9punkt - Die Debattenrundschau

Als ginge uns das Herannahen der Katastrophe nichts an

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.02.2017. Politico.eu geht den engen Verflechtungen der religiösen Rechten in Amerika und Russland nach, die im "World Congress of Families" gegen Abtreibung und Homoehe agitieren. Auch Hitler wurde anfangs als ein Clown gesehen, warnt der Historiker Richard Evans in Slate. "Wir sind schuld", ruft Mircea Cartarescu in der FAZ - und meint damit uns Bürger der EU. Und in der taz erklärt der ehemalige Népszabadság-Redakteur Gergely Márton, warum es eigentlich die Deutschen sind, die die Abwicklung seiner Zeitung finanzierten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.02.2017 finden Sie hier

Europa

Die ungarische Zeitung Népszabadság, einst Parteiblatt, zuletzt die wichtigste Stimme einer verbleibenden freien Presse in Ungarn, wurde vor vier Monaten endgültig zugemacht. In der taz erzählt der ehemalige stellvertretende Chefredakteur Gergely Márton, dass die Redakteure bis zuletzt Korruptionsgeschichten recherchiert haben, denn ein Regime wie das Orbans muss sich ergebene Oligarchen schaffen. "Vor allem aber werden die europäischen Fördergelder missbraucht. Man kann schreiben, dass deutsche SteuerzahlerInnen die Einstellung von Népszabadság mitfinanziert haben. Es hört sich populistisch an, ist aber die Wahrheit. Ungarn ist nach Polen der zweitgrößte Profiteur des europäischen Strukturfonds. Das Geld fließt in große Infrastrukturprojekte. Dort versickern unheimliche Summen in den Taschen regierungstreuer Unternehmer. Für diese Selbstbereicherung bringen sie Gegenleistungen. Zum Beispiel kaufen sie die Medien des Landes auf - und bringen sie stramm auf Linie."

In einem FAZ-Artikel über die eigentlich doch hoffnungsfroh stimmenden Proteste in Rumänien, flicht Mircea Cartarescu ein paar düstere Sätze an die Adresse der Bürger der EU ein: "Wir sind schuld daran, dass Europa heute so aussieht wie Rimbauds trunkenes Schiff. Wir sind schuld am Brexit, wir werden den Frexit zu verantworten haben, aus unserer Schuld sterben Menschen auf der Flucht vor dem Krieg an unseren mauerbewehrten Grenzen. Es ist unser aller Schuld, tatenlos mitanzusehen, wie alles von einem Tag auf den nächsten ruiniert wird, als ginge uns das Herannahen der Katastrophe nichts an, als beträfe sie andere."

Die Autorin Sineb El-Masra wendet sich in der Welt gegen die von der deutschen Poltiik als Ansprechpartner gesuchten Islamverbände: "Es ist schon ein Skandal und macht zugleich unendlich traurig: Kirchen, Ministerien und Medien glauben allen Ernstes, gegen Rassismus und Muslimfeindlichkeit vorzugehen, wenn sie reaktionäre Kräfte hofieren und ihnen unkritisch eine Plattform bieten."
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Medien

Im Gespräch mit Marco Bertolaso vom Deutschalndfunk plädiert Günter Wallraff gegen Facebook und für ein  Schulfach "Medienkompetenz": "Da müssen junge Lehrer rein, die computeraffin sind, und die müssen Jugendlichen erst mal zeigen, wie man das Internet wirklich nutzt und Wahnwelten, Fake News unterscheidet von seriösen Nachrichten, auch wieder Zeitung lesen lernen, und zwar vielleicht durch Geschenk-Abos. Vielleicht brauchen wir auch öffentlich-rechtliche Printmedien. Weil wenn das alles weg ist, dann haben wir demnächst auch Politiker à la Trump, die über solche Medien überhaupt gesellschaftsfähig gemacht werden. Ich sehe da höchsten Handlungsbedarf."
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Stichwörter: Wallraff, Günter, Fake News

Politik

Einer sehr interessanten Spur für engste Beziehungen zwischen der amerikanischen religiösen Rechten und entsprechenden russischen Kräften geht Casey Michel in Politico.eu nach. Er beleuchtet die Machenschaften des World Congress of Families (Website), eines ominösen amerikanisch-russischen Verbandes, der in beiden Ländern gegen  Frauen- und Schwulenrechte agitiert und dabei tatkräftigen Einfluss auf die Politik beider Länder nimmt: Schließlich wurde im Jahr 2011 "das russische Paket von Abtreibungsverboten, das von der Duma-Abgeordneten Jelena Mizulina betrieben wurde, einen Tag nach einem 'demografischen Gipfel' des WCF eingebracht, der bis dahin größten Versammlung des WCF in Russland. Eine russische Frauenrechtlerin sagte später: 'Es war hundertprozentig klar, dass alles in der Antiabtreibungsgesetzgebung von den Erfahrungen amerikanischer Fundamentalisten und konservativer Kreise aus europäischen Ländern abgeschaut war, in denen Abtreibung verboten oder streng eingegrenzt ist.' Der WCF brüstete sich später selbst in seinen Promo-Materialien, dass er 'die ersten russischen Gesetze zur Eingrenzung von Abtreibung in der modernen Geschichte' habe durchsetzen helfen." Casey bereitet einen ausfürhlichen Report über den WCF vor und verweist in seinem Artikel auf diesen großen Hitergrundartikel zum Thema.

Nicht allein das Volk rettet die Demokratie, wenn sie, wie jetzt in den USA, unter Stress steht. Sie muss sozusagen von allein von funktionieren, schreibt Isolde Charim in der Wiener Zeitung: "Trump untergräbt die Legitimität der Richter, der CIA, der Wahlbehörden, der Medien. Die Lehre aus dem, die Lehre auch für Europa lautet: Der Kampf geht nicht nur um die Köpfe, um die die Emotionen, um die Wähler. Der Kampf geht auch ganz wesentlich darum, die demokratischen Institutionen zu schützen."

Kann man Trumps erste Tage mit Hitlers Machtergreifung vergleichen? Wohl kaum. Aber eines haben beide gemein, sagt der Historiker Richard Evans im Gespräch mit Isaac Chotiner in Slate. Beide wurden für einen Clown gehalten: "Viele Leute dachten bei Hitler, er sei ein Komiker. Er wurde nicht ernst genommen. Sie dachten auch, er würde sich beruhigen, wenn er erst die Verantwortung des Amtes spüren würde. Das wurde weithin angenommen. Es gibt aber einen großen Unterschied: Trump spricht sehr spontan. Das gilt etwa für seine Tweets. Hitler bereitete seine Reden sehr sorgfältig vor. Sie mögen spontan gewirkt haben, aber sie waren präzise geplant."

Außerdem: Laut eine kurzen Meldung von CNBC gibt es Gerüchte, dass Russland erwägt, Edward Snowden nach Amerika zurückzuschicken - als ein "Geschenk" für Trump.
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