9punkt - Die Debattenrundschau

Mitten in der Zelle gab es ein Loch

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.02.2017. In der Zeit schildert ein ehemalige syrischer Häftling die grauenhafte Zustände in Baschar al-Assads Gefängnissen. Die New York Times fordert nach den jüngsten Enthüllungen über Trump und Russland einen Untersuchungsausschuss im Kongress. Die Berliner Zeitung erklärt, warum Deutsch als Fremdsprache im Goethe-Institut zur Zeit nicht so läuft. Slate.fr fragt sich, warum es nach einem schockierenden  Fall von Polizeigewalt in der Banlieue von Paris nicht zu Protesten kommt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.02.2017 finden Sie hier

Politik

Jüngst stellte Amnesty einen Bericht über das Gefängnis Saidnaja vor, in dem Baschar al-Assad, den auch in Deutschland viele als Partner für den Frieden ansehen, systematisch Gefangene umbringen lässt (unser Resümee). In der Zeit spricht Diab Serrih, einst Häftling in dem Gefängnis, mit Mohamad Majahid über diesen Ort des Grauens und über seine Gefängniszelle: "Sie war einen Meter breit und 180 Zentimeter lang. Es gab kein Tageslicht, kein Fenster, keinen Strom, es roch nach Fäkalien und Blut. Mitten in der Zelle gab es ein Loch, das war die Toilette. Wegen des Gestanks bekam ich zunächst keine Luft. Fünf Jahre habe ich dort verbracht. Zunächst war ich alleine, nach eineinhalb Monaten habe ich einen Zellengenossen bekommen. Im Jahr 2011, nachdem die Revolution anfing, waren wir zu neunt. Wir haben uns abgewechselt, jede zweite Stunde durfte einer liegen, die anderen mussten an der Wand stehen."

Das Editorial Board der New York Times fordert nach dem Rücktritt von Donald Trumps Sicherheitsberater Michael Flynn und neuen Meldungen, dass das Trump-Team vor den Wahlen mit russischen Geheimdienstleuten in Kontakt stand, einen Untersuchungsausschuss im Kongress: "In Ergänzung zu den glaubwürdigen Informationen amerikanischer Geheimdienste, dass Russland den Präsidentschaftswahlkampf 2016 destabilisieren und beinflussen wollte, bilden diese jüngsten Enthüllungen eine ausreichende Grundlage für den Kongress, um das Moskauer Treiben und die Frage ob höchste Kreise der Reggierung die Interessen einer Nation bedient haben, die die amerikanische Außenpolitik seit dem Kalten Krieg torpedierte, zu untersuchen."
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Gesellschaft

Ja ja, die Festen und die Freien in Deutschland. Meldung der Berliner Zeitung: "Das Goethe-Institut muss seine Bücher offenlegen. Es geht um den Verdacht des Sozialversicherungsbetrugs. Seit Januar diesen Jahres prüft die Deutsche Rentenversicherung die Verträge von bundesweit 400 Honorar-Lehrern des Instituts. Sie sind bis zum Ende der Ermittlungen freigestellt und erhalten kein Geld. 70 dieser Fälle gibt es nach Informationen der Berliner Zeitung in der Hauptstadt."
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Stichwörter: Goethe-Institut

Medien

Sehr im Sinne der Printunternehmen resümieren Matthew Karnitschnig and Chris Spillane in politico.eu (das zum Teil dem Hauptlobbyisten Springer Verlag gehört) die europäischen Debatten um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage: "In den vier Jahren von 2010 bis 2014 sind die Printeinnahmen europäischer Zeitungen und Magazine um 14 Milliarden Euro zurückgegangen, konstatiert eine Studie des Marktforschers PwC. Die digitalen Einnahmen sind in dieser Zeit um 4 Milliarden Euro angestiegen, so dass ein Loch von 10 Millarden Dollar in der Bilanz bleibt. Es wird erwartet, dass diese Lücke in den kommenden Jahren wieter aufspringt. Teil des Problems ist, dass Verleger über Jahre den Inhalt, den sie nun zu schützen suchen, kostenlos hergaben." (Nein, das Problem ist, dass sie dies die ganze Zeit behaupten, obwohl es nicht stimmt, und dass sie das eigentliche Problem, den Verlust der Rubrikenanzeigen, nicht benennen!)

In einem zweiten Artikel stellen die Autoren die wichtigsten Einflussagenten beim Copyright-Thema in Brüssel vor.

In der SZ berichtet Kathrin Hollmer über Dienste wie Blendle, Piqd oder reprtagen.fm (aber nicht den Perlentaucher), die Lesern längere Artikel empfehlen: "Das Kuratieren von Artikeln ist derweil in den vergangenen Jahren zum Geschäftsmodell geworden. Start-ups wie Blendle, Piqd und Pocketstory geben in Newslettern und auf ihren Websites personalisierte Leseempfehlungen samt Begründungen. Finanziert werden sie durch Einzelverkäufe von Paid-Content-Artikeln, Abo-Modelle oder Mitgliedschaften. Wie sehr sich das lohnt, darüber kann man nur spekulieren, denn konkrete Zahlen nennen die Portale nicht."

Ähnlich sieht es Christian Nürnberger bei kress.de, der zwar einerseits in einem rätselhaften Satz behauptet: "Soviel Pressefreiheit wie in Deutschland war in diesem Land noch nie." Aber andrerseits angesichts der gefährdeten Geschäftsmodelle ein Umdenken, auch in der Politik, fordert: "ich höre keinen Bundeskanzler und keinen Bundespräsidenten sagen, dass Qualität Geld kostet, journalistische Qualität für den Bestand der Demokratie lebenswichtig ist und darum von Bürgern irgendwie bezahlt werden muss, notfalls durch Steuern. Sehr viele stolze Journalisten schreien auf, wenn sie das hören. Öffentlich-rechtlich subventioniert werden möchten sie auf keinen Fall. Im Gegenteil, sie möchten auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen am liebsten abschaffen und geben sich der Illusion hin, dass sich schon genügend Leute finden werden, die bereit sind, ihnen ihre Leitartikel, Reportagen, Feuilletons einzeln abzukaufen."
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Wissenschaft

Amerikanische Wissenschaftler mobilisieren gegen die Trump-Regierung, die eine Menge Klimaskeptiker und Evangelikale in ihren Reihen hat - im April wollen Wissenschaftler einen großen Marsch durch Washington organisieren. Der durch Trump gebündelte religiöse Wahn grassiert nicht erst seit gestern, schreibt Christoph Drössler in der Zeit: "Jeder sechste Biologielehrer ist ein glühender Anhänger des Kreationismus und lehrt die Schöpfungsgeschichte zumindest gleichberechtigt neben der Evolutionslehre. Die Evangelikalen haben in einigen Staaten entsprechende Regelungen durchgesetzt  - und die republikanische Partei hat sich bei diesen fundamentalistischen Christen angebiedert."
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Europa

In Frankreich hat es einen Fall von ungeheuerlicher Polizeigewalt gegeben, der seit Tagen durch die Presse geistert, ohne allzu großes Aufsehen zu erregen: Ein Polizist hat einem jungen - und natürlich schwarzen - Mann bei einer Personenkontrolle den Polizeistock in den Anus gerammt, so brutal, dass er für sechzig Tage arbeitsunfähig ist. Und das ist bei weitem nicht der einzige Fall, schreibt Christophe-Cécil Garnier  bei Slate.fr. Und dennoch gibt es kaum Demonstrationen, und das Bild der Polizei bei den Franzosen ist positiv: "'In der Regel schätzen  all jene Personen die Polizei, die nie mit ihr zu tun haben', sagt der Soziologe  Christian Mouhanna... Das Problem ist, dass es vor allem die Minderheiten sind, die mit der Polizei zu tun haben. 80 Prozent der Leute, die sich als schwarz oder arabisch bezeichnen sind laut einer Studie in den letzten fünf Jahren kontrolliert worden. Der Autor dieser Zeilen? Kein einziges Mal. Was verhindert eine breitere Bewegung in ganz Frankreich nach dem Vorbild von Black Lives Matter? Wohl der Umstand, das die Gewalt nicht eine bestimmte community betrifft (in den USA die Schwarzen), sondern einen bestimmten Ort (gewisse Banlieues der französischen Städte)."
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