9punkt - Die Debattenrundschau

Die Bedürfnisse der Wirtschaft

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.08.2017. Die Guardian-Kolumnistin Amina Lone protestiert gegen Kopftücher für immer kleinere muslimische Mädchen. Die NZZ wirft einen Blick auf die rigide Einwanderungspolitik in Kanada. Die New York Times geißelt die gestrige Pressekonfernz Donald Trumps - nie habe er die Rechtsextremen so deutlich unterstützt. Der Tagesspiegel fordert weniger Chefs für das Humboldt-Forum.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.08.2017 finden Sie hier

Gesellschaft

Feministinnen, die Mädchen das Kopftuch verbieten wollen, spielen Rechtspopulisten in die Hände, verkündete kürzlich Meredith Haaf in der Süddeutschen. Anlass war die Forderung von Terre des Femmes, ein gesetzliches Verbot von Kopftüchern bei Minderjährigen zu erlassen (unser Resümee). Im Guardian hätte Amina Lone damit wohl keine Probleme. Sie ist empört über eine Plakatkampagne des Kinderverkehrsclubs für mehr Sicherheit auf den Straßen, auf dem ein kleines Mädchen mit Kopftuch zu sehen ist. Warum wird im Westen ausgerechnet das Frauenbild des Islamischen Staats übernommen, fragt sie entgeistert: "A minority of very vocal hardliners within Muslim communities are pushing a narrow version of what constitutes an 'acceptable' Muslim woman. One who is veiled, compliant and modest in all her actions. The old Victorian mantra of being seen and not heard reinvented for the 21st century. They seek to encourage increasingly young girls to cover themselves, and produce images of female children wearing hijabs. This is not a tradition mandated by any religious scripture."
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Politik

In Kanada stößt Justin Trudeau gerade an die Grenzen seiner einwanderungsfreundlichen Politik, berichtet Ivo Mijnssen in der NZZ. Seit Trump regiert hat sich der Zustrom von Einwanderern über die amerikanisch-kanadische Grenze deutlich erhöht. Wobei der Mythos von der kanadischen Willkommenskultur starke Grautöne aufweist, guckt man genauer hin: "Der Staat definiert eine klare Obergrenze und legt den Fokus auf die Bedürfnisse der Wirtschaft. Fast zwei Drittel der brutto 271 000 Zugewanderten im Jahr 2015 waren gut qualifizierte Arbeitnehmer, für die eine klare Nachfrage bestand. Nur knapp 100.000 sind Flüchtlinge - das sind umgerechnet auf die Bevölkerung deutlich weniger als in der Schweiz. Für die meisten von ihnen bürgen zudem Privatpersonen. Trudeau führt diese Migrationspolitik Kanadas weiter."

Donald Trump hat den Rechtsextremisten seine unzweideutige Unterstützung gegeben, rufen Glenn Thrushund Maggie Haberman in der New York Times: "Nie ist er in der Verteidigung ihrer Aktionen so weit gegangen wie in der wilden, an ein Geschrei an der Straßenecke erinnernden Pressekonferenz in der vergoldeten Lobby des Trump Towers, wo er wütend behauptet hatte, dass die angeblichen alt-left-Aktivisten genauso verantwortlich seien für die blutige Konfrontation wie die Demonstranten mit ihren Hakenkreuzen, Südstaatenfahnen, antisemitischen Transparenten und 'Trump/Pence'-Abzeichen. 'Danke, Präsident Trump für ihre Ehrlichkeit und Ihren Mut', twitterte David Duke, ein früherer Ku Klux Klan-Anführer kurz nach Trumps Ansprache."
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Medien

Stuktur oder Wandel? Der Welt-Essay von Perlentaucher Thierry Chervel über die deutschen Medien im Zeitalter der Digitalisierung - ratlos! - steht inzwischen online.
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Kulturpolitik

Reichlich krude findet Christiane Peitz im Tagesspiegel die jüngsten Einmischungen in die Pläne fürs Humboldt-Forum. Erst forderte Berlins Kultursenator Klaus Lederer im Interview mit der Stuttgarter Zeitung einen "diskursiven Neuanfang". Jetzt hat sich noch Manfred Rettig zu Wort gemeldet, der ehemalige Schlossbaustellenmeister. Er schlägt vor, weniger Museumspräsentation und mehr "Friedenskonferenzen oder Nachhaltigkeitsgipfel" im Schloss anzubieten. Als gäbe es dafür nicht bereits genug Orte in Berlin, meint Peitz. Und: "Wie bei Savoy und Lederer ist zwar das Dilemma zu vieler Chefs - die beteiligten Museumsdirektoren, das Intendantentrio, die mehrköpfige Stiftungsleitung - richtig benannt. Aber die Konsequenz müsste lauten: Die Frage der künftigen Leitung des Hybrid-Orts zwischen Museum, Wissenschaft und Forum sollte ins Visier genommen werden. Weniger Chefs, eine Intendantin oder ein Intendant, das hilft bei Profilschärfung. Ein Job für die Kulturstaatsministerin - oder wer immer in der Kulturpolitik das Sagen hat nach der Wahl."
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Europa

In dem Moment, wo eine faschistische Partei namens CasaPound nahe dran ist, ins italiensche Parlament einziehen zu können, bereitet der Partito democratico ein Gesetz gegen faschistische Propaganda vor, das unter anderem von der Fünf-Sterne-Bewegung im Namen der Meinungsfreiheit abgelehnt wird, schreibt Giada Zampano in politico.eu und zitiert den ebenfalls skeptischen Historiker Federico Niglia: "Die demokratischen Werte per Gesetz zu verteidigen, ist symptomatisch dafür, dass Italien noch nicht fähig war, Antikörper gegen den Faschismus und seine neuen Formen zu entwickeln... Italien kämpft immer noch mit der Einsicht, dass es am Ursprung des Faschismus steht und für seine Verbrechen verantwortlich ist."

Große Empörung hat in England ein Artikel von Trevor Kavanagh in der Sun ausgelöst, der anlässlich des Skandals in Newcastle um eine Gruppe von Männern (die meisten pakistanischer Herkunft"), die junge Mädchen vergewaltigt und missbraucht hatten, von einem "Muslim Problem" sprach. Jüdische und muslimische Organisationen warfen der Sun nun vor, die Sprache der Nazis benutzt zu haben, berichtet im Independent Maya Oppenheim. "The organisations argue the phrase 'Muslim Problem' shares direct parallels with 'The Jewish Problem' - an expression used in Hitler's Nazi Germany which led to the mass murder of six million Jews. 'The printing of the phrase 'The Muslim Problem' - particularly with the capitalisation and italics for emphasis - in a national newspaper sets a dangerous precedent,' states the complaint." Mehr als 100 Politiker haben - parteiübergreifend - inzwischen in einem gemeinsamen Brief beim Chefredakteur der Sun, Tony Gallagher, protestiert.

Kavanagh wusste genau, was er da tut, meint Sean O'Grady, ebenfalls im Independent. Und er steht damit nicht allein: "I think also of a few other notorious bits of journalism, broadly defined, we've seen lately. There was Kevin Myers' tropes about Jews (namely Vanessa Feltz and Claudia Winkelman) being greedy for money in the Irish Sunday Times; Katie Hopkins for the MailOnline on 'cockroach' refugees and a tweet about the 'final solution' after the Manchester bombing; the Daily Mail cartoon that showed people coming in as refugees with rats, sickeningly reminiscent of Nazi propaganda film stuff (look up The Eternal Jew); and the daily subtle use of language and stereotypes that insidiously link Islam with evil and aggression. Too many headlines equate refugees, migrants, Muslims and terrorists in one sentence, so they become synonymous in people's minds."
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Religion

Da Kirche und Staat in Deutschland nicht getrennt sind, sondern sich eher als einander alles Gute wünschende Ergänzungen verstehen, ist anzunehmen, dass mit der Zeit auch der Islam institutionelle Förderung erhält. An fünf islamischen Zentren kann man bereits staatlicherseits Islamische Theologie studieren, schreibt Hülya Gürler in der taz. "Es ist zu vermuten, dass in Zukunft noch mehr Muslime ihre Kinder in konfessionellen Kindergärten anmelden wollen. Oder sie brauchen im hohen Alter Pflege, die auf muslimische Gewohnheiten wie beispielsweise Halal-Essen oder spezifisch muslimische Körperpflege eingeht. Für die 23,8 Millionen Mitglieder der katholischen Kirche gibt es für soziale und pflegerische Aufgaben die Einrichtungen der katholischen Wohlfahrtsorganisation Caritas. Absolventen der vielen katholischen Hochschulen, Fakultäten und Institute finden unter anderem hier eine Beschäftigung."
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