9punkt - Die Debattenrundschau

Unter Druck gesetzt, besiegt und im Stich gelassen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.01.2017. Chaos und Düsternis begleiten diesen Jahresbeginn. Die amerikanischen Medien versuchen, der Posse um die unbelegten Vorwürfe gegen Donald Trump und dessen grand-guignolesker-Pressekonferenz Herr zu werden. Die Briten brillieren unterdessen laut FAZ mit der Idee einer "Ausländersteuer" für in Britannien arbeitende EU-Bürger. Tagesspiegel und Zeit fragen, warum die deutsche Öffentlichkeit nach dem Berliner Attentat so wenig überzeugende Gesten der Trauer fanden.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 12.01.2017 finden Sie hier

Politik

In einem sehr nützlichen Artikel erzählen einige Reporter der New York Times, wie es zu dem neuesten Dossier mit unbelegten Vorwürfen gegen Donald Trump kam - es zeigt sich, dass sie ihren Ursprung schon im vorletzten Jahr in Recherchen hatte, die Trump-Gegner bei den Republikanern in Auftrag gaben: "Teile der Geschichte bleiben außer Reichweite - vor allem die Grundfrage, wieviel an dem Dossier wahr ist. Aber es ist heute möglich nachzuerzählen, was zu der gegenwärtigen Krise führte, inklusive der drängenden Fragen zu den Verbindungen zwischen Trump und Russland."

Auch der Guardian versucht, Licht in das Chaos dieser Geschichte zu bringen. Und im Altantic ruft Julia Ioffe: "Welcome to the world of Kompromat, America", und erklärt, was es mit dieser russischen Geheimdiensttechnik der Rufschädigung auf sich hat.

Die Washington Post fasst die deprimierendsten Momente von Donald Trumps Pressekonferenz zusammen, auch in einem Video.

Maureen Dowd trifft für die New York Times den Facebook- und Trump-Investor Peter Thiel, der wenig Spezifisches sagt - außer über seinen Kampf gegen das Sterben: "Darüber habe ich klare Ansichten. In der US Food and Drug Administration wird das Altern noch nicht mal als Krankheit anerkannt. Wir dürfen keine Medikamente entwickeln, die das Altern stoppen könnten. Wir haben noch nicht mal angefangen."
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Gesellschaft

Warum nur fällt es den Deutschen so schwer, um die Opfer des Terroranschlags in Berlin zu trauern, überlegt Nina Pauer in der Zeit: "Wo das erinnerungspolitische Besteck der Vergangenheit - Ehrenmal, Gefallenenmythos, Vaterlandskult - abschreckt oder längst musea­lisiert ist, herrscht Sprachlosigkeit. Ein Land, zu dessen Selbstverständnis es seit Generatio­nen gehört, ein Tätervolk zu sein, kennt Er­innern nur als Mahnen. Als Informiertwerden durch Audioguides und Geschichtsbücher, als nie ganz unschuldiges Trauern an Orten nach­denklicher Erinnerung. Das Denken an die Opfer fiel stets zusammen mit dem Wissen, auch die Täter in den eigenen Reihen zu ­ finden. Die Toten von Berlin brechen mit ­ diesem Schema."

Im Tagesspiegel kritisierten einige Angehörige die bemerkenswerte Taubheit der Öffentlichkeit nach dem Anschlag. Nun hat man sich aber doch noch entschlossen, im Berliner Abgeordnetenhaus eine Schweigeminute abzuhalten und im Bundestag einen "Gedenkmoment" einzulegen. "Zu spät? Zu wenig? Zu karg?", fragt Caroline Fetscher im Tagesspiegel, die aber selbst ratlos bleibt: "Ob für Trost und Trauer richtige, also aufrichtige Worte gesprochen werden hängt von sehr vielem ab. Besonders bei Politikern, denen unter Stress und Druck Emotionen abverlangt werden."
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Stichwörter: Terroranschlag

Medien

Alles ist jetzt "Fake News", ächzt Markus Reuter in Netzpolitik - selbst Trump verwendet diesen Begriff, um sich gegen die Presse zu wehren: "Insgesamt ist in den letzten Wochen eine starke Begriffsvermischung zu beobachten. Da werden (russisches) Hacking, Social Bots, Fake News, Targeting und Troll-Armeen in einen Topf geworfen und gut durchgerührt. Dabei ist es eigentlich enorm wichtig, die unterschiedlichen Phänomene auch gesondert zu betrachten und voneinander zu trennen. Dies ist insbesondere bei der Bekämpfung dieser Missstände wichtig, weil einige der jüngst vorgeschlagenen Maßnahmen die Presse- und Meinungsfreiheit bedrohen."

Um gegen Fake News vorzugehen, startet Facebook ein "Facebook Journalism Project", meldet unterdessen Zeit Online.

Außerdem: Benedikt Frank versucht in der SZ, den Plänen für eine deutsche Breitbart-Ausgabe auf die Spur zu kommen.
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Europa

So abstoßend und faszinierend das News-Spektakel in Amerika ist, auch in Europa gibt's Hämmer, etwa die neue Erfindung einer "Ausländersteuer" von 1.000 Pfund im Jahr, mit der die britische Regierung Firmen droht, die qualifizierte Bürger aus dem EU-Ausland anstellen, berichtet Marcus Therer im Aufmacher des FAZ.net: "Ein französischer Banker, der einen Job in London annimmt, ein deutscher Ingenieur, der in Birmingham anheuert, ein italienischer Informatiker, der eine neue Stelle in Glasgow antritt - sie alle könnten in Zukunft einer Sondersteuer unterliegen."

Ein paar Tage nach dem Silvesteranschlag in einer Istanbuler Diskothek schreibt Elif Shafak in Spiegel online einen fast verzweifelten Artikel: "Leider ist die Spaltung inzwischen zu tief. Die Laizisten und Liberale fühlen sich unter Druck gesetzt, besiegt und im Stich gelassen. Derweil lassen die Isolationisten, Nationalisten und Islamisten alle Hemmungen fahren. In dieser Atmosphäre der Bedrohung sagte ein prominenter Journalist, Ahmet Sik, vor einigen Wochen voraus, dass Islamisten Neujahrsfeiern zum Ziel nehmen könnten. Heute sitzt Sik im Gefängnis, bestraft für seine Offenheit, zusammen mit 140 anderen türkischen Journalisten und Intellektuellen."

Man wäre in Köln leicht ohne "Racial Profiling" ausgekommen, meint die Kriminologin Daniela Hunold  im Gespräch mit Daniel Bax in der taz: "Eine andere Möglichkeit ist, dass man einfach ein Areal abgrenzt und sagt: Wer hier auf der Domplatte feiern will, den kontrollieren wir, und das machen wir mit allen Personen, die dort hinkommen."

Im Fall Andrej Holm, den die Linkspartei zum Staatssekretär ernennen will, muss eine politische Entscheidung getroffen werden, keine dienstliche, meint Stasi-Forscher Ilko-Sascha Kowalczuk im Freitag. Dass Holm sich als Jugendlicher entschied, Mitglied eines FDJ-Bewerberkollektivs für militärische Berufe zu werden, stört Kowalczuk dabei nicht. Jugendsünden sollten nicht das ganze Leben ruinieren, schreibt er und sieht ganz andere Probleme: "Die Linkspartei beruft Andrej Holm zum Staatssekretär, wohl auch, weil sie potenziell neue Wählergruppen gewinnen will. Das ist Politik. Aber zugleich erneuert die Partei ihren Ruf, ein problematisches Verhältnis zur eigenen Geschichte zu haben. Dass sie Andrej Holm mit dem Argument zu schützen sucht, er habe als hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter ja nicht gespitzelt, ist verwegen und historisch ekelhaft."
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