9punkt - Die Debattenrundschau

Weltkanzlerin

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.11.2016. Die Wahlen in Amerika überschatten immer noch alle anderen Diskussionen. Im Moment wird allerdings weniger über Trump als über Facebook debattiert: Die New York Times zeigt, wie Desinformationen auf Facebook etwa die mörderische Drogenpolitik in den Philippinen unterstützen. Bei Carta fordert der Medienprofessor Wolfgang Hagen eine Ausdehnung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ins Netz, um eine ausgewogene Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten. FAZ und SZ berichten über die deprimierende Lage in der Türkei.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.11.2016 finden Sie hier

Politik

Auf Zeit online denken Matthias Geis, Tina Hildebrandt und Bernd Ulrich über die Zukunft von Angela Merkel nach und kommen dabei zu einer interessanten Erkenntnis: "Seit Donald Trump President-elect ist, stellt sich die Frage, ob es eigentlich eine Erleichterung wäre, wenn Merkel nach zwölf Jahren endlich Platz machen würde, oder doch eher besorgniserregend, jedenfalls noch einmal deutlich anders. Auch das gehört zu den Widersprüchen einer globalisierten Welt im Wutzustand: Als deutsche Kanzlerin hat sie vielleicht schon zu viel regiert, als Weltkanzlerin noch nicht lange genug."

Sehr lesenswert: Dieser Artikel in der New York Times untersucht den Verlust, den die Demokraten seit Jahrzehnten bei weißen Wählern mit niedrigem Einkommen erleben: "Despite their declining share of the electorate, these voters continue to exercise an outsize influence: as the Silent Majority of 1968 and 1972; the Reagan Democrats of 1980; the Angry White Men of 1994; the Tea Party insurgents of 2010; and now the triumphant Trump Republicans of 2016. Let's take a look at the history of this trend."
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Internet

Caitlin Dewey spricht für die Washington Post mit Paul Horner, der auf Facebook satirische Fake News schreibt und nun festellten musste, dass die Trump-Kampagne sie sich schlicht zu eigen machte - etwa die Behauptung, dass eine Demonstrantin gegen Trump von seinen Gegnern bezahlt wurde: "Ich war bei Protesten gegen Trump. Glauben Sie mir, niemand muss bezahlt werden, um gegen Trump zu protestieren. Ich wollte mich nur über diesen kranken Glauben lustig machen, aber sie glaubten es einfach. Ich dachte, sie würden einen Factcheck machen, und dann würden sie dumm dastehen. So läuft es doch eigentlich: Jemand postet, was ich schreibe, dann finden sie raus, dass es falsch ist und sind blamiert. Aber die Trump-Anhänger bleiben einfach dabei!"

Facebook steht in anderen Ländern schon seit langem in der Kritik - gerade Minderheiten oder Bürgerrechtsorganisationen sind häufig betroffen, schreiben Paul Mozur und Mark Scott in der New York Times: "Einer dieser Orte sind die Philippinen, wo ein Sprecher des populistischen Präsidenten ein Facebook-Bild der Leiche eines jungen Mädchens verbreitete, das angeblich von einem Drogendealer vergewaltigt und ermordet worden war. Factchecker haben später herausgefunden, dass das Foto aus Brasilien kam. Trotz der Enthüllung zitieren Anhänger von Dutertes blutiger Politik der Repression gegenüber Drogendealern und Süchtigen dieses Bild immer noch zu seiner Verteidigung, berichten Beobachter."
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Medien

Der Google-Innovationsfonds schüttet wieder Geld aus, meldet Meedia mit dpa, insgesamt 24 Millionen Euro an 124 Projekte in Europa: "Zu den Empfängern gehören das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv, RP Digital von der Rheinischen Post, Spiegel Online, der Schwäbische Verlag sowie der Tagesspiegel aus Berlin." Auch die FAZ kooperiert mit Google und stattet entsprechende Artikel mit dem Label "Factcheck" aus, um bei Google News entsprechend gekennzeichnet zu werden.

Wolfgang Hagen, einst Redakteur bei Deutschlandradio Kultur, nun Medienprofessor, zieht bei Carta aus der Wahl in Amerika die Konsequenz, dass die nicht auf Ausgewogenheit bedachte Öffentlichkeit in den USA, die überdies zum großen Teil über soziale Medien läuft, Donald Trump begünstigt hat. Das Netz hat die Demokratie nicht verbessert: "Nur in idealisierenden Beschreibungen von Netzaktivisten - und spiegelgetreu in der Unternehmensideologie eines Mark Zuckerberg - ist das Internet ein öffentlicher Raum, in dem sich Partizipation und Demokratie besser entfalten können als in traditionellen, durch repräsentative Mechanismen gesteuerte Institutionen. Die US-Wahl zeigt hier eher das Gegenteil." Da auch Hagen das Internet nicht rückgängig machen kann, bringt er zwei Vorschläge ins Spiel, wie öffentlich-rechtliche Anstalten sich ins Netz ausbreiten und dort für Ausgewogenheit sorgen könnten: durch die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Netzwerks (ein Vorschlag von Yvonne Hofstetter) oder durch eine gewaltige Aufstockung des Personals und gehörige Bearbeitung der bestehenden Netze (ein Vorschlag des ORF-Moderators Armin Wolf).
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Europa

Der Autor Matthias Göritz berichtet in der FAZ von der Buchmesse in Istanbul, wo Deutschland Gastland war: "Es ist erstaunlich, wie offen türkische Autoren und Verleger über die politische Lage diskutieren. Ob sie denn keine Angst hätten, frage ich viele. Doch, lautet die Antwort, aber es sei wichtig, das nicht auch noch zu zeigen, sonst würde man verrückt."

Yavuz Baydar beschreibt in der SZ, wie die türkische Regierung in den kurdischen Provinzen wütet: "In Mardin hat der Gouverneur die Geschäfte des Bürgermeisters Ahmet Türk übernommen. Wenn irgendein Ereignis die frappierende Situation verdeutlich kann, dann wohl diese Amtsenthebung Türks. Der 74 Jahre alte, freundliche Politiker, der noch von dem früheren Ministerpräsidenten Turgut Özal damit betraut wurde, dem kurdischen Frieden eine Brücke zu bauen, muss im hohen Alter erleben, wie seine Bemühungen um ein Ende der ethnischen Fehde in der Türkei zunichtegemacht werden."
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Gesellschaft

Mit Befriedigung liest NZZ-Autor Heribert Seifert in deutschen Medien Äußerungen von der Zeit bis zur Linken, die sich selbstkritisch mit der eigenen Meinungsmacht beschäftigen. Seifert zitiert Beispiele, darunter den Blogger Michael Seemann, der kürzlich im Tagesspiegel den "dominanten Konsens einer 'globalisierten Klasse der Informationsarbeiter'" beklagte: "Die Entpolitisierung zentraler Streitfragen durch eine hypermoralische Aufspaltung der Gesellschaft in die Guten und die bösen 'Anderen' erweist sich als riskant und gesellschaftspolitisch dysfunktional, weil der Widerstand gegen die uneingestandene Herrschaft außer Kontrolle geraten könnte."

In München schließt der jüdische Besitzer des Szenelokals Schmock dieser Tage seinen Laden, weil er den wachsenden Antisemitismus nicht mehr aushält, erzählt die Schriftstellerin Lena Gorelik im Zeit-Blog Freitext. Ein Grund für diesen wachsenden Antisemitismus, da gibt sie dem Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, Recht, hat mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen zu tun, für die Israelis der Feind schlechthin sind. Wie geht man damit um? "Es ist kein Grund zur Panik. Aber dieser Antisemitismus, den viele Geflüchtete als Gefühl, mehr sogar denn als Überzeugung, mitbringen, ist etwas, das diskutiert werden muss. Es muss diskutiert werden, wie man in Schulen mit Kindern und Jugendlichen umgeht, denen der Hass auf Juden als Grundgefühl eingepflanzt wurde."
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Ideen

In der NZZ denkt Adrian Lobe darüber nach, wie die Stadt der Zukunft aussehen kann. Wird sie in erster Linie eine Stadt für Roboter sein, die Menschen transportieren, Häuser bauen und Straßen reparieren? Und welchen Platz haben Menschen darin? "Eine Frage lautet deshalb, welche Akzeptanz Roboter in Städten haben werden. In Johannesburg, wo man 1927 die erste Ampel ('Roboter') installierte, wurde diese 'Maschine' von einem Autofahrer zerstört, und noch heute werden in Südafrika Ampeln demoliert, teils aus Unachtsamkeit, teils aus krimineller Energie, um Kupferdrähte zu erbeuten."
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