9punkt - Die Debattenrundschau

Das Freie-Rede-Dogma

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.08.2017. In der Zeit antwortet Horst Bredekamp auf Attacken gegen das Humboldt-Forum und verteidigt ein universalistisches Sammlunsginteresse gegen kulturrelativistische Kritik. In der FR macht sich Heinrich-August Winkler Sorgen über die Rolle Deutschlands in einem geschwächten Westen. Die Welt fürchtet nach hetzerischen Parolen Alexander Gaulands einen republikanischen Lackmustest bei den Bundestagswahlen. Die Staatsfunk-Kontroverse zwischen FAZ und öffentlich-rechtlichen Sendern geht weiter.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 31.08.2017 finden Sie hier

Kulturpolitik

Horst Bredekamp, Mitglied des Direktoriums im Humboldt-Forum, verteidigt in der Zeit das universalistische Sammlungsinteresse der Institution gegen kulturrelativistische Diskurse, die die Geschichte nur mehr unter dem Aspekt der kolonialistischen Schuld sehen: "Wer wollte ernsthaft annehmen, dass etwa der Große Kurfürst in seiner Hochschätzung der chinesischen Kultur... von hegemonialem Denken ausgegangen sei? Und ist Gottfried Wilhelm Leibniz' Verehrung der chinesischen Wissenschaft und Mathematik, ist die China-Mode des 18. Jahrhunderts eine dissimulierte Selbstüberhöhung? Eine solche Annahme kann nicht anders als in Kategorien der Über- oder Unterordnung denken, um jedwedes Problem auf die Streckbank der Machtfrage zu legen."
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Internet

Wikipedia, Google, Twitter und Facebook sperren inzwischen rechte Hetzer, selbst bei Airbnb oder auf Datingplattformen werden sie gebannt. Also suchen sie sich im Netz einfach rechte Plattformen. Die eher links geprägte Datenschutzszene findet das fatal, lernt Michael Moorstedt in der SZ, der mit dieser Haltung allerdings nicht sehr glücklich ist:  "Sowohl die liberale Digital-Bürgerrechtsbewegung Electronic Frontier Foundation als auch die sehr diverse Entwicklergemeinschaft des Tor-Projekts halten sich bei der Verurteilung der Netz-Nazis auf bemerkenswerte Weise zurück. Das Freie-Rede-Dogma gilt hier wirklich für so gut wie jeden. Der Dienst sei darauf ausgelegt, jede Zensur zu hindern, einschließlich jener der eigenen Entwickler, heißt es bei Tor. So verwenden Linke und Rechte die gleichen Mittel, um staatlicher und privatwirtschaftlicher Überwachung zu entgehen".

Google sperrt aber auch ganz andere Leute, berichtet Kenneth P. Vogel in der New York Times, nachdem Google die vom Konzern massiv unterstützte New America Foundation dazu bewegte, einen Google-kritischen Forscher zu feuern.

Der Silicon-Valley-Korrespondent Adrian Lobe warnt in der NZZ vor sogenannten Bots, die als künstliche Verstärker politischer Positionen in den Netzen funktionieren: "Ein Minimal-Bot kommt mit 15 Zeilen Code aus, eine hochwertige Software, mit der sich 10.000 Twitter-Accounts steuern lassen, kostet etwa 500 US-Dollar. Einmal programmiert, kann damit eine ganze Armada ausgerüstet werden. Russlands Präsident Wladimir Putin beschäftigt eine eigene Twitter-Armee, die den Kurznachrichtendienst systematisch mit propagandistischen Beiträgen bombardiert."
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Ideen

In der FAZ schlägt sich Verena Lueken in der Debatte, ob amerikanische Städte von den Denkmälern für Helden der Südstaatenarmee gereinigt werden sollten, auf die Seite der Denkmalstürzer: "Man sollte sich an die Geschichte erinnern, sagen die, die Denkmalstürze für gefährlich halten. Allerdings. Aber die Geschichte ist nicht für alle gleich."

Außerdem: In der NZZ konstatiert Otfried Höffe das anhaltende chinesische Interesse an klassischer deutscher Philosophie.
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Stichwörter: Höffe, Otfried, Denkmalsturz

Europa

Der Historiker Heinrich-August Winkler, der sich in seinem jüngsten Buch Sorgen über den Zustand des Westens macht, reflektiert im Gespräch mit Michael Hesse in der FR über die Rolle Deutschlands: "Zu den Befürchtungen, es könne einen neuen deutschen Sonderweg geben, gehört auch der verbreitete Eindruck, wir seien eine gesinnungspazifistische Nation. Wir müssen Verantwortungspazifisten sein. Das heißt, wir dürfen auch da keinen Sonderweg einschlagen. Wir dürfen da, wo unsere engsten demokratischen Verbündeten im Westen als Ultima Ratio ein militärisches Engagement zur Friedenssicherung für geboten halten, nicht von vorhinein sagen, da machen wir nicht mit."

Tayyip Erdogan will sich 2019 zum allmächtigen Präsidenten der Türkei wählen lassen. Dabei stören immer mehr die Korruptionsvorwürfe gegen seine frommen Kader, schreibt Bülent Mumay in seiner FAZ-Kolumne - denn einst war die AKP als Alternative zu diesem chronischen Phänomen in der türkischen Politik eingetreten: "Mit dem Wissen um ihren Rückhalt in der Partei vervielfachten auch die Parteikader ihr Vermögen. Wurden solche Vorwürfe zunächst nur in der Opposition laut, finden sie jetzt auch in der eigenen Basis ein Echo. Und Erdogan, der bisher derartige Vorwürfe zurückwies, sagt nun, er werde nicht mit Kandidaten arbeiten, über die es heißen könnte: 'Wo hast du diesen Dieb aufgetrieben.'"

Thomas Schmid zeichnet in der Welt den Weg Alexander Gaulands von einem vorsichtig konservativen CDUler zu einem Voksverhetzer der AfD nach, der jüngst forderte, die SPD-Politikerin Aydan Özoguz möge in der Türkei "entsorgt" werden, "eine ganz kalt kalkulierte Provokation, ein Stück unterkühlter Hassrede, das er einer auf Rabiates hungrigen Meute vorwirft... Seine Entgleisung hat maximales Aufsehen erregt. Er wollte das so, wohl in der Hoffnung, das verschaffe seiner Partei, deren zweistellige Blütenträume dahin sind, vier Wochen vor der Bundestagswahl entscheidenden neuen Zulauf. Das wird man sehen, es wird ein republikanischer Lackmustest werden."
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Gesellschaft

Acht arabische Bands boykottierten das Berliner Festival Pop-Kultur auf Druck der Boykott-Israel-Kampagne BDS - das war der erste große Erfolg dieser Organisation in Deutschland, schreiben mehrere Autoren auf der "Glauben-und-Zweifeln"-Seite der Zeit: "Es geben nicht nur junge arabische Bands, sondern auch westliche Stars dem Druck der Israelfeinde nach. Ihr nächstes Opfer haben die BDS-Organisatoren schon bestimmt: Nick Cave, der im November zwei Konzerte in Tel Aviv geben will. Auf der Facebook-Seite 'Nick Cave Don't Play Apartheid' wird gegen ihn Stimmung gemacht. Und die Spirale der Boykottforderungen dreht sich weiter. So gehört zu den britischen Unterstützern von BDS auch die gefeierte junge Rapperin Kate Tempest. Sie soll im Oktober das erste Popkonzert geben, das die Berliner Volksbühne unter ihrem neuen Intendanten Chris Dercon veranstaltet. Nun forderte die Schriftstellerin Sibylle Berg die Absage des Auftritts: Wer sich zu einer antisemitischen Organisation bekenne, habe an der Volksbühne keinen Platz."
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Medien

Für die taz liest Tilman Baumgärtel einige Studien zur Medienberichterstattung über die Flüchtlingskrise 2015, die ein unangenehm insiderhaftes Bild von deutschen Medienbetrieb abgeben: "Der Vorwurf, dass die deutschen Berichterstatter sich weniger für die Flüchtlinge per se, sondern eher für die politischen Streitereien, die sie auslösen, interessieren, wird auch in einer gerade erschienen Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung untermauert, die sich mit der Illustration von Texten zum Flüchtlingsthema beschäftigt. Viel zu oft gehe es auch hier um die Standpunkte von Politikern - immer wieder illustriert mit stereotypen Symbolbildern von Frauen mit Kopftuch."

Das Sommergekabbel zwischen der FAZ und den längst wieder vorsichtig schweigenden Öffentlich-Rechtlichen Sendern geht munter weiter. Michael Hanfeld greift nochmal die spöttische Bemerkung der Deutschlandfunk-Autorin Brigitte Baetz (unser Resümee) über die ehemaligen Dienstwagen der FAZ-Redakteure auf, spricht allerdings nicht ganz ehrlich nur von "Dienstwagen im Journalismus" und untersucht, wer bei den Sendern so Dienstwagen fährt und Betriebsbenzin zapft.

ZDF-Intendant Thomas Bellut verteidigte unterdessen die neue Strategie der Sender, ins lange belächelte Internet zu expandieren, berichten Uwe Mantel und Thomas Lückerath in dwdl.de, der einen Auftritt Belluts vor deutschen, das Internet eher fürchtenden Produzenten beobachtete: "ZDF-Intendant Thomas Bellut nutzte nun den Produzententag seines Senders in Berlin, bei dem er rund 280 Produzenten zu Gast hatte, um.. nochmal zu betonen, für wie wichtig man eine wettbewerbsfähige Mediathek halte. "Die Zukunftsfähigkeit des ZDF hängt entscheidend von der Mediathek ab. Ein attraktives Onlineangebot folgt den Nutzerbedürfnissen und bietet den Produzenten neue Formen der Zusammenarbeit', so Bellut."

Außerdem: FAZ-Online-Chef Mathias Müller von Blumencron verteidigt im Gespräch mit der Werbe-Branchenmagazin Horizont Print und neue zahlbare Angebote in der Digitalabteilung der Zeitung.
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