9punkt - Die Debattenrundschau

Und ob die Erde hohl ist

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.05.2017. Schadet das Internet der Demokratie? Die FAZ fürchtet ja. Die NZZ möchte der "Liquid Democracy" noch eine Chance geben. Heute ist der Tag gegen Homophobie: Europa sollte gegen die Drangsalierung Schwuler in Tschetschenien protestieren, schreibt eine Autorenkollektiv in Libération. Nur weil bei mp3 die Patente abgelaufen sind, ist die Technologie noch nicht tot, meint Marcel Weiß im Neunetz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.05.2017 finden Sie hier

Internet

Recht große Zweifel hat Sam Levin im Guardian an den bisherigen Initiativen von Facebook zur Fake-News-Bekämpfung. Gekennzeichnet werden vermeintliche oder wirkliche Fake New durch einen Warnhinweis: Aber "Facebook wollte keine Daten oder Informationen über die Zahl der Artikel, die als umstritten gekennzeichnet wurden und welche Auswirkungen eine Kennzeichnung auf den Traffic hat, mitteilen - auch nicht darüber, ob bestimmte Websites besonders häufig gekennzeichnet werden und nach welcher Zeit die Zeichen normalerweise angebracht werden. Sein Sprecher sagte, dass 'wir eine Abnahme von Traffic und Shares nach der Kennzeichnung beobachten konnten', weigerte sich aber, ausführlicher zu werden."

Das Blöde an vielen Einwänden von Zeitungsleuten gegen das Internet ist, dass sie die Idee eines offenen Netzes noch nie verfochten haben - während sie jetzt, wie heute Thomas Thiel in der FAZ zum Abschluss einer Serie über "Internet und Demokratie", das Internet der Konzerne geißeln: "Das gegenwärtige Geschäftsmodell des Internets fördert Indolenz: Automatisierte Entscheidungen sind opak, Verantwortung geht im Wechsel der technischen Systeme verloren, der Bürger wird zur Ware, ohne seinen Handelswert zu kennen."

Adrienne Fichter ist in der NZZ durchaus geneigt der Idee der "Liquid Democracy", die in Deutschland wenig glücklich von der Piratenpartei verfochten wurde, noch eine Chance zu geben: "Die spanische Linkspartei Podemos ist das berühmteste Beispiel dafür, dass sich eine Liquid Democracy heute umsetzen lässt. Ihre parteieigene Debattenplattform mit dem Namen 'Consul' wurde von Kommunen übernommen. Die Regierung von Madrid hat die Open-Source-Software der linken Bewegung für eigene Zwecke weiterentwickelt. Mit 'Decide Madrid' können alle Einwohner von Spaniens Hauptstadt ein neues lokales Gesetz vorschlagen."

Das Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltkreise hat nach dem Auslaufen von Patenten das "Ende" von MP3 verkündet. Marcel Weiß wundert sich in seinem Neunetz über die Kleinmütigkeit: "Statt etwa zu schreiben, dass die MP3-Technologie jetzt der Menschheit gehört und man freue sich - zum Beispiel- darauf, zu sehen, was 'die Community' damit machen werde, wird angedeutet, dass die MP3 eigentlich auch veraltet sei, man brauche sie gar nicht mehr. Man hat sich beim Fraunhofer dafür entschieden, nur zerknirscht auf das Ende des Lizenzprogramms zu verweisen und die neue Freiheit des MP3-Standards mit keinem Wort zu erwähnen."
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Medien

Ironie hat ihre Grenzen, selbst bei dem beliebten ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Gestern kam die Vice-Meldung, dass sein Show-Mitspieler Hans Meiser auch bei einem verschwörungstheoretischen Portal moderiert (unser Resümee). Heute meldet turi2, dass Böhmermann ihn gefeuert hat - nicht ohne dann doch wieder ironischen Arschtritt: "Er dürfe wiederkommen, wenn er herausgefunden habe, wer wirklich hinter dem 11. September steckt und ob die Erde hohl ist, schreibt die Firma ironisch auf Facebook."
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Stichwörter: Böhmermann, Jan, Vice

Ideen

Der Philosoph Jens Halfwassen versucht in der FAZ, sich einen Begriff von "Leitkultur" zu machen und bleibt vor allem Begriff der Nation hängen: "Demokratie bedeutet Volkssouveränität, und die kann es nur geben, wo eine Nation als ihr Träger existiert."
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Stichwörter: Halfwassen, Jens, Leitkultur

Europa

Ibrahim Arslan ist eines der überlebenden Opfer des Brandanschlags von Mölln 1992. Er veranstaltet in Köln ein "Tribunal", in dem die Opferfamilien der NSU-Morde zu Wort kommen sollen. Im Gespräch mit Konrad Litschko von der taz sagt er, wie er die NSU-Morde erlebte: "Für mich fühlte sich der Moment an, als ob alles, was in Mölln passierte, sich noch einmal wiederholt. An dem Tag habe ich mein Vertrauen in den Staat komplett verloren, das ich versucht hatte, über die Jahre wieder aufzubauen. Ich bin deutscher Staatsangehöriger, hier geboren, hier aufgewachsen. Ich bin die vierte Generation meiner Familie in Deutschland, meine Kinder sind die fünfte. Da redet man nicht mehr von Integration, da ist man ein Baustein dieses Landes. In dem Moment aber war das alles zerstört. Ich habe den NSU-Opferfamilien sofort meine Hilfe angeboten."

Heute ist der internationale Tag gegen Homophobie. Ein Kollektiv von Autoren erinnert in Libération an die Lage in Tschetschenien: "Die letzten Informationen sind erschreckend. In Tschetschenien werden Homosexuelle oder angebliche Homosexuelle inhaftiert und gefoltert. Bis jetzt sind drei von ihnen auf Befehlt des Regimes ermordet worden. Das scheint für die meisten Medien nicht weiter ein Problem zu sein. Aber Tschetschenien ist ein Teil Russlands! Das alles findet an den Grenzen Europas statt. Putin schweigt - keine Überraschung. Europa darf nicht akzeptieren, dass in seiner Nähe Minderheiten umgebracht werden."

Außerdem: In der SZ prüft Susan Vahabzadeh das Frauenbild rechtspopulistischer Parteien in Europa.
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