zu besitzen... Die einzigen Leute, die die Entschädigung positiv sahen, waren diejenigen, die dafür drei Jahrzehnte lang gekämpft hatten und die davon profitierten - die Sklavenhalter."

Und auch in Frankreich gibt es Debatten um das koloniale Erbe. Alain Mabanckou und Achille Mbembe begrüßen zwar in einem gemeinsamen Text für den NouvelObs, dass Emmanuel Macron die "Frankophonie" wieder in Mode bringen und Französisch zur zweitmeist gesprochenen Fremdsprache der Welt machen will - aber sie warnen ihn, das vergiftete Erbe der Idee der Frankophonie zu vergessen: "Denn tatsächlich galt die Frankophonie als das linguistische Äquivalent der Macht des Schwerts. Sie ist, um eine alte Formel aufzugreifen, ganz und gar ein 'ideologischer Apparat' des französischen Imperialismus. So gesehen war ihr ursprünglicher Zweck, die Kolonialsprache aufzuerlegen, um ein Gesetz ohne Legitimität bei militärisch besiegten Völkern durchzusetzen."
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Kulturpolitik

"Ich vermisse den aufrichtigen Versuch, das Problem Nazi-Raubkunst ein für alle Mal zu lösen", beschwert sich der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses Ronald Lauder im Interview mit der SZ. "Was hält die Deutschen davon ab, einfach zu prüfen, was in den kritischen Jahren, also zwischen 1933 und 1945, angekauft wurde? Und das vollständig öffentlich zu machen. Eigentlich ist der Auftrag doch klar. Aber statt Raubkunst-Fälle öffentlich zu machen, werden immer wieder die gleichen Entschuldigungen vorgebracht. Es läge am Föderalismus, was bedeutet, dass immer jemand anders das Problem lösen müsse, es läge an den Ländern, den Kommunen, den privaten Stiftungen. Es sind immer die gleichen Ausreden."

Auch mit der Rückgabe geraubter Artefakte in ethnologischen Museen wird es so schnell nichts. Dafür braucht es erst mal Regeln, meint Hermann Parzinger, Gründungsintendant des Humboldt-Forums im Interview mit dem Tagesspiegel: "Die Diskussion über Rückgaben ist eher hierzulande virulent, in den Herkunftsländern wird das erstaunlich differenziert gesehen. Ähnlich wie bei der NS-Raubkunst wollen wir nicht nur auf Rückgabeforderungen reagieren, sondern proaktiv forschen und dabei internationale Zusammenarbeit stärken. Man kann auch Leihgaben und ganze Ausstellungen austauschen. Unsere Sammlungen beleuchten die Welt bis ins frühe 20. Jahrhundert, danach wurde kaum mehr gesammelt, dadurch haben wir nur ein Bild der Vergangenheit. Wir müssen auch die Gegenwart zeigen, dazu brauchen wir Kooperationen mit den Herkunftsländern. Hier könnten sich ganz neue Formen des Austauschs entwickeln. Man soll nicht immer so tun, als wäre alles zusammengeklaut."
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Ideen

Nun ist der nicht abgschlossene letzte Band von Michel Foucaults "Geschichte der Sexualität", "Les aveux de la chair", doch noch erschienen. Helmut Mayer liest für die FAZ die französische Ausgabe: "Möglich geworden ist diese Edition, die genauso wie die Bände der Pléiade von Frédéric Gros verantwortet wird, durch einen Generationenwechsel bei den familiären Rechteinhabern. Der Neffe Foucaults, selbst Philosoph, hielt nicht mehr an der strikten Auslegung des testamentarischen Wunsches fest, sondern fand es wie die verlegerischen Sachwalter einleuchtend, den ausstehenden Band der 'Histoire' vorzulegen."
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Europa

Mit Rechten reden? Nein danke, meint Götz Aly in der Berliner Zeitung angesichts der Ausfälle von AfD-Politikern. "Wenn es in Deutschland heute eine versiffte Ekelecke gibt, dann in der AfD. Es ist widerlich, dass der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag, der AfD-Mann Peter Boehringer, nach neuesten Erkenntnissen am 9. Januar 2016 eine Rundmail verschickt hat, in der steht: 'Die Merkelnutte lässt jeden rein, sie schafft das. (…) Dumm nur, dass es unser Volkskörper ist, der hier gewaltsam penetriert wird.' Diese Sprache ist nicht nur verletzend, wie manche beschwichtigend schreiben, sie ist neonazistisch. Der Gewaltrüpel Boehringer muss seines Vorsitzes enthoben werden. Gewählt wurde er übrigens mit den Stimmen der FDP; nur Die Linke lehnte ihn ab; CDU, CSU, SPD und Grüne enthielten sich."
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Gesellschaft

Fake News gab es schon immer, schreibt Kenan Malik im Observer und zitiert ein Dekret des Königs Charles II. gegen Falschmeldungen, die in den damals neuen Caféhäusern verbreitet wurden. Später spielten Presseerzeugnisse eine unrühmliche Rolle, und zwar bis in die Gegenwart. "Lügen, die sich als News verkleiden, sind so alt wie News selbst. Was heute neu ist, sind nicht die Fake News, sondern ihre Quellen. In der Vergangenheit konnten nur Regierungen und Mächtige die öffentliche Meinung manipulieren. Heute kann das jeder mit Internetzugang. So wie die Institutionen der Elite ihren Zugrif auf das Wahlvolk verloren haben, so erodierte auch ihr Status als Torhüter der Nachrichten, die bestimmen können, was wahr und falsch ist."

Wir brauchen nicht mehr Eigenheime, sondern gute, bezahlbare Wohnungen. Und das ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine ästhetische Aufgabe, meint Laura Weißmüller in der SZ. "Häuser also, in denen die Gesellschaft sich begegnet, weil es Gemeinschaftsräume gibt, Wohnungen für Singles, Familien und Wohngemeinschaften und ein Erdgeschoss, das dem Viertel offensteht - und nicht dem Eigentümer, der sich die Gartenparzelle leisten kann. Es gibt hierzulande Genossenschaften, die gezeigt haben, wie so etwas geht. Ihre Häuser führen auch vor, wie sich auf wenig Raum angenehm wohnen lässt, weil die Grundrisse durchdacht sind und die Bedürfnisse der Bewohner reflektieren. Ein hochverdichtetes Bauen dieser Art ist das Einzige, was den Flächenfraß stoppen kann."

Außerdem: Die SZ hat ihren Artikel über "rechte Feministinnen" online nachgereicht.
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Medien

Journalisten übersehen gern, dass sie selbst ein wesentlicher Faktor von Hypes sind. Stern-Reporter Hans-Martin Tillack hatte Martin Schulz jahrelang in Brüssel erlebt und dort keine besondere Geradlinigkeit vorgefunden. Doch seit Schulz nach Deutschland kam, wurde ihm das Etikett "glaubwürdig" auf die Stirn gedrückt: "Und, wie gesagt: Viele Journalisten glaubten das nun auch. Die Begeisterung war so groß, dass ihm selbst erfahrene Beobachter alle möglichen weiteren Fähigkeiten zuschrieben. 'Schulz hat das, was Angela Merkel fehlt: Er hat den Überschwang, das Feuer, die Begeisterung', analysierte Heribert Prantl Ende Januar 2017 in der Süddeutschen Zeitung... Im Fall von Martin Schulz hat man einen Kandidaten erst für angebliche Qualitäten gelobt, die er in Wahrheit nie hatte - und ihm das dann hinterher zum Vorwurf gemacht. Die Glaubwürdigkeit des Journalismus stärkt das nicht."
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