9punkt - Die Debattenrundschau

Aber am Ende wird er scheitern

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.01.2017. Die New York Times kocht vor Wut über Trumps "heuchlerischen, feigen, selbstzerstörerischen" Einreisestopp gegen Bürger bestimmter Länder. Bernard-Henri Lévy hofft in La Règle du Jeu, dass Israel der Fürsorge Donald Trumps widersteht. "Die Mauer ist eine Demütigung für Mexiko", ruft Jorge Volpi aufgebracht in der Welt und fordert eine internationale Allianz gegen Trump. Im Tagesspiegel wünschte sich Tanja Dückers, dass die Frauenbewegung, die gegen Trump demonstrierte, sich zuvor für Hillary Clinton engagiert hätte.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.01.2017 finden Sie hier

Politik

Eines muss man Donald Trump lassen, er erzeugt echtes Pathos bei seinen Gegnern. Im Atlantic schreibt der konservative Politologe Eliot A. Cohen, einst Berater unter Condoleezza Rice, der vermutet, dass Trumps Gebaren nur noch schlimmer werden könne: "Aber am Ende wird er scheitern. Er wird scheitern, denn wie gerissen seine Taktik sein mag - seine Strategie ist furchtbar. Die New York Times, die CIA, Mexican Americans und all die anderen, die er angegriffen hat, werden nicht weggehen. Mit jedem Akt macht er sich neue Feinde und bestärkt ihre Motivation. Er hat Anhänger, aber er wird keine neuen Freunde gewinnen. Er wird scheitern, weil er die Gerichte nicht korrumpieren kann und weil irgendwann selbst der schüchternste Senator sagen wird 'genug'."

Und in der Tat, die Reaktion der New York Times auf Donald Trumps "heuchlerischen, feigen, selbstzerstörerischen" Einreisestopp gegen Bürger bestimmter muslimischer Länder lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Dass dieser in seinem Umfang bestürzende und in seinem Ton hetzerische Erlass am Holocaust-Gedenktag verkündet wurde, zeigt die Kälte und Gleichgültigkeit des Präsidenten vor der Geschichte und angesichts der tiefsten Lektionen, die Amerika über seine Werte erhielt. Das Dekret entbehrt jeder Logik. Es beruft sich auf das Attentat des 11. September, obwohl es ausgerechnet die Herkunftsländer all der Entführer, die diese Tat verübten, verschont, vielleicht nicht aus Zufall, denn mit einigen dieser Länder macht die Trump-Familie Geschäfte."

"Die Mauer ist eine Demütigung für Mexiko. Eine Bedrohung von außen, wie wir sie seit der US-Invasion in Veracruz im Jahr 1914 nicht erlebt hatten, als sich ein Kalter Krieg zwischen zwei Nationen anzubahnen begann", schreibt der mexikanische Schriftsteller Jorge Volpi aufgebracht in der Welt und ruft zu einem internationalen Bündnis gegen Trump auf: "Es ist an der Zeit, dass die Regierung und wir Bürger in Mexiko davon ausgehen müssen, dass Mexiko sich in einer Notstandssituation befindet. Es liegt an uns, Bürgerinitiativen zu entwickeln, um den Ruf nach Hass einzudämmen, unsere Regierung dazu zu zwingen, Trump mit der nötigen Bestimmtheit und politischen Vorstellungskraft die Stirn zu bieten, neue Allianzen in der Welt zu schmieden und eine globale Verteidigung der Menschenrechte und der Werte unserer Zivilisation angesichts der anbrechenden Tyrannei von Trump anzuführen."

Bernard Henri Lévy hat in New York Philip Roth getroffen, der in seinem Roman "Verschwörung gegen Amerika" einen Präsidenten Charles Lindbergh imaginierte, dessen Slogan "America First" lautete. Aber Lindbergh war Antisemit, während sich Trump als Israel-Freund gibt. Lévy macht sich in La Règle du Jeu Sorgen, "dass dieser Mann sich jene in Jerusalem für eine Freundschaft aussucht, die sein Vorgänger in der Fiktion als Untermenschen behandelte. Hoffen wir, dass sich die Objekte dieser Fürsorge vor diesem Freund so in Acht nehmen, wie sie es sonst mit ihren Feinden tun. Das Schicksal Israels ist eine zu ernste Sache, als dass man sie einem impulsiven und ungebildeten Abenteurer überlässt, der mit Autoritätsgesten und Dealmaker-Qualitäten auftrumpft."
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Religion

Die Zeit hat online das pro und contra von Manuel J. Hartung und Stefan Schmitt zum Religionsunterricht an den Schulen nachgereicht. Evelyn Finger plädiert derweil für konfessionsübergreifenden Unterricht: "Das wäre der beste Schutz gegen Intoleranz. Wer Religion lernt, während neben ihm einer sitzt, der anderes oder gar nichts glaubt, dem wird man später nicht mühsam eintrichtern müssen, was Toleranz ist. Der versteht intuitiv Lessings Ringparabel: Jede Religion ist gleich wahr und gleich falsch, so weit wahr, wie sie tolerant, so weit falsch, wie sie dogmatisch ist."
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Stichwörter: Religionsunterricht

Ideen

Auch der Universalismus hat seine Grenzen, meint in der NZZ der Schriftsteller Karl-Heinz Ott, der Paulus Giacomo Leopardi vorzieht: Ersterer hielt Petrus im Galater Brief vor: "'Es gibt nicht mehr Juden noch Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.' Womit aus christlicher Sicht alle Unterschiede zwischen Völkern, Geschlechtern, Kulturen und Sitten als nichtig zu gelten hatten." Leopardi dagegen hilt den Universalisumus für "eine christlich inspirierte Vernunftillusion, die den naturwüchsigen Drang nach Eigenheit und Absonderung niemals unterdrücken kann. Selbst wenn man diese Ansicht nicht teilt, bleibt das Paradox, dass wir hier im Westen Gesellschaften, die unser Gleichheitsideal nicht für der Güter höchstes halten, mehr oder weniger verachten. Für diese Haltung gibt es durchaus Gründe. Doch man muss sich dann auch den Vorwurf gefallen lassen, dass wir andere unter die Knute unserer Normen zwingen wollen."

Lesen kann man jetzt außerdem in der NZZ Jan-Werner Müllers Besprechung von Timothy Garton Ashs Buch "Redefreiheit".
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Gesellschaft

Im Tagesspiegel staunt die Autorin Tanja Dückers, welchen Aufschwung die Frauenbewegung in den USA genommen hat - auch wenn sie es seltsam findet, dass Trump diesen Aufschwung auslöste und nicht die Kandidatur der ersten Frau für das Präsidentenamt: Frauen organisieren sich, "gründen Gruppen, die wütende Briefe an Abgeordnete schreiben. Sie setzen sich für ein bezahlbares Gesundheitssystem ein und wehren sich gegen die Kürzung von Geldern für öffentliche Schulen. Am 15. April, Ostersamstag, sollen wieder massive Protestmärsche stattfinden. Trump soll dann aufgefordert werden, seine Steuererklärung offenzulegen - wenige Tage vor dem tax day, an dem die Steuererklärungen abgegeben werden müssen. Das öffentliche Gespräch von Madonna und der Bildenden Künstlerin Marylin Minter im Brooklyn Museum war ein Weckruf. So sprach Madonna davon, dass die Wahl Trumps ihr klargemacht habe, wie träge und verwöhnt wir alle angesichts von scheinbar selbstverständlichen Werten wie Freiheit und Bürgerrechten geworden seien."
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Europa

In Frankreich liegt die Linke am Boden, diagnostizieren besorgt Christian Wernicke in der SZ (hier) und Andres Wysling in der NZZ. Letzterer sieht die Aussichten von Marine Le Pen auf das Präsidentenamt durch die jüngsten Abstimmungen bereits deutlich gestiegen: "Bei den Sozialisten hat sich Benoît Hamon durchgesetzt - ein Sieg des Linkspopulismus. Er schwelgt in linken Utopien und träumt von einer schönen neuen Welt, wo die Leute dank Automatisierung immer weniger arbeiten und von einem staatlichen Grundeinkommen leben. Links von ihm ruft Jean-Luc Mélenchon zur 'Bürgerrevolution', er will eine 'VI. Republik' errichten. Mit Hirngespinsten dieser Art eignen sich die beiden eher für Fernsehdebatten als zum Regieren. Keiner dürfte die Stichwahl erreichen."

Ein Grund für den Niedergang der Sozialisten ist auch ihre Unfähigkeit, Ideen aus ihrem Umfeld aufzugreifen, meint Marc Zitzmann in der NZZ: "Anregend wirkt etwa ein Vorschlag der Soziologin Dominique Méda, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Unternehmen könnten auf freiwilliger Basis ihren Angestellten 10 Prozent mehr Freizeit gewähren und dafür 10 Prozent zusätzliche Stellen schaffen, im Gegenzug aber auf alle Bruttogehälter in Höhe von 8 Prozent keine Sozialabgaben mehr entrichten. Entgegen einer gängigen Vorstellung arbeiteten Frankreichs Arbeitnehmer mit im Schnitt 37,3 Wochenarbeitsstunden (trotz der offiziellen 35-Stunden-Woche) real mehr als jene in Deutschland oder Schweden. Zudem zählten sie zu den weltweit produktivsten - eine 10-prozentige Arbeitszeitverkürzung wäre also tragbar".
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