9punkt - Die Debattenrundschau

In Ewigkeit. Ramen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.08.2017. Das Creative Commons-Netzwerk teilt mit, dass der syrische Aktivist für ein offenes Internet Bassel Khartabil, der sich für die Erhaltung Palmyras eingesetzt hatte, vom Assad-Regime hingerichtet wurde. Bei Arte lief eine Dokumentation über den Gaza-Streifen, diesmal ganz ohne Faktencheck, den das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus nachliefert. Die SZ fordert mehr Engagement bei der Provenienzforschung zu menschlichen Überresten in Museen.  Die New York Times wirft einen sehr kritischen Blick auf die Organisatorinnen des "Women's March" gegen Donald Trump. Und alle wackeln heute für die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters mit den Fingern.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.08.2017 finden Sie hier

Urheberrecht

Das Creative Commons-Netzwerk teilt mit, dass der syrische Aktivist für ein freies Internet, Bassel Khartabil, vom Assad-Regime hingerichtet wurde - schon seit einigen Jahren saß er im Gefängnis. Der Guardian hatte ihn und seine Arbeit für die Kartierung und Erhaltung von Palmyra 2015 in einem Porträt gewürdigt (unser Resümee). Die #FreeBassel-Kampagne "hatte versucht Aufmerksamkeit für Bassel und seine Projekte zu erregen. Teil der Kampagne war der 3-D-Druck eines Tetrapylonen aus Palmyra, der im letzten Jahr beim Creative Commons Global Summit aufgestellt wurde, ein Tribut an Bassels Arbeit bei der Gründung von #Newpalmyra, dem Versuch, die gefährdeten Ruinen von Palmyra digital zu dokumentieren." Ein Nachruf findet sich bei Index on Censorship.

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Medien

Vor einigen Wochen erregte die Dokumentation "Auserwählt und Ausgegrenzt" Aufmerksamkeit, die sich mit rechtem, aber auch linkem und muslimischem Antisemitismus befasste. WDR und Arte fassten den Film nur mit spitzesten Fingern und "Faktencheck" an (unsere Resümees). Ganz anders lief es bei der Arte-Reportage "Gaza: Ist das ein Leben?", die vor knapp zehn Tagen lief. Den Faktenchek liefert in diesem Fall (allerdings mit wesentlich weniger Medienaufmerksamkeit) das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitmus nach. Der Film scheint ihn gebrauchen zu können. So "wird behauptet, dass 'Gaza nach dem Willen der israelischen Politik nur an drei bis vier Stunden pro Tag Strom hat' [1:35]. Es wird dabei außer Acht gelassen, dass erst vor kurzem auf Bitten der Palästinensischen Autonomiebehörde die Stromversorgung in Gaza reduziert wurde. Ebenso verbreitet die Dokumentation die Falschinformation, Gaza sei 'einer der am stärksten überbevölkerten Orte weltweit' [1:58]. Es existieren jedoch zahlreiche Metropolen die eine ebenso hohe oder sogar höhere Bevölkerungsdichte aufweisen."
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Kulturpolitik

In der SZ fordert Anna Lea Berg, Soziologin mit dem Schwerpunkt "Emotionen" an der FU Berlin, mehr Engagement deutscher Museen bei der Provenienzforschung zu menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen: "Rückgaben sind moralisch geboten, sie gehören aber auch zur Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte, wie sie zuletzt die Kolonialismus-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum angestoßen hat. Künstlerische Interventionen wie die Performance 'Schädel X', das 'Fairtrade Head'-Projekt der Künstlerin Candice Hopkins oder die 'Exhibit'-Reihe des südafrikanischen Künstlers Brett Bailey zeigen: Das Sammeln, Forschen und Ausstellen von Körpern war nicht nur prägend für das Verständnis der 'unterlegenen Rassen', es machte die Wissenschaft und das Ausstellen zu einer dominanten Kulturtechnik in der Begegnung mit dem Anderen."
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Politik

Direkt nach der Wahl Donald Trumps hatte der "Women's March" einen kräftigen Gegenakzent gesetzt. Aber wer gegen Trump recht hat, kann anderswo extrem daneben liegen, stellt Bari Weiss in der New York Times fest, die die vier Organisatorinnen des "Women's March" auseinandernimmt. Die eine - Linda Sarsour mit dem kleidsamen Kopftuch - fiel durch antizionistische Tweets, krasse Verwünschungen Ayaan Hirsi Alis und durch revolutionäre Grüße an eine gesuchte Terroristin auf, und die andere, Tamika Mallory, "postete am 11. Mai ein Foto, das sie Arm in Arm mit Louis Farrakhan, den Anführer der Nation Islam zeigt, der für seine antisemitischen Kommentare auf Twitter und Facebook berüchtigt ist. 'Gott sei dank ist dieser Mann noch unter uns und bei Gesundheit', schrieb sie. Es ist nur eines von vielen Videos, Fotos und Zitaten, die sie postete."
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Internet

(Via turi2) Bei der Bekanntgabe der Quartalszahlen hat sich Apple-Chef Tim Cook laut Techcrunch auch zur Zensur des App-Stores in China geäußert, in dem man seit neuesten keine VPN-Apps (die ein unbehelligtes Surfen erleichtern, unsere Resümees) mehr findet: "Wir hätten diese Apps natürlich lieber nicht entfernt, aber wie in anderen Ländern, wo wir Geschäfte machen, halten wir uns an das Gesetz. Wir glauben fest an unsere Präsenz in den Märkten und daran, dass wir den Nutzern dort Vorteile bringen und im besten Interesse der Leute dort und woanders handeln."

Stefan Betschon hat für die NZZ mehrere Studien gelesen, die sich mit dem drohenden Zerfall des offenen Internets durch nationalstaatliche Eingriffe und Social Media beschäftigen: "Es scheint also auf dem Weg in die Zukunft nur zwei Möglichkeiten zu geben: Internet oder Splinternet, Wachstum oder Zerfall, globale Größe oder Kleinstaaterei, Frieden oder Balkanisierung, Freiheit oder Zensur, Einheit oder Vielheit. Aus Schweizer Sicht könnte man versucht sein, zu intervenieren und einen dritten Weg vorzuschlagen, der Einheit und Vielheit verbindet. Man nennt dieses politische Prinzip Föderalismus. ... Es ist keine Katastrophe für den Fortschritt der Menschheit, wenn sich neben den Silicon-Valley-Jungunternehmern nun auch gewählte Politiker daranmachen, die Zukunft des Internets mitzugestalten."
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Religion

Heute wird das brandenburgische Oberlandesgericht entscheiden, ob die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e. V. (KdFSM) Religionsstatus hat, berichtet Laura Weigele in der taz. Bisher hat die junge Religion nur einen Tempel in Templin. Die religiösen Zeremonien weisen gewisse Ähnlichkeiten mit bekannten Praktiken auf: "Bruder Spaghettus legt den Gläubigen ein Spaghetto in den Mund. Danach trinkt jeder einen Schluck Bier aus einem Kelch. Die Gläubigen verhaken ihre Daumen miteinander, die Handflächen zeigen zur Brust. 'Ramen'', sagen sie im Chor und wackeln mit den Fingern. Nach fünfzehn Minuten beendet Bruder Spaghettus die Messe mit dem Monsterunser: '… denn dein ist die Soße und der Käse und die Fleischklößchen in Ewigkeit. Ramen.'" Die Kirche war übrigens ursprünglich in den USA von einem Wissenschaftler gegründet worden, der sich gegen den in Schulen immer häufiger gelehrten Kreationismus wehrte.

Vielleicht sollte die Kirche auch in der Türkei missionieren. Dafür spräche jedenfalls der neue Lehrplan türkischer Schulen, den ebenfalls in der taz Ezgi Karatas vorstellt: "Er sieht eine reduzierte Stundenzahl in Naturwissenschaften, Philosophie und Kunst vor, ganze Themenblöcke wie die Evolutionstheorie kommen darin nicht mehr vor."

Und in Israel. In der FAZ schildert Joseph Croitoru die religiöse Indoktrinierung von Schulkindern, die durch das Erziehungsministerium vorangetrieben wird, das seit 2015 Naftali Bennett von der Siedlerpartei "Das Jüdische Heim" leitet. Säkulare Eltern wehren sich jetzt dagegen, dass in Schulbüchern häufig die Einhaltung religiöser Gebote angemahnt wird: "Die Schulbücher suggerieren zudem, dass die weltlichen Schüler den religiösen aufgrund ihrer Lebensweise moralisch unterlegen sind. Entsprechend werden die Mitglieder einer säkularen Familie als Egozentriker gezeichnet, die aufeinander kaum Rücksicht nehmen - ganz anders als ihre orthodoxen Pendants, die sich hilfsbereit und rücksichtsvoll zeigen."
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Ideen

Ziemlich entsetzt ist der Autor und Mitbegründer der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon bei hpd.de nach der Lektüre der Bücher "Homo Deus" und "Eine kurze Geschichte der Menschheit" des viel gefeierten israelischen Philosophen Yuval Harari - vor allem darüber, wie Harari mit dem Begriff des "Humanismus" umgeht. Laut Harari sind demnach sogar die Nazis "evolutionäre Humanisten" - für Schmidt-Salomon ein Widersinn: "Es hatte seinen Grund, dass die deutschen Soldaten 'mit Gott und dem Führer' in den Krieg zogen und dass Hitler bei jeder Gelegenheit die 'göttliche Vorsehung' herbeizitierte. Nazideutschland war einer der wenigen Staaten im 20. Jahrhundert, in denen es 'Gottlosigkeit' offiziell gar nicht geben durfte. Wer nicht Mitglied einer Religionsgemeinschaft war, wurde von den Nazis in der amtlichen Kategorie 'Gottgläubiger' geführt, denn 'Atheismus' galt als Ausdruck einer 'kulturzersetzenden, jüdisch-bolschewistischen Gesinnung', die in keiner Weise geduldet wurde."

Das Leben wird eigentlich überall besser, nur dummerweise auch für die Untergangspropheten, die auf der Linken wie der Rechten das Sagen habe, schreibt Tobias Blanken in einem kleinen Essay für die Salonkolumnisten. Schuld daran ist auch Karl Marx: "Glaubt man daran, dass das Elend nicht nur systemimmanent ist, sondern zwangsläufig auch noch zunehmen wird, kann die einzig sinnvolle Veränderung nur darin liegen, dass man das ganze System auf revolutionäre Weise umwirft. Reformistische Ansätze sind unter dieser Prämisse unabwendbar eine Si­sy­phus­ar­beit, ein vollkommen sinnloses Anrennen gegen Windmühlen. Und Gläubige hatte Marx viele, ohne die Verelendungstheorie wäre der reformistische Flügel der Arbeiterbewegung vermutlich erheblich stärker gegenüber dem revolutionären gewesen."

In der FAZ gibt Adrian Lobe der Digitalisierung die Schuld am Dieselskandal. Denn wer kann schon die ganze Software überprüfen, die heute in Autos verbaut wird? Vielleicht mit Überwachung bei der Produktion? Lobe lässt sich da von Tim O'Reilly und seinem Begriff der "algorithmic regulation" inspirieren: "O'Reilly argumentiert, dass man komplexe Finanzprodukte, wie sie an den Terminbörsen gehandelt werden, ohne Algorithmen gar nicht mehr regulieren könne. Das Primat der Politik werde durch die Automatisierung der Wirtschaft auf die Probe gestellt. Will man den Hochfrequenzhandel noch einigermaßen kontrollieren, brauchte es eine Art Hochfrequenzjustiz - Bots, die unablässig jede Finanzmarkttransaktion überwachen."

Außerdem: In der NZZ denkt Rainer Paris über Glaubwürdigkeit und Demokratieverständnis nach.
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